"EU-Sanktionen kosten OÖ 100 Millionen Euro"

Christoph Leitl beim KURIER-Interview.
Der Präsident der Wirtschaftskammer strebt einen gemeinsamen euro-russischen Wirtschaftsraum von Portugal bis Wladiwostok an.

Christoph Leitl ist seit 2000 Präsident der Wirtschaftskammer Österreich und des ÖVP-Wirtschaftsbundes.

Der 65-Jährige will sich 2015 der Wiederwahl stellen. Freitagabend und gestern, Samstag, traf er sich in Linz mit ÖGB-Präsident Erich Foglar zu Sozialpartnergesprächen.

KURIER: Der Wirtschaftsbund war seit Jahrzehnten noch nie so stark in der Regierung vertreten wie jetzt.Christoph Leitl: Das einzige Kriterium ist die Qualifikation, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Es ist nicht entscheidend, woher jemand kommt, sondern wofür jemand steht.

Sie haben Reinhold Mitterlehner zum stellvertretenden Generalsekretär der Wirtschaftskammer berufen. Er ist nun Parteiobmann und Vizekanzler. Das muss Sie doch befriedigen.

Befriedigend ist zweifellos, dass sich aus dem Wirtschaftsbund Leute herausentwickeln, die fähig sind, höchste Aufgaben wahrzunehmen.

Stärkt das auch Ihre Ausgangsposition für die Wirtschaftskammerwahl im Februar 2015?

Hier geht es um ganz etwas anderes. Wem vertrauen die Unternehmerinnen und Unternehmer, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, sodass es Freude und Lust macht, selbstständig zu sein und Risiko zu tragen?

Mitterlehner könnte den ÖVP-Abfluss Richtung NEOS stoppen?

Wir haben in der letzten Zeit viele Diskussionen gehabt, ob die Neos die bessere ÖVP sind. Derzeit ist die ÖVP die bessere ÖVP.

Was ist Ihr Ziel für die Wirtschaftskammerwahl?

Ich möchte alle neun Landeskammerpräsidenten halten.

Sie haben bei der Eröffnung der Welser Messe die EU-Sanktionen gegen Russland massiv kritisiert. Was ist Ihre Alternative? Dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine nur zuzuschauen wird auch nicht reichen, oder?

Zuschauen ist zu wenig. Mein Vorschlag lautet, dass sich die betroffenen Parteien treffen sollen. Nicht von der Ferne drohen, sondern am Tisch miteinander reden. Es sollten sich EU-Kommissionspräsident Barroso und die Präsidenten Poroschenko und Putin zusammensetzen, wo man Folgendes sagt. Die Ukraine ist weder eine Waffe Europas gegen Russland noch eine Waffe Russlands gegen Europa. Alle sind in einer kontinentalen Gemeinschaft und wollen einen offenen Handel und eine freie Wirtschaft gestalten. So wie die USA Abkommen mit allen Teilen der Welt abschließen, so sollten auch wir Europäer das unter anderem mit Russland machen. Wenn wir mit Russland zu einem vernünftigen und stabilen Verhältnis kommen, sind wir miteinander unschlagbar. So hat mir das Putin persönlich bei seinem Besuch in Wien gesagt.

Wenn die Ukraine betont, dass sie einen starken Bezug zu Europa hat, muss sie auch europäische Werte einhalten. Das bedeutet, mit Minderheiten nicht nur zu reden, sondern ihnen auch Autonomie zu geben, Föderalismus zu praktizieren und Abkommen abzuschließen. Das ist nicht immer einfach, siehe Spanien und die Basken, aber es funktioniert.

Sicherheitspolitisch sollte die Ukraine neutral bleiben. Da könnte Österreich ein Beispiel sein. Es gilt die Urangst zu beseitigen, dass die Nato ein paar Hundert Kilometer vor Moskau steht.

Nach dem Besuch von Putin Wien hat der gebürtige Linzer und Furche-Journalist Oliver Tanzer Österreichs Politikern "pathologische Willfährigkeit" gegenüber Putin vorgeworfen.

Man kann alles so und so sehen. Wirtschaft ist für mich ein verbindendes Element. Darum wehre ich mich so gegen Sanktionen. Wirtschaft soll allen zum Wohlstand dienen und nicht als Waffe verwendet werden. Politik und Diplomatie haben längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Der Missbrauch, die Wirtschaft als Waffe einzusetzen, ist auch in Oberösterreich spürbar. Allein im verarbeitenden Lebensmittelbereich gibt es Einbußen von 100 Millionen Euro. Das betrifft zum Beispiel den Münzbacher Fleisch- und Wurstproduzenten Greisinger und eine große internationale Bäckerei im Bezirk Linz-Land. Österreichweit sind es rund 500 Millionen.

Innerhalb der EU ist Österreichs Position in der Minderheit. Wir haben in Europa den Ruf, es uns wegen unserer Geschäfte nicht mit Russland verscherzen zu wollen.

Auch die Europäer wollen ihre Geschäfte machen. Warum sollen wir unsere hervorragenden Produkte nicht nach Russland liefern? Selbst wenn man dadurch entstandenen Verluste finanziell ausgleichen würde, bin ich der Meinung, dass man den Konflikt anders lösen muss als das derzeit passiert. Wir sollten das aus der Geschichte der Entstehung des Ersten Weltkriegs lernen.

Wir Österreicher wissen, was Sanktionen bedeuten. Die Europäer wollten uns im Jahr 2000 bestrafen. Die Folge ist, dass man näher zusammenrückt. Und das ist derzeit in Russland der Fall.

Die Einführung eines generellen Rauchverbots in Lokalen wird von der ÖVP blockiert, speziell von der Wirtschaftskammer und da wieder von den Trafikanten und Wirten. Wie sehen Sie das als gesundheitsbewusster Mensch?

Ich bin Nichtraucher. Es gibt die Freiheit, seinen Lebensstil zu wählen, aber man soll andere dadurch nicht beeinträchtigen. Wenn man über ein generelles Rauchverbot diskutiert, w eil die Fakten so klar auf der Hand liegen, muss man sich generell überlegen, wie man mit dem Thema umgeht. Nur auf den Wirten rumzuhacken, greift mir zu kurz. Die Wirte haben mit Investitionen von rund 1000 Millionen Euro den Schutz der Nichtraucher auf ihre Kosten erfüllt. Wenn man von ihnen nun etwas anderes will, muss man mit ihnen reden. Das hat die Gesundheitsministerin angekündigt. Man kann aber die getätigten Investitionen, die den Nichtraucherschutz im Wesentlichen garantieren, nicht ignorieren.

Sie treten nun neuerlich bei der Wirtschaftskammerwahl an, wollen aber nicht die gesamte fünfjährige Periode bleiben.

Ich trete jetzt an, weil das meine Freunde von mir gewünscht haben. Ich habe ihnen gesagt, das wird nicht für die gesamte Periode sein, denn ein weiteres Mal werde ich nicht antreten. Es wird dann irgendwann sicherlich ein Generationswechsel erfolgen.

Das bedeutet, dass Sie möglicherweise bei der Bundespräsidentenwahl antreten?

Auf diese Frage habe ich schon gewartet. Ich konzentriere mich voll und ganz, dass ich bei der Wirtschaftskammerwahl als Verfechter der Stärkung des Mittelstands das Vertrauen der Leute bekomme. Andere Gedanken schwirren in meinem Kopf nicht herum.

Das Wirtschaftswachstum ist mit 0,9 Prozent deutlich schwächer als die prognostizierten 1,5 Prozent.

Ich habe das am Jahresanfang aufgrund unseres internen Wirtschaftsbarometers erwartet. Es fehlen Wachstum und ausreichend Beschäftigung. Wir steuern auf die höchste Winterarbeitslosigkeit am Bau zu, die es jemals gegeben hat. Wir hätten budgetär ein Wohnbauprogramm von 180 Millionen Euro bereits eingetaktet. Warum wird es nicht in Anspruch genommen? Ähnliches gilt für die thermische Sanierung.Warum machen wir hier nicht mehr?

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