Bischof Scheuer: Gesellschaftliche Lage ist prekär und gefährlich
Der Besuch im Krankenhaus St. Josef in Braunau hätte ursprünglich im Rahmen der Dekanatsvisitation stattfinden sollen, die jedoch coronabedingt auf Frühjahr 2022 verschoben wurde. Bei den seelsorgerlichen Gesprächen mit PatienInnen und deren Angehörigen und bei Begegnungen mit dem medizinischen Personal wurde Scheuer die Dramatik der gegenwärtigen Situation in der Pandemie ganz klar vor Augen geführt. Die Krankenhausseelsorge vor Ort ist in dieser für alle extrem belastenden Situation gefordert, Unterstützungsmöglichkeiten – auch auf spiritueller Ebene – anzubieten.
Kampf um das Leben der Patienten
Einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen erhielt Bischof Scheuer von Geschäftsführer Erwin Windischbauer. Ebenso kam er mit den Bereichsleiterinnen Elfriede Stachl und Manuela Reisinger ins Gespräch. Sie berichteten über den anstrengenden Berufsalltag auf den COVID-Stationen, der ihren Teams alles abverlangt, über den Kampf um das Leben der PatientInnen, die Verzweiflung der Angehörigen und ihre persönliche Betroffenheit. Martin Angermeier, Leiter des TAU-KOLLEGS, appellierte an die politischen Entscheidungsträger, mehr Anreize für die Ausbildung von Pflegepersonal zu setzen, um dem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken; außerdem bat er die Kirche als Trägerin von Ausbildungsstätten um verstärktes Engagement. Dass sich die Versorgungslage und die Situation für das Personal in dieser vierten Coronawelle noch wesentlich zuspitzen wird, davon waren alle überzeugt.
Ökumenische Feier
Bischof Manfred Scheuer feierte gemeinsam mit dem evangelischen Pfarrer Jan Lange und den Krankenhausseelsorgerinnen die ökumenische Gedenkandacht für die seit 1. Jänner 2020 Verstorbenen, die aus der Krankenhauskapelle übertragen wurde. Ein besonders berührender Moment für den Bischof: Auf der COVID-Station spendete er einer sterbenden Patientin die Krankensalbung und überreichte ihr und ihrem Mann für besonderes kirchliches Engagement die Severin-Medaille. Scheuer bedankte sich bei seinem Besuch bei allen für ihren unermüdlichen Einsatz und wünschte die nötige Kraft, diesen für die Gesellschaft so unerlässlich wichtigen Dienst zu meistern.
Zur gegenwärtigen Situation sagte er: „Ich möchte meine Verbundenheit mit allen Erkrankten zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus sage ich allen, deren Engagement in diesen Tagen ganz besonders gefordert ist – das sind Menschen in Gesundheitsberufen, in der Pflege, WissenschafterInnen, politische VerantwortungsträgerInnen, die am Finden von konstruktiven Lösungen orientiert sind –, meinen großen Dank, meine Wertschätzung und meine Solidarität zu. Die gegenwärtige gesellschaftliche Lage in Österreich ist durchaus prekär und gefährlich, nicht nur in epidemischer Hinsicht. Die Gräben zwischen polarisierten Lagern vertiefen sich zusehends, und das auch in Familien oder in der Kirche. Gerade jetzt braucht es Zusammenhalt und Solidarität und die Bereitschaft, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. In dieser Krisensituation steht die Nächstenliebe aller Menschen auf dem Prüfstand. Jetzt schließt das auch Verzicht ein um des Lebens und der Gesundheit willen. Ich möchte zum Gebet aufrufen, mit den Kranken und für die Erkrankten, für alle die in diesen Tagen an ihre Grenzen kommen, erschöpft und ausgelaugt sind. Das Gebet öffnet unseren Blick für die Leiden und Nöte anderer. Glaube und Gebet stehen nicht gegen Sachlichkeit und wissenschaftliche Rationalität, sondern öffnen unser Herz für ethisches Verantwortungsbewusstsein und auf Hoffnung mit anderen und für andere hin.“
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