Bergrettung: "Es gibt welche, die gehen barfuß auf den Traunstein"
Stefan Oberkalmsteiner am Berg.
Stefan Oberkalmsteiner ist seit vier Jahren Obmann der Bergrettung Gmunden. Der 44-Jährige ist Leiter des Holzbaus der Gmundner Baufirma Stern & Hafferl. Er ist für 40 Zimmerer und sechs Mitarbeiter im Büro zuständig.
KURIER: Im vergangenen Jahr hat Ihre Bergrettung 43 Einsätze mit drei Toten am Traunstein verzeichnet. Wie sieht es heuer aus?
Stefan Oberkalmsteiner: Es ist ähnlich den vergangenen Jahren. Wir haben im Jahr rund 60 bis 70 Einsätze. Heuer haben wir wieder drei Tote. Seit der Aufzeichnung haben wir im Schnitt gut einen Toten pro Jahr . In den vergangenen Jahren sind sie etwas mehr geworden, weil mehr Leute am Berg sind. Vor 50 Jahren waren noch nicht so viele unterwegs.
Es gibt im Sommer Tage, da sind am Traunstein 2.000 bis 3.000 Leute unterwegs. Werden sie noch mehr?
Ich glaube nicht. Am Grünberg sind nun mehr Touristen unterwegs, seit es die neue Seilbahn gibt.
Sie fahren mit der Seilbahn rauf.
Aber sie gehen runter, sie verlaufen sich, sie knicken um. Wir haben am Grünberg gleich viele Einsätze wie am Traunstein.
Obwohl der wesentlich niedriger und ungefährlicher ist.
Heuer wollte zum Beispiel ein Rollstuhlfahrer die Forststraße runterfahre. Obwohl er einen motorisierten Rollstuhl hatte und er in Begleitung war, war dann der Weg doch zu steil mit zu vielen Steinen. Er konnte nicht weiter.
Mit Leo Windtner, dem ehemaligen Präsidenten des Fußballverbandes, gab es einen prominenten Toten am Traunstein. Es gab Wiederbelebungsversuche, er ist dann aber doch im Rettungshubschrauber verstorben.
Wir waren zu ihm unterwegs, aber der Notarzt hat ihn schon vorher übernommen. Der Hubschrauber ist in fünf Minuten da. Wir brauchen doch eine Viertelstunde.
Hat sich Windtner selbst übernommen?
Nein, das glaube ich nicht. Sein Zusammenbruch war noch ziemlich weit unten. Er war ein Geher, er hat jedes Jahr den Traunstein bestiegen. Er ist früher des Öfteren mit Bergrettungskollegen gegangen. Er war kein extrem heißer Tag, es war ein angenehmer Tag zum Berggehen.
Als wir vom Berg runtergekommen sind, mussten wir schon zum nächsten Einsatz. Am Naturfreundesteig war eine Kletterin abgestürzt. Sie hatte Knieverletzungen und wurde mit einem anderen Hubschrauber, dem des ÖAMTC, abtransportiert.
Stefan Oberkalmsteiner
Mitte August gab es eine Meldung, dass Ihre Organisation an Ihre Grenzen gestoßen ist. 50 Freiwillige sind oft zu wenig. Stimmt das?
Ja, es stimmt. In den Ferien. Wenn Hochsaison ist, sind auch unsere Leute mit ihren Familien im Urlaub. Von den 50, die wir sind, sind 35 in der Lage, auf den Berg zu gehen. Manche sind schon älter, sie fahren mit dem Bus, räumen auf oder holen die Vakuummatratze vom Krankenhaus. Wenn von den 35 die Hälfte im Urlaub ist, die andere Hälfte nicht von der Arbeit wegkann, sind wir plötzlich nur mehr fünf, sechs.
Für einen Einsatz benötigen Sie acht Leute?
Das hängt vom Einsatz ab. Wenn wir die Gebirgstrage benötigen, braucht es vier Leute, damit wir sie bewältigen können. Für die Rücksicherung mit dem Seil braucht es noch einmal mindestens zwei. Besser ist es, wenn noch zwei Leute mehr dabei sind, denn das Seil hat 50 Meter, danach müssen wir wieder umhängen. Wir brauchen eigentlich acht Bergretter. Zudem geht es in die Arme und die Beine, wenn wir den Patienten runtertragen müssen.
Wie lange dauert ein Einsatz?
Es hängt von der Einsatzhöhe ab. Am Grünberg sind wir 20 Minuten bis eine halbe Stunde unterwegs.
Was ist, wenn zwei Einsätze gleichzeitig notwendig sind?
Dann muss man abwägen, welcher der Wichtigere ist. Als wir im vergangenen Jahr den an einem Herzinfarkt verstorbenen Bad Ischler Pfarrer Öhler vom Traunstein runtertransportiert haben, sollten wir auch zu einem Paragleiter, der unverletzt in den Bäumen hing. Da ist es nicht so entscheidend, ob wir fünf Minuten früher oder später dort sind.
Kommen Sie mit Ihren Kapazitäten aus oder kommen Sie an Ihre Grenzen?
Wir haben heuer wieder drei junge Anwärter aufgenommen. Für das nächste Jahr haben wir auch wieder drei. Es schaut gut aus.
Wie alt sind sie?
Zwischen 16 und 20 Jahren.
Sie werden eingeschult.
Sie müssen die Bergrettungsausbildung absolvieren, die 21 Tage dauert. In Erster Hilfe, ein Kletterkurs, ein Winter-Kurs, ein Eis-Kurs. Die Ausbildung geht jeweils über das Wochenende, verteilt über das gesamte Jahr. Man darf sich für die Kurse bis zu maximal vier Jahren Zeit lassen.
Da kommen sie schon zum Einsatz.
Ja, sobald sie Anwärter sind. Es gibt für sie einfachere Arbeiten.
Wie viele Einsatzstunden bringt Ihre Mannschaft zusammen?
Mehr als 1.000.
Alles freiwillig. Die Arbeitgeber müssen auch Rücksicht nehmen, wenn ihre Mitarbeiter zum Einsatz müssen.
Ich habe Glück, dass ich eine Führungsposition habe. Meine Arbeit erledigt für mich niemand. Wenn ich wegmuss, hole ich die Arbeit später nach.
Wer kommt für eure Kosten auf?
Die Förderung des Landes für die 23 Ortsstellen der Bergrettung in Oberösterreich beträgt rund 200.000 Euro. Aus diesem Topf können wir jährlich rund um 8.000 Euro Material bestellen. Für Helme, Gurte, Seile etc. Für jeden Einsatz werden dem Verletzten pro Stunde 480 Euro verrechnet.
Der Verletzte verrechnet das dann seiner Versicherung weiter.
Heute sind fast alle versichert, auch Touristen aus dem Ausland wie aus Tschechien oder der Slowakei. Sie schließen oft eine Unfallversicherung für einen oder mehrere Tage ab. Viele Geher sind Mitglied des Alpenvereins oder der Naturfreunde, bei denen eine Versicherung inkludiert ist. Es gibt zudem eine Versicherung der Bergrettung von 36 Euro pro Jahr, bei der die gesamte Familie mitversichert ist.
Die Kosten eines Hubschraubereinsatzes verrechnet der jeweilige Betreiber.
Was kostet eine Hubschrauberstunde?
Gegen 6.000 Euro. Wir hatten im vergangenen Jahr einen Einsatz am Katzenstein, bei dem der Hubschrauber wegen des Nebels relativ lang warten musste. Der Betreffende war bis 13.000 Euro versichert, die Kosten betrugen aber 18.000 Euro. Da versucht man dann eine Lösung zu finden. Wir halbieren die Kosten oft, wir sind kulant. Es ist aber wichtig, sich zu versichern. Wenn der Polizeihubschrauber fliegt, stellt die Polizei auch eine Rechnung. Wenn man sich vergeht, aber gut ausgerüstet ist, wird keine Rechnung gestellt.
Aber es sind oft jene betroffen, die in Turnschuhen unterwegs und nicht ausgerüstet sind. Die Polizei schätzt dann ab, ob das grob fahrlässig war. Wenn das der Fall ist, bekommt der Betroffene eine Rechnung.
Gibt es noch Touristen, die in Badeschlapfen auf den Traunstein gehen?
Ja, die gibt es. Wir hatten kürzlich einen Einsatz für einen Barfußgeher. Er hat uns erklärt, dass er alles barfuß bewältigt, egal, wohin er geht. Er hat extrem lange gebraucht, er ist in die Dunkelheit gekommen und es hat geregnet. Er hat es mit unserer Unterstützung geschafft, dass er wieder runtergekommen ist.
Habt Ihr ihm eine Rechnung gestellt?
Ja, sie wurde auch bezahlt.
Sind diejenigen, die sich Eskapaden leisten oder mutwillig ins Risiko gehen, eher die Ausnahme?
Ja, das sind sie. Heuer haben sich zum Beispiel welche verstiegen, die im Internet den Begriff leichter Berg eingegeben haben. Da sei ihnen der Traunstein vorgeschlagen worden, haben sie gesagt. Sie haben dann vom Berg angerufen, sie wissen nicht mehr weiter, sie kennen sich nicht aus. Ich habe sie gefragt, wo sie sind. Sie wussten es nicht. Durch viele Fragen habe ich das herausgefunden.
Die Menschen, die sich ausschließlich aus dem Internet informieren, werden immer mehr.
Wenn sie aber dann zum Berg kommen, müssten sie ja sehen, dass er steile Anstiege hat und dass es keine Plätze zum Ausrasten gibt.
Den Traunstein kann man nur gehen, wenn man Bergerfahrung hat.
Es sollten zuerst einige Berge gegangen worden sein, die niedriger sind. Wie der Hochlecken oder der Kleine Sonnstein.
Jetzt ist Mitte November. Gehen immer noch welche auf den Traunstein?
Ja, es ist genug los. Am vergangenen Samstag waren extrem viele unterwegs. Oberhalb von 700 Metern gibt es keinen Nebel mehr, auf der Hütte hatte es 14 Grad. Bei Nebeltagen gibt es nichts Schöneres.
Manche gehen auch im Winter rauf.
Die gibt es auch. Wenn sie gut ausgerüstet sind, passt es. Sie müssen bergerfahren sein, sie brauchen Steigeisen und Eispickel, sie brauchen möglicherweise Eisschrauben, um sich zu sichern. Wer das macht, sollte hochalpine Erfahrung haben.
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