95 Rinder notgeschlachtet: Betrieb kassierte Tierschutzförderung
Ein Landwirt in Oberösterreich lässt 105 Rinder verwahrlosen, die Behörden schreiten - spät - ein, zehn wurden noch am Hof notgeschlachtet, 85 weitere, auch in einem nicht mehr allzu guten Zustand, auf einem Schlachthof.
Der Betrieb liegt nicht abgeschieden, sondern am Rande einer kleine Rotte, die zur kleinen Gemeinde Berg im Attergau gehört.
Die behördliche Aktion ist schon in der Vorwoche erfolgt. Jetzt hat die Tierschutzorganisation Pfotenhilfe herausgefunden, dass eben dieser Betrieb in den letzten Jahren Förderungen erhalten hat, die von der AMA (Agrarmarkt Austria) ausgezahlt wurden.
Einzusehen in der Transparenzdatenbank. 2023 wurden 2.102,52 Euro explizit aus dem Titel "Tierschutz" gezahlt, im Jahr davor sogar noch 4.444,61 Euro.
"Wir alle subventionieren mit unseren Steuern diese extreme Tierquälerei", stellt Pfotenhilfe-Sprecher Jürgen Stadler fassungslos fest.
"Das ist purer Zynismus auf dem Rücken der Tiere und der Steuerzahler. Die AMA sollte die Betriebe, denen sie diese Förderungen ausbezahlt, regelmäßig auf Einhaltung der Förderrichtlinien kontrollieren. Wird hier bewusst weggeschaut oder gar nicht kontrolliert?"
Und Stadler stellt generell die Frage, ob eine Förderung aus dem Titel "Tierschutz" für einen Betrieb, der noch mit Vollspaltenböden arbeitet, überhaupt gerechtfertigt.
Förderung könnte zurückgefordert werden
Für die AMA versichert deren Sprecher Harald Waitschacher, dass die Auszahlungen im Rahmen der Vorgaben überprüft werden. In einem Fall wie diesem werde - nach Vorliegen aller Vorwürfe - geprüft, ob die Förderung zurückgefordert wird.
Im Jahr 2021 ist das in 150 Fällen bei Verstößen gegen den Tierschutz passiert - bei rund 80.000 Betrieben, in denen Tiere gehalten und Förderungen ausbezahlt werden.
Bauer im "Burnout"
Aber wie kann es überhaupt dazu kommen, dass auf einem Betrieb, eingebunden in ein örtliches Umfeld, 105 Tiere so weit vernachlässigt werden, dass sie notgeschlachtet werden? "Meistens steckt ein soziales Problem dahinter", sagt der oberösterreichische Veterinärdirektor Thomas Hain.
"Es lässt ja niemand absichtlich seine Tiere verhungern", ist Hain überzeugt. Aus Erfahrung weiß er: "Oft steht davor ein persönliches, soziales Problem." Etwa durch Trennungen, Unfälle, Krankheiten.
Durch den Strukturwandel gebe es immer mehr große Betriebe - da sei dann auch rasche Hilfe, etwa von Nachbarn, schwieriger zu bewerkstelligen.
Oft ist es auch "einfach" nur Überforderung. Im aktuellen Fall heißt es, dass der Landwirt ein Burnout bekommen und seine Tiere deshalb nicht mehr versorgt habe.
Ernst Pachler, Bürgermeister der Gemeinde Berg im Attergau, zu der der Rindermastbetrieb gehört, kennt einige Hintergründe.
Unter 050 6902-1800 (Montag bis Freitag, jeweils 8.30 bis 12 Uhr) ist das bäuerliche Sorgentelefon erreichbar.
Ein erstes Gespräch bringt oft eine erste spürbare Erleichterung in einer schwierigen Situation. Einfach jemandem zu erzählen, wie es ist, ohne dafür verurteilt zu werden, ohne eine bessere Meinung zu bekommen, einfach gehört und verstanden zu werden.
Das Beratungsangebot ist kostenfrei, auf Wunsch anonym und unterliegt der Verschwiegenheitspflicht.
Der Mann (58) lebt mit seiner Mutter auf dem Hof. Erst vor nicht allzu langer Zeit habe der Bauer die Landwirtschaft der Schwester seiner Mutter zusätzlich übernommen, weil es dort keinen Nachfolger gab.
"Bauer war einsichtig"
Mit dem Mann habe es aufgrund des von der Gemeinde finanzierten Tiergesundheitsdienstes schon im Vorjahr Kontakt mit der Bezirkshauptmannschaft gegeben. Pachler: "Der Bauer war bei diesen Gesprächen einsichtig, hat es dann aber offenbar doch nicht geschafft."
Dass in der Nachbarschaft die Entwicklung auf dem Rindermastbetrieb niemand gemerkt hat, kann Pachler nachvollziehen: "Da gibt es ja kein Gebrüll von hundert Tieren."
Davon ist auch Michael Wöckinger von der Landwirtschaftskammer überzeugt. "Die Ursache war persönliche Überforderung, die hier in einem Tierschutzproblem gemündet ist", resümiert er, "das geht dann oft schnell, binnen weniger Tage."
Hilfe holen, wenn Hilfe nötig ist
Er betont aber, dass man von solchen - absolut untragbaren - Einzelfällen nicht auf die Allgemeinheit der Bauernschaft schließen dürfe. Wöckinger ist auch überzeugt, dass noch mehr Kontrollen nicht der Weisheit letzter Schluss seien.
Vielmehr pocht er auf Nachbarschaftshilfe und das persönliche Umfeld. Und er bringt das Sorgentelefon ins Spiel. 278 Anrufe hat es dort im Jahr 2023 gegeben.
Wöckinger: "Bei der Beratungsstelle Lebensqualität Bauernhof gibt es geschultes Personal, das bei Problemen Hilfestellungen gemeinsam mit dem betroffenen Landwirt entwickelt." Konkret gibt es etwa Betriebshilfen oder Zivildiener, die einem Landwirt temporär in Notfällen zur Seite gestellt werden können.
Zurück zum aktuellen Fall. Der Landwirt ist jetzt allein auf seinem Bauernhof, ein Antrag auf Frühpension soll gestellt werden, weiß der Bürgermeister. Und es gibt Interessenten, die die Landwirtschaft übernehmen würden - allerdings ohne Rinderhaltung.
Strafrechtliche Konsequenzen?
Derzeit laufen Verfahren bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck. Dort war am Dienstag niemand für eine Stellungnahme erreichbar. Dem Landwirt könnten aufgrund der Schwere der Vorwürfe auch strafrechtliche Konsequenzen drohen. Derzeit ist allerdings noch kein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Wels anhängig.
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