„Bauen Pilotprojekt für Wasserstoff um 80-100 Mio. Euro“

Wirtschafts- und Energielandesrat Markus Achleitner
Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner will ein höheres Tempo bei der Energiewende. In der voestalpine wird ein Wasserstoffprojekt im industriellen Maßstab errichtet.

Markus Achleitner (53, ÖVP) ist seit vier Jahren Landesrat für Wirtschaft, Energie, Europa, Raumordnung, Sport und Wissenschaft.

KURIER: Für den Winter bzw. für das Jahr 2023 prognostizieren die Wirtschaftsforscher Stagflation, also hohe Inflation und niedriges Wachstum. Was wird Oberösterreich im nächsten Jahr erwarten?

Markus Achleitner: Wir kommen von einem hohen Niveau, mit einem Wachstum von 3,5 bis vier Prozent. Wir haben Vollbeschäftigung. Aber aufgrund der geopolitischen Verwerfungen, der hohen Energiepreise und der Inflation wird 2023 ein schwieriges Jahr. Für Oberösterreich wird ein leichtes Wachstum prognostiziert. In Deutschland geht man von einer Rezession aus. Die Entwicklung hängt stark davon ab, ob man auf europäischer Ebene wirksame Schritte gegen die hohen Energiepreise zustande bringt.

Der Gaspreis ist nun deutlich gefallen.

Die EU hat sich darauf verständigt, dass es eine Preisdeckelung für jenes Gas geben wird, das zur Verstromung (Stromherstellung) verwendet wird. Es gehen damit sowohl der Gas- als auch der Strompreis zurück. Da ist nun Bewegung hineingekommen. Wenn das auf EU-Ebene nicht gelingen sollte, wird man auf nationalstaatlicher Ebene handeln müssen, damit die Wirtschaft durch den Winter begleitet wird.

Manche Branchen wie zum Beispiel die Bäcker sagen, sie stehen vor der Pleite. Wie viele Betriebe werden im nächsten Jahr zusperren müssen?

Ich gehe davon aus, dass der Energiekostenzuschuss des Bundes, der bis September begrenzt ist, für das Winterhalbjahr verlängert wird. Dann würde das vierstufige Energieunterstützungssystem im Winterhalbjahr gelten. Das werden wir brauchen, denn sonst kann es zu Betriebsschließungen kommen, die wir vermeiden müssen.

Auch im Zuge der Covid-Krise wurde eine Pleitewelle befürchtet, die wegen der großzügigen Staatshilfen nie eingetreten ist. Wird hier nicht zu viel negative Stimmung gemacht?

Ich habe volles Verständnis für die Sorgen. Wir müssen denen helfen, die Hilfe wirklich brauchen, aber die Gießkanne vermeiden. Bei der Pandemie ist es mithilfe der Kurzarbeit gelungen, die Menschen in Beschäftigung zu halten. Mit sehr vielen Hilfen haben wir die Betriebe durchgetragen. Das hat dazu geführt, dass der natürliche Ausleseprozess in der Wirtschaft verzögert wurde. Diese Prozesse sind reinigend und notwendig, damit die Mitarbeiter in Betriebe wechseln, die gut gehen. Hier kommt es gerade zu einem Nachzieheffekt. Nun stellt sich aber die Frage, ob Betriebe wegen der Energiekrise über den Winter kommen. Denen muss man helfen. Am besten mit einer europäischen Lösung. Wenn diese nicht kommt, mit einer nationalen.

Alle reden von und fordern die Energiewende. Wo findet sie in Oberösterreich statt?

Sie läuft auf Hochtouren. Es gibt kein Bundesland, wo mit 84 Prozent mehr erneuerbare Energie aus Wasserkraft erzeugt wird als hier. Es gibt kein Bundesland, wo mehr Biomasse und wo mehr Sonnenenergie erzeugt wird. Bei der Windkraft liegen wir auf Platz vier. Wir sind bei der Energiewende führend. Das ist insofern beachtlich, weil wir eine energieintensive Industrie und Wirtschaft haben. Aber der Zug muss mehr Tempo aufnehmen. Deshalb investieren wir in alle Richtungen.

Wir haben einen Fotovoltaikboom wie noch nie. Als ich 2018 in die Landesregierung gekommen bin, gab es 3.800 Anträge auf Fotovoltaik, heuer werden es 50.000 bis 60.000 sein, was zu gewissen Wartezeiten führt. Die Energiewende ist bei den Menschen und den Unternehmen angekommen. Jede Kilowattstunde, die wir selbst erzeugen, müssen wir nicht teuer zukaufen.

Um die Einspeisungen aus der Fotovoltaik zu sichern und den steigenden Bedarf abzudecken, fordert die E-Wirtschaft neue Stromtrassen. Wo werden nun welche errichtet?

Wir investieren bis 2027 eine Milliarde Euro in den Ausbau des hochrangigen Stromnetzes, was in einem Masterplan festgehalten ist. Wer erneuerbare Energie will, muss auch Stromnetze wollen. Ich habe nun in Auftrag gegeben, den Masterplan bis 2032 auszudehnen. Wir brauchen ein deutlich leistungsfähigeres Stromnetz. Das ist ein wesentlicher Faktor für einen wirtschaftsstarken und resilienten Wirtschaftsstandort.

Wie sieht es mit der Versorgung mit Gas aus?

Es ist viel gelungen in jenen Bereichen, die man in Österreich bewegen kann. Die Gasspeicher sind zu 85 Prozent gefüllt, die Kapazitäten liegen bei einem Jahresverbrauch. Gut die Hälfte kann von Österreich beansprucht werden, ein Drittel ist in ausländischer Hand. Wir werden hier gut durchkommen.

Was ist langfristig?

Wir haben die Abhängigkeit von russischem Gas von über 55 Prozent auf unter 40 Prozent reduziert. Es wurden andere Gaslieferanten angesprochen. Kurzfrist heißt Diversifizieren, Einspeichern und Energiesparen. Ein Drittel des Gasverbrauches brauchen wir für die Stromerzeugung. Jede Kilowattstunde Strom, die wir sparen, spart auch Gas.

Erich Frommwald von den Kirchdorfer Zementwerken sagt, dass das Unternehmen nicht auf Gas verzichten kann.

Sie sind zu 95 Prozent bereits autark. Ihre Abhängigkeit betrifft nur mehr fünf Prozent. Bei der Energiewärme wird es einen Gasersatz brauchen. Das werden der Wasserstoff und seine Derivate sein. Grün erzeugter Wasserstoff ist eine gesamteuropäische Frage. Wir werden so viel grünen Wasserstoff wie möglich in Europa erzeugen, das wird aber nicht genug sein. Zwischen 30 und 40 Prozent des gesamteuropäischen Bedarfs wird künftig importiert werden müssen. Wir brauchen eine europäische Entscheidung, wo wir diesen Wasserstoff erzeugen und wie wir ihn nach Europa bringen.

Wie lange wird sich das noch hinziehen? Das dauert doch noch mindestens 20 Jahre?

Nein, das glaube ich nicht. Krisen sind Tempobeschleuniger. Vor der Pandemie hat die Entwicklung eines Impfstoffes zwischen acht und zwölf Jahre gedauert. In der Pandemie war man in acht Monaten fertig.

Wann wird erstmals Wasserstoff aus Nordafrika nach Oberösterreich geliefert?

Das wird in den nächsten zehn bis 15 Jahren der Fall sein.

Wo werden die 60 bis 70 Prozent an grünem Wasserstoff herkommen, die wir selbst produzieren?

Sie werden aus Projekten kommen, die wir in Europa realisieren können, wo zum Beispiel grün erzeugter Strom auch Wasserstoff erzeugen kann. Zum Beispiel offshore durch Windkraft, oder durch Solarenergie. Theoretisch kann man auch mit Wasserkraft Wasserstoff erzeugen. Es wird hier auf allen Ebenen geforscht. Wir beweisen beim Wasserforschungsprojekt der voestalpine, dass wir Wasserstoff erzeugen können. Wir wollen nun ein großes Wasserstoffpilotprojekt im industriellen Maßstab um 80 bis 100 Millionen Euro bei der voestalpine bauen.

Wann startet das Projekt?

Wir sind mitten in den Förderverhandlungen mit dem Bund. Es soll in den nächsten zwei, drei Jahren umgesetzt werden. Wir wollen hier im industriellen Maßstab forschen und zeigen, wie man grünen Wasserstoff erzeugen kann.

Wie wird hier im konkreten Fall grüner Wasserstoff produziert?

Zum Beispiel aus Abwärme.

Beim Ausbau der Windkraft gibt es immer wieder Diskussionen mit den Grünen, die viel mehr Windräder wollen. Sie hingegen argumentieren, dass es im Land nicht genügend Wind gibt.

Wir wollen einen Mix an erneuerbarer Energie, der sich an unseren Stärken orientiert. Es wurde am Nationalfeiertag nun in Munderfing das 31. Windrad in Betrieb genommen. Wir bekennen uns zu 100 Prozent zum Ausbau der Windkraft. Wir haben das im Regierungsprogramm verankert. Wir forcieren das Repowering, also den Ersatz alter Windräder durch neue und wesentlich effizientere. Diese bringen teilweise die doppelte Leistung. Und wir wollen bestehende Standorte deutlich ausbauen. Das ist die Priorität. Neue Standorte sind auch möglich, wenn alle gesetzlichen Richtlinien eingehalten werden. Im Nationalpark gibt es beispielsweise keine Windräder. Im vergangenen Jahr waren rund zehn Projektanten bei mir zur Vorsprache. Die Windräder werden von Privatinvestoren errichtet, nicht vom Land.

Wann ist die Energiewende in Oberösterreich vollzogen? In 20 Jahren?

Wir werden 2030 beim Strom sehr weit sein. Wir werden da bei 100 Prozent liegen. Bei der Wärme hoffentlich 2040.

Wann wird die Transformation der Industrie vollzogen sein?

Die Industrie gibt hier so viel für Forschung aus wie niemals zuvor. Die Krisen sind Tempomacher. Bis 2040 wird sehr viel gemacht worden sein, aber das ganz große internationale Ziel ist 2050.

Kommentare