AMS-Chefin: „Der berufliche Umstieg scheitert oft am Geld“
Iris Schmidt (51) ist seit einem Jahr Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice (AMS) Oberösterreich.
KURIER: Die Arbeitslosigkeit ist im Februar von 4,7 auf 5,4 Prozent gestiegen. Erfolgreiche Industrieunternehmen kündigen Mitarbeiter. Macht Ihnen das Sorgen?
Iris Schmidt: In der Gesamtbetrachtung sind wir zurückhaltend wachsam. Es handelt sich um eine Konsolidierung. Der Arbeitsmarkt hat sich schon Mitte 2023 verändert, weil wir mehr Zugänge in die Arbeitslosigkeit gehabt haben. Wir hatten aber auch noch viele Abgänge, deshalb hat es sich in den Zahlen nicht so extrem niedergeschlagen.
Die Industrie ist in der Rezession.
Diese schlägt sich nun in der Arbeitslosigkeit nieder. Aber nicht so stark, wie man das erwarten würde. In der Vergangenheit war sie unter diesen Vorzeichen wesentlich höher. Wir hatten im Vorjahr so viele unselbstständig Beschäftigte wie nie, ihre Anzahl ist gestiegen.
Der Grund ist, dass die Firmen die Mitarbeiter nicht sofort freistellen, sondern versuchen, sie im Betrieb zu halten. Weil sie wissen, dass die Keule der Demografie in den nächsten Jahren zuschlagen wird. Sie wissen, wer in Pension gehen wird und sie wissen, dass sie nur schwer neue Mitarbeiter finden werden.
Die Grünen interpretieren die steigenden Arbeitslosenzahlen so, dass die Diskussion über Arbeiten in der Pension für sie zweitrangig ist. Haben sie recht?
Hier gibt es kein richtig oder falsch. Das ist eine politische Diskussion. Ich glaube nicht, dass man aufgrund von vorübergehenden Erscheinungen am Arbeitsmarkt sagen kann, das eine nicht, das andere schon. Es braucht langfristige Betrachtungen.
Der Langfristtrend ist Arbeitskräftemangel.
Die Demografie lügt nicht. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat das Wirtschaftswachstum von 0,9 um 0,2 Prozent nach unten korrigiert. Es ist genauso verkehrt zu sagen, wir machen das jetzt nicht, wie zu sagen, wir müssen es unbedingt machen.
Die Unternehmen reagieren bei der Anwerbung bzw. beim Halten von Mitarbeitern unterschiedlich. Manche bieten eine Vier-Tage-Woche an. Gibt es einen Trend zur Vier-Tage-Woche?
Man muss sich als Unternehmen dem Thema des ausgewogenen Verhältnisses von Freizeit zur Arbeitszeit stellen. Das bringt der Arbeitnehmermarkt mit sich. Wie das umgesetzt wird, wird individuell sein. Es wird Bereiche geben, wo das schwieriger sein wird, und welche, wo es leichter sein wird. Man wird den Arbeitnehmern verschiedene Arbeitszeitmodelle anbieten müssen, damit man sie halten bzw. gewinnen kann.
Ist es gerechtfertigt, von einem Arbeitnehmermarkt zu reden? Die Arbeitnehmer entscheiden, welchen Arbeitgeber sie bevorzugen. Früher haben die Arbeitgeber entschieden, wen sie aufnehmen, es war ein Arbeitgebermarkt.
Das hat sich in allen Bereichen geändert. Durch das Nachlassen der Konjunktur ist es im Moment etwas leichter, Arbeitskräfte zu finden. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es Branchen gibt, die händeringend nach Arbeitskräften suchen.
Zum Beispiel?
Gesundheit, Pflege, Schulwesen, Erziehung. Durch den Ausbau der Kindergärten braucht es mehr Pädagoginnen und Betreuungspersonal. Die öffentlichen Institutionen suchen, weil die Babyboomer in Pension gehen. Der Wettbewerb um die Arbeitskräfte ist heute ein branchenübergreifender. Und er ist auch regionsübergreifend. Wir haben zum Beispiel im Innviertel zahlreiche Großbetriebe und gleichzeitig viele Klein- und Mittelbetriebe.
Die Großen saugen den Arbeitsmarkt auf. Diese Entwicklung wird nicht aufhören. Das kann aber auch für die Großen zum Problem werden, wenn es rundherum keine Handwerker, keine Installateure, keinen Einzelhandel, keine Gasthäuser und keine Infrastruktur mehr gibt.
Arbeiterkammerpräsident Andreas Stangl kritisiert, dass der berufliche Umstieg finanziell kaum zu bewältigen ist, wenn er eine längere Ausbildung erfordert. Derzeit erhalten die Auszubildenden für die se Zeit Arbeitslosengeld, das lediglich 55 Prozent des Lohnes ausmacht.
Bildung muss man sich leisten können. Wer eine längere Ausbildung absolviert, erhält als Basis für den Lebenserhalt das Arbeitslosengeld. Neu eingeführt worden ist ein Schulungskostenbeitrag, der dazukommt und der sich je nach Länge der Ausbildung zwischen 220 und etwas mehr als 300 Euro bewegt.
Trotzdem ist für die Menschen der finanzielle Verlust ein Problem.
Für einen längeren Zeitraum muss man sich das leisten können. Im Gesundheitsbereich sind das eineinhalb bis zwei Jahre, abgesehen von der Ausbildung zur Heimhilfe, die nur ein halbes Jahr dauert.
Was könnte man hier tun? Bei der Exekutive sind die Polizeischüler angestellt und erhalten drei Jahre lang ein Gehalt.
Das ist ein fairer Ansatz, um Menschen Qualifizierung und ein Dienstverhältnis zu erlauben. Das macht Sinn. Es wird das teilweise bereits im Gesundheitsbereich bei den Sozialhilfeverbänden in deren Alten- und Pflegeheimen so gemacht. Es bieten auch Unternehmen Möglichkeiten an, dass die Arbeitnehmer ihre Stunden reduzieren und Ausbildungen bezahlt werden.
Dort, wo das Einkommen gesichert ist, ist Ausbildung Erfolg versprechend. Wo das nicht der Fall ist, gibt es hohe Abbruchraten. Bei längerfristigen Ausbildungen sind die Abbruchraten höher.
Die Umsteiger scheitern nicht an der Ausbildung, sondern am Geld.
Es geht ihnen das Geld aus. Wenn die Wirtschaft floriert, erhalten die Arbeitnehmer oft Angebote, wo sie einiges mehr an Geld bekommen als in der Ausbildung. Dann entscheiden sie sich meist für das kurzfristige Geld. Noch dazu handelt sich hier meist um eine Klientel, die keine Rücklagen hat.
Hilfreich wären auch mehr Ausbildungen, die sich in mehrere Blöcke aufteilen. Man müsste stärker auf die Kompetenzen und Fähigkeiten der Auszubildenden eingehen. Dann würden Ausbildungen etwas kürzer dauern. Es gäbe dadurch mehr Möglichkeiten, dass Menschen einen neuen Berufsweg einschlagen können.
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