„2014 wird es noch mehr Arbeitslose geben“

„Es gibt viele Arbeitnehmer, die gerne über das gesetzliche Pensionalter hinaus arbeiten würden. Dafür muss man die politischen Rahmenbedingungen schaffen“: Birgit Gerstorfer
Die AMS-Chefin über die Probleme am Arbeitsmarkt und die Anhebung des Pensionsalters

Birgit Gerstorfer ist Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice (AMS) Oberösterreich. Die 50-jährige Mutter zweier Töchter begann als Büroangestellte und als Sekretärin im AMS Eferding und wurde 2010 zur Landesgeschäftsführerin bestellt.

KURIER: Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. Sie liegt in Oberösterreich nun bei fünf Prozent. Was sind die Ursachen?

Birgit Gerstorfer: Es ist eine Verkettung mehrerer Ursachen. Die Älteren bleiben länger im Erwerbsleben. Österreichweit sind es bei den über 50-Jährigen im Vergleich zum November 2012 um 39.000 mehr.

Ist das eine Auswirkung davon, dass der Zugang zur Invaliditätspension erschwert wurde?

Ja. Da bringt das Sozialrechtsänderungsgesetz mit sich. Jene Personen, die nach dem 1. 1. 1964 geboren ist, also jene, die jünger als 50 sind, unterliegen einem anderen Zugang zur Berufsunfähigkeitspension.
Wenn eine befristete Arbeitsunfähigkeit festgestellt wird, erhalten diese nicht mehr eine befristete Berufsunfähigkeitspension, sondern von der Gebietskrankenkasse ein sogenanntes Rehabilitationsgeld, mit der ein Auftrag zur Rehabilitation verbunden ist.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen ist also sehr stark?

In Oberösterreich sind es 34 Prozent mehr. Das sind 1967 Personen.
Bisher hatten sich die Krisen viel stärker auf die Männer ausgewirkt. Jetzt sind auch die Frauen betroffen. Beim Handel sind es 915 mehr als im Vorjahr. Es sind auch dayli-Mitarbeiter, aber nicht ausschließlich. Rund 300 dayli-Leute sind tatsächlich in der Arbeitslosigkeit. Im Handel findet dadurch nun ein Verdrängungswettbewerb statt. Das Erwerbspotenzial ist größer geworden. Wir haben einen Zuwachs sowohl der Beschäftigung als auch der Arbeitslosigkeit.

Durch die Zuwanderung?

Das ist ein Teil. Wir wissen aus den Erfahrungen von 2010, dass in florierenden Zeiten mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen als in schwierigeren Phasen. Zum Beispiel nichtberufstätige Frauen, die sich um Betreuungspflichten kümmern. Oder Studentinnen und Studenten, die dann in den Arbeitsmarkt einstiegen, wenn die Lage gut ist. Die Öffnung des Arbeitsmarktes für die Slowaken, Ungarn, Slowenen und Tschechen im Mai 2011 ist mit ein Grund für das Anwachsen der Arbeitspotenziale. Rumänen und Bulgaren dürfen ab 1. Jänner kommen.
Auf der anderen Seite gibt es Teile der Wirtschaft, die jetzt über einen verstärkten Mitarbeiter-Abbau diskutiert. Wir haben zum Beispiel Signale aus der Bauwirtschaft, dass die Situation nicht so rosig ist.

Die Wachstumsprognose für 2014 beträgt 1,8 Prozent. Das ist gegenüber heuer mehr als eine Verdoppelung. Wirtschaftslandesrat Michael Strugl meint, dass das zu keiner Entlastung am Arbeitsmarkt führen wird.

Damit rechne ich auch nicht. Denn die Beschäftigung hinkt der Konjunktur ungefähr ein halbes Jahr nach. Die Betriebe versuchen bei anziehender Wirtschaft ihre Aufträge mit dem bestehenden Personal abzuarbeiten. Wenn sie ein gewisses Vertrauen in die Stabilität des Aufschwungs haben, beginnen sie Mitarbeiter einzustellen. Es gibt eine Zeitverzögerung sowohl bei der Aufnahme als auch beim Personalabbau. Sie kündigen erst dann, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.
Ich rechne erst Ende des dritten, Anfang des vierten Quartals 2014 mit einer Verbesserung am Arbeitsmarkt.

Strugl meint, dass es für eine Verbesserung am Arbeitsmarkt eines Wachstums von 2,2 bis 2,8 Prozent bedarf.

Ein Prozent beim Bruttoinlandsprodukt bringt ungefähr ein halbes Prozent Verbesserung am Arbeitsmarkt. Wenn aber gleichzeitig die Erwerbsbevölkerung wächst, dann kompensiert sich die Reduzierung der Arbeitslosigkeit wieder.

Derzeit beträgt die Arbeitslosenrate in Oberösterreich fünf Prozent. Wie hoch wird sie noch steigen?

Über den Jahresschnitt 2013 wird sie 5,1 Prozent betragen. Im Dezember wird sie auf mehr als sechs Prozent steigen. Im Jänner wird sie noch einmal höher sein, denn er ist wegen der Winterarbeitslosigkeit traditionell der Monat mit der höchsten Rate. Wir rechnen für 2014 optimistisch mit einer Arbeitslosenrate von 5,3 und pessimistisch mit 5,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen, moderater als heuer, aber sie wird wachsen.
2014 wird auch deshalb schwierig, weil wir die Reformen des Sozialrechts-Änderungsgesetzes umsetzen müssen. Unser AMS-Budget wächst nicht parallel zum Anstieg der Arbeitslosigkeit. Wir werden daher nicht mehr Umschulungskurse in dem Ausmaß anbieten können wie die Arbeitslosigkeit zunimmt.

Das faktische Pensionsalter soll erhöht werden. Damit wird die Zahl der Erwerbstätigen steigen. Welcher Maßnahmen bedarf es, dass die Älteren tatsächlich länger arbeiten können?

Die Erhöhung des faktischen Pensionsalters heißt nicht gleichzeitig, dass das Erwerbspotenzial steigt. In absehbarer Zeit kommt die Babyboomer-Generation ins Pensionsalter. Gleichzeitig wächst eine junge Generation nach, die halb so stark ist wie die Babyboomer. Im Jahr 2014 haben wir 15.000 Jugendliche, die 15 Jahre alt sind und damit ins Erwerbsalter kommen. Gleichzeitig steigen viele Ältere aus, die quantitativ wesentlich mehr sind. Die Anhebung des Pensionsalters bedeutet also keine Steigerung der Anzahl der Erwerbstätigen.
Mit Ende des Jahres 2013 fällt die Hacklerregelung, die zu einer Anhebung des Pensionsalters führen wird. Wenn man nicht mit 60 Jahren in Pension gehen kann, sondern erst mit 62, dann hat das Folgen. Die zweite Veränderung kommt durch das eingangs erwähnte Sozialrechts-Änderungsgesetz. Wenn es keine Unter-50-Jährigen mehr gibt, die eine befristete Berufsunfähigkeitspension bekommt, sondern Reha- oder Umschulungsgeld, dann zählen sie nicht zu den Pensionisten. Von den rund 1000 Oberösterreichern, die unter 50 sind und die bisher eine Pension bekommen haben, werden rund 850 keine mehr bekommen. Der Großteil von ihnen wird wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren.
Das Ziel der Koalitionsparteien, das faktische Pensionsalter bis 2018 auf 60 anzuheben,ist zweifelsohne ambitioniert, aber erreichbar.

Braucht es zusätzliche Maßnahmen am Arbeitsmarkt?

Ja. Sie betreffen aber nicht ausschließlich den öffentlichen Bereich. Das Mehr werden gesundheitsfördernde Aktivitäten in den Unternehmen sein, der verstärkte Ausbau des betrieblichen Gesundheitsgütesiegels, etc. Es geht in den Betrieben auch sehr stark um den Transfer von Wissensmanagement. Ältere Mitarbeiter kosten zwar mehr, haben aber auch einen hohen Erfahrungsschatz. Es geht um die Weitergabe dieses Wissens an die Jungen. Weiters: Wie kann man die Menschen so arbeitsfähig erhalten, dass sie gern in die Arbeit gehen und sie auch bewältigen können. Ein Älterer hat andere Bedürfnisse als ein Junger.
Es gibt auch viele Menschen, die gute Bedingungen an ihren Arbeitsplätzen vorfinden und die gerne über das Pensionsalter hinaus länger bleiben würden. Hier muss man politische Rahmenbedingungen herstellen, damit das attraktiviert wird.

Der SPÖ-Vorsitzende Reinhold Entholzer argumentiert, dass man beim Pensionsalter nicht alle über eine Kamm scheren kann. Einen Maurer müsse man anders behandeln als einen Beamten.

Hier müssen die Betriebe und die Betroffenen selbst Verantwortung übernehmen. Es gibt im Betrieb nicht nur den Maurer. Man kann zum Beispiel eine Polier- oder Bauleiterausbildung machen. Bei gesundheitlichen Problemen muss man Umschulungen ins Auge fassen. Hier muss man sich jeden einzelnen Fall genau anschauen.

Kommentare