AMS-Chef: „Qualifizierte Asylwerber sollten arbeiten dürfen“
Gerhard Straßer (64) ist Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservice Oberösterreich.
KURIER: Die Arbeitslosenrate betrug im Juni in Oberösterreich 3,3 Prozentpunkte. Das ist faktisch Vollbeschäftigung.
Gerhard Straßer: Die Literatur spricht bei drei Prozent von Vollbeschäftigung. Wir merken, dass auf dem Arbeitsmarkt sehr viel Bewegung ist. Wir werden im nächsten Monat die 700.000-er Grenze bei den Beschäftigten erreicht haben. Das ist ein Allzeithoch. Das alles läuft unter der Prämisse, dass die Gasversorgung gegeben ist. Wenn es kein Gas mehr gibt, ist schlagartig alles anders. Wir sind ein Industriebundesland. Wir wären das am stärksten betroffene Bundesland.
Wie hoch wäre die Arbeitslosigkeit im Fall eines Gasstopps?
Die Politik und die Sozialpartner werden sich in dem Fall vermutlich für Kurzarbeit entscheiden. Ähnlich wie in Pandemiezeiten. Derzeit sagen wir in Oberösterreich, dass wir keine Kurzarbeit mehr haben wollen, weil überall Personal gesucht wird.
Der Arbeitskräftemangel ist ein längerfristiges Problem, das über einen eventuellen Gasstopp hinausreicht.
Die Babyboomer gehen in Pension. Und es kommen weniger Jugendliche nach. Deshalb handelt es sich hier um ein längerfristiges Thema. Die Wirtschaft brummt, der Bedarf ist da. Migration wäre eine mögliche Lösung. In unseren Nachbarländern sind aber die Arbeitslosenquoten niedriger als in Österreich. Dieses Potenzial ist ziemlich ausgeschöpft.
Eine weitere Möglichkeit für Zuwanderung aus nichteuropäischen Staaten ist die Rot-Weiß-Rot-Karte. Aber Österreich ist als Werber nicht allein, es werben auch andere Staaten. Es gibt mehr Wettbewerb um diese Kräfte. Im IT-Bereich gibt es einen weltweiten Wettbewerb.
Neben den ukrainischen Flüchtlingen, die jetzt da sind, gäbe es noch die anderen Asylberechtigten als Arbeitskräftepotenzial. Die Asylverfahren dauern lange. Diese jungen Leute dürfen nicht arbeiten, sie müssen vom Staat versorgt werden. Hier könnte man ein System ähnlich der Rot-Weiß-Rot-Karte installieren, damit Menschen mit bestimmten Qualifikationen schon während des Verfahrens arbeiten dürfen.
Das Gegenargument lautet, dass diese Menschen dann so gut integriert sind, dass sie im Fall der Ablehnung des Asylansuchens nur mehr schwer abgeschoben werden können. Somit würde jeder, der es ins Land schafft, auch illegal, hier bleiben können. Wenn er gut qualifiziert ist, wollen wir ihn haben, auch wenn er abgeschoben werden müsste. Dann bekäme er eine Rot-Weiß-Rot-Karte, weil er zum Beispiel IT-Spezialist ist.
Asylwerber sollen also arbeiten dürfen?
Nur für den Fall von einem hohen Arbeitskräftebedarf. Eine weitere Einschränkung wäre, dass Arbeiten nur in gewissen Sparten möglich sein soll.
Es gibt seit vielen Jahren Vorschläge, wie man die Beschäftigung attraktivieren könnte. Dass man zum Beispiel die Beschäftigungsquote bei den Frauen erhöht und ältere Arbeitnehmer zu längerem Arbeiten animiert. Es wird aber nur geredet und nichts davon realisiert.
Wir haben ein Manko in der Kinderbetreuung. Hier kann man sicher etwas verbessern. Es ist aber auch eine Einstellungs- und Motivationssache. Weiters gibt es Frauen, die in Pension gehen, die aber die letzten Jahre davor nicht mehr arbeiten. Das ist keine unbedeutende Gruppe. Wie kann man sie aktivieren? Nicht mit Geld. Nur durch Freude an der Arbeit.
Eine weitere Möglichkeit wäre, länger zu arbeiten oder optimiertere Zuverdienstmöglichkeiten während der Pension. Das Thema der Erhöhung des Pensionsalters ist nicht sehr populär und aus wahlpolitischen Überlegungen nicht zur erwarten. Außerdem ist es in vielen Berufssparten aufgrund der Belastung sehr unrealistisch. Das Pensionsalter für Frauen wird ab 2024 angehoben, was dem Arbeitsmarkt Arbeitskräfte bringen wird.
Hier erhebt zum Beispiel Landeshauptmann a. D. Josef Pühringer die Forderung, dass Zuverdienste von Pensionisten vom Pensionsbeitrag befreit werden sollen.
Auch Stefan Pierer, der Präsident der Industriellenvereinigung, möchte das.
Ein weiterer Aspekt für den Arbeitsmarkt ist die Verhinderung von Abwanderung. Wir müssen uns überlegen, wie wir es den Arbeitnehmern schmackhaft machen, in Österreich zu bleiben. Das beginnt bei der Willkommenskultur und reicht bis zum Angebot von Wohnmöglichkeiten. Integration und Einbindung im Betrieb sind wichtig, damit entsteht auch die Freude an der Arbeit. Englischsprachige Kindergärten und Schulen sind erforderlich, nicht nur in Linz
Die Arbeitgeber sind gefordert, sich wesentlich stärker um die Arbeitnehmer zu bemühen.
Die Unternehmer müssen verstehen, dass der Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt gewechselt hat. Die Arbeitnehmer sagen heute, ich habe mich bei drei Unternehmen beworben und ich gebe Bescheid, für wen ich mich entscheide. Es ist nicht leicht, das als Arbeitgeber zu verstehen. Dieses Umdenken geht nicht von einem Tag auf den anderen.
Wirtschaftsforscher prognostizieren eine Abschwächung der Konjunktur, manche sogar eine Rezession.
Das wird man wahrscheinlich erst im nächsten Jahr 2023 spüren. Wir merken schon, dass im Baubereich dieses Hoch 2023 nicht anhalten wird. Ein bisserl weniger Hoch macht nichts, denn es gibt keine Zimmerer, Fliesenleger, Installateure, etc. Wir brauchen Arbeitskräfte im Rahmen des Green Deals. Es gibt eine Stiftung für Umweltberufe im Ausbildungsbereich. Es fehlt uns aber das Schulungs- und Arbeitskräftepotenzial. Es könnte sein, dass Mitarbeiter vom Baugewerbe ins Baunebengewerbe wechseln und dort das tun, was wir unter Green Jobs verstehen. Sie machen dann zum Beispiel eine Ausbildung für die Montage von Fotovoltaikanlagen. Im Baubereich ist das Energiesparen und die Verbesserung der Wärmedämmung ein Thema. Wir brauchen dafür Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir derzeit nicht haben.
Kommentare