„Am Ende haben wir eine industrielle Landwirtschaft“
Franz Waldenberger (55) ist Biobauer und seit 2015 ÖVP-Bürgermeister der Gemeinde in Pennewang (Wels-Land). Im Dezember 2021 ist er zum Präsidenten der Landwirtschaftskammer Oberösterreich gewählt worden.
KURIER: In ganz Europa gehen die Bauern auf die Straße und demonstrieren, nur hier in Österreich nicht. Warum nicht? Die Grundproblematik ist ja dieselbe.
Franz Waldenberger: Es gibt Leute, die sagen, der Unterschied liegt darin, dass der Bauernbund über die ÖVP in der Regierung vertreten ist. Wenn man sich die Agrarpolitik in den verschiedenen Ländern ansieht, bestätigt sich das. In den Krisen hat es hier immer wieder Unterstützungen für die Landwirtschaft gegeben. Das war in den anderen Ländern nicht so, vor allem nicht in der Dichte.
In Deutschland haben die Proteste begonnen, ausgelöst wurden sie durch die Abschaffung der Begünstigung für den Agrardiesel. Die Demonstrationen haben sich europaweit zu Anti-EU-Protesten entwickelt, weil von der EU derartig viele Regulierungen kommen, die die Landwirtschaft massiv beeinträchtigen.
Von diesen Regulierungen sind ja auch die einheimischen Bauern betroffen.
Die Stimmung ist schlecht. Die Befindlichkeiten sind hier ähnlich negativ wie in den anderen Ländern. Im Rahmen des Green Deal der Europäischen Kommission (Europa soll der erste klimaneutrale Kontinent werden, Anm. d. Red.) sind verschiedenste Projekte entwickelt worden. Zum Beispiel die Verordnung zur Verwendung von nachhaltigen Pflanzenschutzmitteln, die Entwaldungsverordnung etc.
Es sind in Summe 136 Verordnungen. Sie bewirken einerseits Einschränkungen in der Produktion und verursachen andererseits ganz viel Bürokratie. Es ist derartig viel Dokumentations- und Kontrollaufwand da, dass die Bauern sagen, wir müssen arbeiten und Geld verdienen und nicht im Büro sitzen und Formulare ausfüllen.
Der Frust und die Verunsicherung sitzen ganz tief.
Die Bauern fragen sich, was kommt da noch alles daher? Planungssicherheit ist in der Landwirtschaft ganz wichtig. Wohin entwickelt sich die Landwirtschaft? Jetzt kommen in kurzer Zeit so viele Neuerungen daher, dass es selbst uns Interessensvertretern schwerfällt, den Überblick zu behalten. Ein Beispiel ist die Industrieemissionsrichtlinie, in der landwirtschaftliche Stallungen ab einer bestimmten Größe gleich bewertet werden wie Industrieanlagen.
Aber Industrieunternehmen sind doch von einer ganz anderen Größenordnung als die hiesigen bäuerlichen Betriebe.
Diese Größen sind bei uns noch bäuerlich, zum Beispiel ein Bauer mit 150 Zuchtschweinen. Wenn der Stall gebaut wird, müssen eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt und Sachverständigengutachten eingeholt werden. Ein derartiges Verfahren kostet rund 40.000 Euro. Selbst wenn das Verfahren durchgeführt ist, ist der Betreiber verpflichtet, jeweils den Stand der Technik zu installieren. Wenn es in fünf Jahren eine neue Lüftungstechnik für die Schweineställe gibt, muss diese dann eingebaut werden.
Die Landwirtschaft ist seit Jahrzehnten in der Defensive. Die Vollerwerbsbauern werden immer weniger, die einen hören ganz auf, die anderen stellen auf Nebenerwerb um. Wo endet diese Entwicklung?
Wenn diese Auflagenflut so weitergeht, werden immer mehr Bauern aus der Produktion aussteigen. Am Ende werden wir eine Landwirtschaftsindustrie haben, die die Gesellschaft eigentlich nicht will.
Also statt einer kleinbäuerlich strukturierten Landwirtschaft ...
... bleiben einige wenige Große über. Das ist der Effekt. Wir haben in Österreich viele benachteiligte Gebiete, vor allem im Gebirge. Da ist industrielle Landwirtschaft nicht möglich. Da werden dann die Almen zuwachsen, man wird Menschen beschäftigen müssen, die dort die Wiesen häckseln. Wenn die Betreuung dieser alpinen Regionen aus der Produktion heraus nicht möglich ist, stirbt das. Die Frage ist, was wir wollen.
Die Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft sind in Brüssel aktiv und bringen dort ihre Argumente bei der EU-Kommission vor. Offensichtlich erfolglos.
Die Projekte des Green Deal kommen von der Umwelt- und Klimaschutzseite. Es ist anerkannt, dass es hier einen Handlungsbedarf gibt. Auch von uns als Landwirtschaft. Das ist in unserem eigenen Interesse, weil wir als Landwirtschaft am meisten unter dem Klimawandel leiden. Durch Hagelunwetter, Überschwemmungen, Trockenperioden etc.
Die Verordnungen der EU-Kommission bringen aber für den Klimawandel nicht den erwünschten Effekt und sie beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit und die Versorgungssicherheit, weil geringere Erträge zu erwarten sind.
Ihre Vertreter konnten sich nicht durchsetzen.
In Brüssel lobbyieren viele unterschiedliche Gruppierungen. Die Frage ist, wer findet bei wem Gehör. Der ehemalige Klimaschutz-Kommissar und Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans hat den Green Deal durchgezogen. Gegen die Interessen der Landwirtschaft.
Die Bauern erfahren auch Kritik und Widerstand von Tierschutzorganisationen.
Neben den Verordnungen gibt es auch Veränderungen in der Gesellschaft. Themen wie Tierwohl haben einen höheren Stellenwert. In dieser Diskussion werden die Argumente der Landwirtschaft nicht mehr gehört und sie werden auf die Seite geschoben. Aus Tierschutzaspekten darf es keine Vollspaltenböden mehr für die Schweine geben, auf der anderen Seite will man aber das billige Schnitzel haben.
Die Menschen bekennen sich in den Umfragen zwar zum Tierwohl, beim Einkauf wird aber zum günstigen Fleisch gegriffen.
Hier haben wir viele gegensätzliche Entwicklungen und teilweise auch schizophrene Verhaltensweisen. Es ist widersprüchlich, wenn die Menschen diskutieren, ob sie sich wegen der Inflation das Leben noch leisten können und gleichzeitig werden die Kosten für die Lebensmittelproduktion verteuert.
Die Produktionsstandards werden zum Beispiel durch die Vollspaltenböden in die Höhe geschraubt. Die Bauern stehen vor der Entscheidung, ob sie noch investieren sollen oder nicht. Viele werden das nicht mehr tun. Und die, die investieren, haben keine Sicherheit, dass ihre Produkte tatsächlich gekauft werden.
Weil sie teurer sind.
Die Grünen argumentieren dann, das ist doch eine Chance, sich mit der Qualität auf den internationalen Produkten zu positionieren. Ich sehe aber in Europa nicht den Markt für diese hochpreisigen Produkte, weil der Großteil billige Lebensmittel will.
Wir haben in Österreich einen 30-jährigen Weg einer qualitätsvollen Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft hinter uns. Die Preis- und Inflationsdiskussion im vergangenen Jahr hat das fast alles ruiniert. Vor der Krise haben 60 Prozent der Menschen gesagt, sie schauen beim Einkauf mehr auf die Qualität und 40 Prozent haben angegeben, sie schauen auf den Preis. Nun sagen 20 Prozent, sie schauen auf die Qualität und 80 Prozent gibt an, mehr auf den Preis zu achten.
Kritiker der Bauerndemonstrationen sprechen ihnen das Recht dazu ab, mit dem Argument, wenn eine Gruppe wie die Bauern so viele Milliarden an Subventionen bekommt, hat sie kein Recht, Straßen zu blockieren.
Rund 40 Prozent des EU-Budgets sind Agrarsubventionen, das stimmt. Aber die Landwirtschaft ist in der EU der einzige Bereich, der vergemeinschaftet ist. Es gibt keine gemeinsame Sozialpolitik, keine gemeinsame Verteidigungspolitik etc. Das sind alles nationale Budgets, die sehen wir auf EU-Ebene nicht. Darum ist es unfair, uns das vorzuwerfen. Die anderen bekommen auch die Förderungen, aber aus den nationalen Budgets.
Die Förderungen sind an bestimmte Bedingungen geknüpft, zum Beispiel an ökologische Standards.
Die erste Säule der Förderung sind Ausgleichszahlungen für die sinkenden Erzeugerpreise, die durch den EU-Beitritt eingetreten sind. Für die zweite Säule muss man Umweltleistungen erbringen in Richtung Biodiversität, Klimaschutz, Wasserschutz etc. Hier ist Österreich Vorzeigeland. 84 Prozent der Bauern nehmen daran teil.
In welche Richtung wird sich die Landwirtschaft entwickeln?
Die jetzige Phase ist sicher eine entscheidende. Die Sache ist komplex. Es gibt Erwartungen der Gesellschaft, die Politik sprich Umweltseite regiert in die Landwirtschaft hinein, sprich all die Regulierungen aus Brüssel. Es gibt einen Arbeitsmarkt, der sehr aufnahmefähig ist.
Die Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft sind wegen ihres Engagements, ihrer vielfältigen Ausbildungen und wegen ihres selbstständigen Arbeitens gefragt.
Die Jungen haben alle Chancen. Sie sind gut ausgebildet, leistungswillig und gefragt. Jede/r überlegt sich, ob er Bauern sein will oder er sich sein Geld woanders verdient. Wenn die derzeitige Unsicherheit anhält, wird die Bereitschaft der Jugend steigen, etwas anderes zu machen. Es wird weniger Betriebsübernahmen geben.
In der Landwirtschaft kann man nicht einfach einen Schalter umlegen und von einem Tag auf den anderen alles anders machen. Die Entscheidungen von heute haben Konsequenzen für viele Jahre. Wenn man sich für einen Stall mit einem bestimmten Haltungssystem entscheidet, muss man ihn 25 Jahre lang betreiben können, damit die Investitionskosten wieder herinnen sind. Auch Fruchtfolgen kann man nicht jedes Jahr ändern.
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