Stöger: Großkonzerne schlimmer als feudale Fürsten

Alois Stöger, SPÖ-Abgeordneter zum Nationalrat und Leitender ÖGB-Sekretär
Der Gewerkschafter Alois Stöger übt massive Kritik an VW und MAN. Er fordert Lohnerhöhungen über der Inflationsrate und ortet im Land OÖ einen rigiden Machtapparat eines Clans.

Alois Stöger ist Leitender Sekretär der Produktionsgewerkschaft Pro-GE und Abgeordneter zum Nationalrat. Der 60-Jährige, der in Ottensheim wohnt, ist SPÖ-Bezirksparteiobmann von Urfahr-Umgebung. Weiters ist er Vorsitzender des Jugendzentren-Unterstützungsvereins. Von 2005 bis 2008 war der Mühlviertler Obmann der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse. Von 2008 bis 2017 bekleidete er in vier Bundesregierungen die Funktionen des Gesundheitsministers, des Ministers für Verkehr, Innovation und Technologie und des Ministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

KURIER: Der Verkauf des MAN-Werks in Steyr an Siegfried Wolf ist über die Bühne. Wird es in Steyr weniger Arbeitsplätze geben?

Alois Stöger: Sigi Wolf hat das gesamte Werk gekauft, mit allen Rechten und Pflichten. Er ist in alle Verträge mit den Arbeitnehmern eingestiegen. Damit sind alle Arbeitsverträge aufrecht. Er hat auch die Leiharbeiter übernommen, die MAN vorher gehabt hat. Das war bei seinem ersten Angebot anders, das von den Arbeitnehmern abgelehnt worden ist. Damals hat er gesagt, ich kaufe euch nur, wenn ihr auf Geld verzichtet. Das ist ein großer Unterschied.

Sie waren bei den Gesprächen dabei.

Nicht bei allen, aber bei den meisten. Ich war persönlich von Wolfs Wende überrascht. Es ist okay, wenn er sagt, er hat etwas anderes mit dem Werk vor. Darüber kann man sich einigen oder nicht, das ist immer so in der Wirtschaft. Wolf ist in die Vorleistung gegangen, das ist bemerkenswert, wie wohl er auch gesagt hat, er weiß nicht, ob er alle Arbeitsplätze halten kann.

MAN will die Produktion in Steyr nun bis Mai 2023 weiterführen, Wolf soll zukünftig auch Teile für MAN produzieren. Das Nein der Arbeitnehmer zum ersten Angebot hat sich jedenfalls bezahlt gemacht.

Natürlich. Hartnäckigkeit macht sich bezahlt. Wir haben gesagt, wir wollen mehr Arbeitsplätze haben. Weiters muss man für jene eine Lösung finden, für die es schwierig ist. Zum Dritten haben sich andere Unternehmen gemeldet, die Ideen gehabt haben. Sie können durchaus mehr Arbeitsplätze für Steyr generieren, als Wolf es alleine schafft.

Es schaut also für Steyr nicht so schlecht aus.

MAN hat durch den Verhandlungsprozess gesehen, dass es sich mehr anstrengen muss. MAN wird nun weitere Produkte in Steyr fertigen lassen. Für Wolf ist das auch vorteilhaft, weil er bei der Umstellung auf seine Produkte mehr Spielraum hat. Ich traue ihm zu, dass er bis 2023 weitere Aufträge generieren kann und sich dann die Frage des Abbaus von Mitarbeitern gar nicht mehr stellen wird.

Die Konjunktur in Oberösterreich läuft mit einem Wachstum von 4,1 Prozent derzeit sehr gut, die Arbeitslosigkeit ist auf vier Prozent gesunken. Wolf wird angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels möglicherweise froh sein, wenn die Arbeitnehmer bei ihm bleiben.

Ich gehe auch davon aus, dass Wolf froh ist, dass er gute, qualifizierte Arbeitnehmer hat. Er ist gut beraten, sie auch gut zu bezahlen. Das wird er auch tun. Er hat jetzt auch nicht mehr den Druck, alles zu reduzieren. Für die Arbeitnehmer ist es leichter geworden und sie haben jetzt auch eine Perspektive. Ich gehe davon aus, dass wir die Arbeitsplätze gesichert haben, das passt.

Zu welchen Schlüssen kommen Sie, wenn Sie auf die ursprüngliche Ankündigung, MAN Steyr zu schließen, zurückblicken?

VW hat eines seiner besten Werke hergegeben. Aus der Perspektive des Konzerns haben VW und MAN einen Riesenverlust gebaut. Die Arbeitnehmer wollen eine Zukunft haben, MAN hat sie ihnen abgedreht. Deshalb sind viele auch froh, dass es jetzt zu diesem Wechsel kommt.

Die Kampfmoral hat sich jedenfalls bezahlt gemacht.

Die Kampfmoral macht sich immer bezahlt, in dem Fall besonders. Wir brauchen in Europa eine Diskussion über die Begrenzung der Macht derartig großer Konzerne. Der Umgang war doch spannend.

Es war doch einigermaßen ernüchternd.

Sie haben sich schlimmer aufgeführt als die Fürsten und Ortsgrafen im Feudalismus. Sie waren der Meinung, es kann ihnen niemand an. Diese Haltung ist in einer demokratischen Gesellschaft in Europa inakzeptabel. Man muss sich der Macht dieser Konzerne entgegenstellen. Konzerne wie VW und MAN tragen eine Verantwortung für die Gesamtentwicklung einer Gesellschaft. Da können die Damen und Herren einiges lernen. Wir müssen einen kritischen Blick auf die demokratischen Strukturen richten. Das habe ich in dieser Auseinandersetzung jedenfalls gelernt. Insofern war es ein Riesenerfolg der Kolleginnen und Kollegen in Steyr, die bei der Abstimmung gesagt haben, wir lassen uns von euch nicht täuschen. Es ist ein Glück für MAN, dass Wolf das Werk übernimmt.

Die Inflation zieht deutlich an. Die Menschen spüren, dass das Leben teurer wird. Was bedeutet das für die Gewerkschaften? Deutliche Lohnerhöhungen wären die logischen Konsequenzen, wie das zum Beispiel der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Instituts, fordert.

Es ist interessant, dass manche Unternehmen in der Pandemie Riesengewinne gemacht haben. Anderen Branchen ist es nicht gut gegangen. Beides hat stattgefunden. Wir brauchen eine Erhöhung der Kaufkraft, die nur mit vernünftigen Lohnerhöhungen zu erreichen ist, damit die Wirtschaft am Leben gehalten wird und die Nachfrage gegeben ist. Es ist interessant, dass sich die Wirtschaftsforscher für kräftige Lohnerhöhungen starkmachen. Wir brauchen Abschlüsse über der Inflationsrate, damit das Wirtschaftswachstum belebt wird.

Es ist eine Tatsache, dass die Inflation, die die Menschen in ihren Taschen spüren, eine höhere ist, als die, die der Inflationsindex anzeigt. Er bildet aufgrund seiner Zusammensetzung die Teuerungen nur bedingt ab.

Wenn die Preise für die Energie, Wohnung und für die Lebensmittel steigen, kann das durchaus einen Unterschied machen.

Die Preise für das Wohnen, für Wohnungen und für das Bauen ziehen extrem an. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer kann sich heute kein Haus oder keine Eigentumswohnung mehr leisten.

Der gesamte Wohnungsmarkt ist ein Problem. Er ist durch das Zurückdrängen des öffentlichen Wohnbaus schwieriger geworden. Viele Reiche investieren nur mehr in Immobilien. Damit steigen die Preise ins Astronomische, normale Menschen können sich das nicht mehr leisten. Hier braucht es Begrenzungen. Es sind Maßnahmen für mehr Wohnungen, für qualitativere Wohnungen und für leistbare Wohnungen notwendig.

Am 26. September wird der Landtag neu gewählt. Was ist für Oberösterreich notwendig?

Oberösterreich muss im Kopf aufmachen. Es darf keinen rigiden Machtapparat geben, wo ein paar wenige glauben, dass sie die Weisheit mit dem Löffel zu sich genommen haben, wenn sie im richtigen Clan dabei sind. Und alle müssen dann nach ihrer Pfeife tanzen. Oberösterreich muss aufmachen.

Wohin wollen wir uns kulturell bewegen? Ich habe es als großen Verlust erlebt, dass man in Corona die Kultur als völlig wertlos erachtet und das kulturelle Programm verunmöglicht hat. Zum Beispiel bei den Blasmusikkapellen. Diese Entwicklung ist völlig falsch. Oberösterreich braucht mehr Offenheit, mehr Buntheit und mehr Diskurs. Der Herr Landeshauptmann verträgt neben und hinter sich keine starken Leute, das ist schade.

Wir als Sozialdemokraten werden antreten, damit die Demokratie stärker wird. In Krisen werden die Mächtigen stärker. Es ist spannend, dass die Regierenden auf Bundesebene ein Problem haben, weil sie mit den Menschen nicht in Verbindung gestanden sind. Pamela Rendi-Wagner war sachlich gut, sie war vorsichtig, sie hat Kompetenz gezeigt, die die Gesamtpartei stärkt.

Wenn man die Wählerumfragen studiert, kann sich Thomas Stelzer die Partei aussuchen, mit der er koalieren wird. Sollte die SPÖ in eine Koalition mit der ÖVP eintreten?

Die SPÖ will regieren. Sie wird immer Verantwortung für Österreich, für die Länder und die Gemeinden tragen. Wir wissen, dass wir der teuerste Partner sind. Wir sind immer der teuerste Partner, denn wir sind für die Leut’. Im Bund erleben wir, dass sich der billigste Partner alles gefallen lässt. Trotzdem werden wir nicht billiger werden.

Sie waren sechs Jahre lang Gesundheitsminister. Welche Gedanken sind Ihnen in der Corona-Krise durch den Kopf gegangen?

Es gibt drei große Kritikpunkte. Es gab keine öffentliche Diskussion über die Einschätzung des Risikos, es wurden die Menschen stattdessen in Angst hineingetrieben. Das ist ein Fehler. Minister Rudolf Anschober hat in meinem Bezirk (Urfahr-Umgebung) alle Schulen zu einem Zeitpunkt geschlossen, als es nicht einen einzigen Corona-Fall gegeben hat. Das ist ein völlig undifferenziertes Handeln.

Den zweiten großen Fehler hat der Bundeskanzler mit dem Satz gemacht, es wird jeder jemand kennen, der ... In dem Moment hat er die Sachebene verlassen und die Pandemie emotionalisiert. An der Tatsache, dass viele Jugendliche Probleme haben, zeigt sich, dass man überreagiert hat. Die Verordnungen wurden 40-mal geändert, selbst für mich war es schwierig zu wissen, welche nun gilt. Das ist der Tatsache geschuldet, weil man mehr Show machen wollte, anstelle einer Gesundheitspolitik für den Schutz der Menschen.

Der dritte Kritikpunkt ist, dass es keine Sensibilität für die Freiheits- und Menschenrechte gegeben hat. Der Verfassungsgerichtshof hat das immer wieder bestätigt, aber die Maßnahmen waren dann schon vorbei.

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