„Albert Rothschild war der reichste Mann Europas“

Louis Rothschild auf Jagd in Kenia
Neuerscheinung. Roman Sandgruber hat in fünfjähriger Arbeit das Archiv der österreichischen Rothschild-Familie durchforstet und als Erster darüber ein Buch verfasst.

Der Historiker und Universitätsprofessor Roman Sandgruber (71) hat viele Jahre das Institut für Zeit- und Wirtschaftsgeschichte an der Linzer Universität geleitet.

KURIER: Sie sind zu diesem Gespräch mit dem Rad angereist. Die Rothschilds fuhren auch Rad.

Roman Sandgruber: Die Rothschilds haben viele Hobbys gehabt. Der österreichische Zweig umfasste fünf Generationen, Albert Rothschild (1844–1911) war die vierte Generation. Er war der reichste Mann Europas, bei ihm musste alles groß sein. Er ging auf die höchsten Berge, nach Möglichkeit als Erster, auf den Montblanc, das Matterhorn, etc. Er war Hobbyastronom und hatte eine Sternwarte, er war ein Schachmäzen von hohen Graden. Er war auch ein begeisteter Radfahrer. 1885 ist das Fahrrad in der heutigen Form erfunden worden. In Lunz am See, wo er seine großen Besitzungen hatte, ließ er sich eine eigene Radfahrhalle und eine vier Kilometer lange, befestigte Radbahn bauen, damit er fahren konnte. Er begann mit dem Radfahren erst mit 50 Jahren und machte große Radtouren, zum Beispiel von Wien nach Mailand.

Die Schauspielerin Helene Odilon (1863–1939), die mit dem Schauspieler Alexander Girardi verheiratet war, sah in Bad Ischl den verwitweten Albert Rothschild. Sie inszenierte einen künstlichen Radfahrunfall, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Daraus entwickelte sich eine Liebschaft. Girardi wurde eifersüchtig. Rothschild und Odilon zogen den Psychiater Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) bei, sie versuchten Girardi ins Irrenhaus zu bringen. Sie warfen ihm vor, Kokain zu konsumieren.

Es war eine Riesenaffäre. Als Girardi von den Wärtern abgeholt werden sollte, flüchtete er durch das Fenster und lief zu Katharina Schratt. Zeitungskampagnen beschuldigten Rothschild eine Kampagne zu führen. Odilon ließ sich scheiden und war rund ein Jahr lang mit Rothschild zusammen. Dieser verlor dann das Interesse, die Beziehung zerbrach. Odilon wollte dann viel Geld haben. Rothschild gab ihr nicht viel. Er meinte lediglich: Jetzt habe ich schon ihretwegen meine Kinder vernachlässigt, so kann ich sie jetzt nicht noch ihres Vermögens berauben.

„Albert Rothschild war der  reichste Mann Europas“

Autor Roman Sandgruber

Worum geht es in Ihrem Buch?

Die Rothschilds waren rund 150 Jahre lang die reichste Familie Österreichs. Mit einem riesigen Abstand von eins zu zehn zur nächstreichsten Familie. Es ist über die Rothschilds in Österreich noch nie ein Buch geschrieben worden. Jetzt sind auch die Akten frei gegeben worden. Die Nazis haben 1938 das Familienarchiv beschlagnahmt. Vor 1938 konnte das nie jemand ansehen. 1945 hat die Rote Armee das Archiv nach Moskau mitgenommen. Erst 2002 wurde es von Russland an die englischen Rothschild zurückgegeben, denn die österreichische Linie gab nicht mehr. Jetzt ist es in London zugänglich.

Es geht im Buch um wirtschafts- und sozialhistorische Fragen. Fünf Generationen einer Familie ist etwas Außergewöhnliches.

„Albert Rothschild war der  reichste Mann Europas“

Das Buchcover zeigt die fünfte und letzte Generation der österreichischen Rothschild-Linie

Wie baut sich der Reichtum auf? Da werden viele Klischees zerstört. Die Rothschilds haben keine Sprachen können, sie sprachen Frankfurter Mundart mit jüdischen Einsprengseln aus dem Ghetto. Nathan Mayer (1777–1836), Sohn des Familienvaters Meyer Amschel Rothschild (1744– 1812), geht nach London und begründet dort die englische Rothschild-Linie, ohne ein Wort Englisch zu können. Nach acht Jahren gehört er zur finanziellen Oberschicht. Man weiß nicht genau, wie er das gemacht hat. Englisch hat er nie wirklich gut gelernt. Er schreibt bis zu seinem Tod in einem furchtbar holprigen Deutsch, dem sogenannten Judendeutsch. Das ist Frankfurter Dialekt in hebräischer Schrift.

Meyer Amschel Rothschild, der Stammvater, der im Frankfurter Ghetto aufgewachsen war, hatte mit seiner Frau Gutle Schnapper insgesamt 19 Kinder. Neun sind gestorben, es blieben fünf Mädchen und fünf Buben. Von den Buben ging Nathan nach London, Salomon nach Wien, Calmann „Carl“ nach Neapel, und Jacob „James“ nach Paris. Amschel blieb in Frankfurt.

Sie machten ihr Vermögen mit Münz- und Altwarenhandel. Münzensammeln ist damals sehr modern geworden. Meyer Amschel legte Münzkataloge auf. Er hat viel mit dem Kurfürsten von Hessen gehandelt, der ein begeisterter Sammler war und mit dem Verkauf von Soldaten nach Amerika reich geworden ist. Der nächste Schritt war der Handel mit Kolonialwaren, mit Baumwolle, Indigo und Kaffee. In den napoleonischen Kriegen ging es um Subsidientransfer. Die Engländer haben die europäischen Heere mit Geld unterstützt. Hier ging es hauptsächlich um Schmuggel, denn die Kontinentalsperre musste durchbrochen werden, was sehr riskant war.

Wie haben die österreichischen Rothschild ihr Geld macht?

Als Salomon nach Wien ging, war er schon reich. Er besorgte Staatskanzler Metternich Kredite, damit dieser seine europaweiten militärischen Interventionen finanzieren konnte. Und er hat die Lotterieanleihen erfunden.

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Salomon Rothschild finanzierte die Pferdeeisenbahn von Gmunden nach Budweis

Salomon hatte eine unternehmerische Spürnase, er hat sofort die Bedeutung der Eisenbahn erkannt. Ihm gehörte die Pferdeeisenbahn von Gmunden nach Budweis. Er hat hier seine ersten Erfahrungen gemacht und sich dabei die Finger verbrannt. Er schloss daraus, dass die Zukunft die Dampfeisenbahnen sind. Er ließ dann die Kaiser-Ferdinand-Nordbahn von Wien nach Krakau und zu den Kohlelagerstätten und Eisenwerken bauen. Das war die profitabelste Bahn. Danach baute er die Westbahn und Teile der Südbahn. Er hatte tüchtige Ingenieure wie den Matthias Schönerer. Der Sohn von Schönerer ist Georg Schönerer, der Führer der Deutschnationalen, der der größte Feind der Rothschilds wurde.

Salomon erkannte sofort die Bedeutung der Dampfschifffahrt und gründet den Triestiner Lloyd. Sie verschaffen sich das weltweite Quecksilbermonopol, das für die Goldgewinnung wichtig war, sie waren auch im Goldhandel tätig. Und er baute das Stahlwerk in Witkowitz auf, das später zum größten Stahlwerk Mitteleuropas wurde.

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Das Palais von A. Rothschild in Wien, heute steht dort  die AK  Wien

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