AK-Präsident Stangl: „Wir müssen die Wertschöpfung im Land halten“
Andreas Stangl (53) ist Präsident der Arbeiterkammer (AK) Oberösterreich und Landesvorsitzender des ÖGB.
KURIER: „Wenn Dein starker Arm es will, stehen alle Räder still“, lautet ein Spruch der Arbeiterbewegung. Die Metallarbeiter haben gestreikt, um ihre Ziele bei der Kollektivvertragsverhandlungen durchzusetzen, die Handelsangestellten ebenso.
Andreas Stangl: Das Hauptproblem ist, dass wir alle unter der hohen Teuerung leiden. Sie hat zu unerwünschten Effekten geführt. Die Sozialpartner und die Industriellenvereinigung haben im März 2022, gleich nach dem Angriffskrieg der Russen, der Bundesregierung ein Neun-Punkte-Programm mit inflationsdämpfenden Maßnahmen übergeben. Sie wurden nicht umgesetzt, die Regierung setzte stattdessen auf Einmalzahlungen. Sie hat notwendige Markteingriffe vermieden.
Nun sollte ein Ausgleich für die Arbeitnehmer geschaffen werden. Dazu hat man Nein gesagt, was zu einer Streikwelle geführt hat, wie es sie lange nicht gegeben hat. Bei den Metallern wurde in Betrieben gestreikt, in denen jahrzehntelang nicht gestreikt worden ist. Und das mehrmals. Es hat sich dann doch das Bewusstsein durchgesetzt, dass man die Arbeitnehmer mitleben lassen muss.
Es hat bei manchen Beobachtern Zweifel gegeben, ob die Belegschaften bei den Streiks mitziehen werden.
Die Beschäftigten haben die Forderungen teilweise härter formuliert als die Betriebsräte. Sie haben gesagt, wir waren in der Corona-Pandemie jene, die die Produktion aufrechterhalten. Und jetzt, zwei Jahre später, will man von uns nichts mehr wissen.
Sind Sie als Gewerkschaftsvorsitzender mit den Abschlüssen zufrieden?
Ja, denn es sind sozialpartnerschaftliche Lösungen. Wir als Gesamt-ÖGB haben den Einzelgewerkschaften Unterstützung angeboten, aber die gpa und die PRO-GE sind zwei starke Gewerkschaften. Dort, wo sie mich zur Solidarität eingeladen haben, war ich dabei.
Vom 5. bis 18. März 2024 sind die AK-Wahlen. 2019 erzielten die sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG) mehr als 71 Prozent der Stimmen. Was ist Ihr Ziel?
Ich möchte, dass die 29 Prozent, die wir nicht erreicht haben, erkennen, dass es gescheiter wäre, den Präsidenten und seine Fraktion zu wählen.
Warum sollen sie Sie wählen?
Eine ständige Interessensvertretung und ein gut geführtes Haus sind entscheidend. Jene, die immer bedingungslos auf der Seite der Arbeitnehmer gestanden sind, sollten belohnt werden. Ich bin nicht nur der Präsident für jene, die die FSG gewählt haben, sondern ich bin ein Präsident für alle.
Welche Rückmeldungen erfahren Sie?
Sie sind positiv. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren 142 Betriebsbesuche gemacht, ich rede mit den Beschäftigten. Die Hauptthemen sind die Teuerung, die Energiepreiskrise, der Konsumentenschutz und Fragen des Arbeits- und Sozialrechts. Die meisten Fälle betreffen hier Endabrechnungen und die Bezahlung der Überstunden. Rund 90 Prozent der Fälle betreffen Firmen ohne Betriebsrat. Das Vorhandensein eines Betriebsrates führt dazu, dass das Arbeitsrecht eingehalten wird.
Es gibt zwei Hotspot-Branchen. Das Gastgewerbe mit drei Prozent der Beschäftigen und 50 Prozent aller Rechtsfälle, und die Arbeitskräfteüberlassung mit 2,3 Prozent der Beschäftigten und 12 Prozent aller Rechtsfälle. In letzter Zeit ist die Nachfrage nach dem Konsumentenschutz enorm gestiegen. Anfragen in der Energieberatung haben sich verfünffacht. Wir müssen hier in Personal investieren, damit wir das vernünftig abwickeln können. Unsere Konsumentenschutztests sind auch oft Aufreger.
Die Konsumenten stehen oft großen Unternehmen wie zum Beispiel im Telekom-Bereich oder Reiseunternehmen, Fluglinien etc. ohnmächtig gegenüber.
In derartigen Frage ist es am besten, sich direkt an unseren Konsumentenschutz (Tel.: 0506906), eMail: konsumentenschutz@akooe.at) zu wenden. Es ist immer noch das Sicherste, eine Reise in einem Reisebüro zu buchen. Denn bei Problemen ist das Reisebüro verantwortlich zuständig. Bei im Internet gebuchten Reisen ist das oft schwierig.
Wenn man im Internet bucht, weil es vielleicht billiger ist, ist die Gefahr groß, dass man bei Problemen durch die Finger schaut.
Ja, man geht ein hohes Risiko ein. Das passiert oft. Auch wenn wir vielleicht nicht helfen können, ist es wegen unseres guten Rufes so, dass Unternehmen, die die Öffentlichkeit scheuen, unseren Interventionen nachgeben. Unser Vorteil ist, dass wir all’ diese Geschichten kennen und wir wissen, an wen man sich wenden kann.
Warum wehren Sie sich gegen eine Erhöhung des Pensionsalters? Die Lebenserwartung steigt seit vielen Jahren an, die Menschen werden immer älter, die öffentlichen Zuschüsse für die Pensionen steigen.
Das Pensionsantrittsalter steigt. Die Reformen greifen. In den Vorschlägen der Pensionsreformkommission ist eine Erhöhung des Pensionsalters nicht enthalten. Es geht darum, das Antrittsalter an das gesetzliche Pensionsalter (bei Männern 65 Jahre) heranzuführen.
Wenn das Pensionsalter auf 67 Jahre erhöht werden würde, würde das dazu führen, dass die Menschen zusätzliche Pensionsabschläge von zwei Jahren hinnehmen müssten. Auch wenn jemand 45 Jahre gearbeitet hat, hat er heute bereits Abschläge, wenn er vor dem 65. Lebensjahr geht. Die Abschläge würden bei einem Pensionsalter von 67 um zwei Jahre erhöht. Sonst würde sich gar nichts ändern.
Die Vorschläge zur Erhöhung kommen von Leuten, die nicht das ASVG sehen. Wir als Arbeiterkammer sind zuständig für das ASVG. Wir im ASVG haben bei den Pensionen eine Selbstfinanzierungsrate von 90 Prozent. Das heißt, die Arbeitnehmer zahlen sich die Pensionen zu 90 Prozent selbst. Dann kommen noch die Anrechnung der Kindererziehungszeiten, die Ausgleichszulage etc. dazu. Damit werden diese zehn Prozent finanziert.
Jene, die am stärksten nach der Anhebung des Pensionsalters rufen, sind die Selbstständigen. Sie haben aber nur einen Selbstfinanzierungsgrad von 60 Prozent.
Also viel weniger. Die Bauern haben einen noch niedrigeren Selbstfinanzierungsgrad.
Die will ich gar nicht nennen. Sie haben ein Strukturproblem, ihre Berufsgruppe geht immer stärker zurück. Den Selbstständigen würde ich sagen, schaut zuerst selbst einmal, wie ihr eure Pensionen finanziert.
Die Frage ist, wie man die Arbeitswelt so gestalten kann, dass die Menschen bis 65 arbeiten können. Die Mehrheit der Arbeitnehmer tritt nicht eine Alterspension an, sondern viele hören wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit früher auf. Man soll schauen, dass die Menschen mit gesunden Arbeitsplätzen bis zum gesetzlichen Pensionsalter kommen. Mit der Abschaffung der Blockvariante der Altersteilzeit hat die Regierung über das Ziel hinausgeschossen. Denn für viele war das der Rettungsanker, um das gesetzlichen Pensionsalter zu erreichen. Der Großteil waren Frauen, die diese Blockvariante in Anspruch genommen haben. Das haben die Grünen in der Bundesregierung auch vergessen.
Nächstes Jahr sind Nationalratswahlen. Wie geht es Ihnen mit der Bundes-SPÖ?
(lacht) Ich will das nicht kommentieren.
Sind Sie unzufrieden?
Nein. Man hätte sich die Führungsdebatte und vieles andere ersparen können. Wir brauchen eine Politik, die den Arbeitnehmern hilft. Die Politik der Regierung hat die Unternehmer und andere Berufsgruppen bevorzugt. Zum Beispiel durch die Überförderung der Unternehmen in der Corona-Pandemie.
Wir haben zum Beispiel einen Stillstand bei den Berufskrankheiten. Die deutsche Bundesregierung hat inzwischen 21 zusätzliche Berufskrankheiten anerkannt. Wir liegen in der Gesundheitsversorgung. am Boden. Wir hatten Fälle in Wels, wo Arbeitnehmer nicht einmal eine Krankmeldung abgeben konnten, weil sie keinen Hausarzt gehabt haben.
In der Politik wird zu viel gestritten. Es wird nicht das Gemeinwohl vor das Parteiwohl gestellt. Das würde ich mir wünschen, aber das findet leider nicht statt.
Welche Regierung bekommen wir im nächsten Jahr? Der ehemalige Linzer Bürgermeister Franz Dobusch plädiert für Rot-Schwarz. Welche Variante bevorzugen Sie?
Nachdem wir schon einmal Schwarz-Blau gehabt haben, wünsche ich mir das nicht mehr. Wir sollten uns auch kein Vorbild an Ungarns Orban nehmen, wie das Herbert Kickl von der FPÖ vorgeschlagen hat. Orban hat alle verurteilten Schlepper wieder freigelassen. So eine Politik ist sicher nicht im Sinne der Arbeitnehmer. Leider geben viele aus Frust über das, was läuft, eine Proteststimme ab. Wir wissen, dass dabei für die Arbeitnehmer nichts Gutes rauskommt.
Es sollte eine Koalition aus jenen konstruktiven Kräften geben, die das Land nach vorne bringen wollen. Es gibt ja auch Kräfte in der FPÖ, die den Öxit, den Austritt Österreichs aus der Europäischen Union fordern. Manmuss sich nur anschauen, wie Großbritannien nun am Boden liegt, nachdem es aus der EU ausgetreten ist. Die dortige Arbeitnehmerschaft kommt in eine Existenzkrise.
Oberösterreich ist das Industrieland Nummer eins. Wir müssen schauen, wie wir die ökologische Transformation der Industrie so hinbringen, dass in Österreich weiterhin produziert werden kann. Wir müssen die Wertschöpfung in Österreich halten. Wir brauchen eine europäische und österreichische Industriepolitik, damit das passiert. Man muss mithelfen, dass es eine gute Zukunft gibt.
Wir haben in der Digitalisierung und in der Künstlichen Intelligenz Herausforderungen. Die Arbeitswelt von heute ist nicht die von morgen. Wir müssen hier auf der Höhe der Zeit sein. Das diskutiere ich lieber mit den konstruktiven Kräften als wie mit jenen, die nur auf Populismus setzen und die mir einreden, dass der Fremde schuld an allem ist.
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