AK-Präsident Stangl: „Kürzung des Arbeitslosengeldes blockiert Umstiege“
Ab 6. März sind 570.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Zusammensetzung der Arbeiterkammer OÖ stimmberechtigt. Bei der Wahl 2019 erzielten die sozialdemokratischen Gewerkschafter mit 71,01 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis. Der ÖAAB/FCG kam auf 13,41 Prozent, die Freiheitlichen (FA) auf 10,20 Prozent, der gewerkschaftliche Linksblock auf 1,16 Prozent, die Alternativen, grünen und unabhängigen Gewerkschafter (AUGE/UG) auf 4,22 Prozent. Andreas Stangl (54) ist seit November 2021 Präsident. Der sozialdemokratische Gewerkschafter wurde im Mai 2022 auch zum ÖGB-Landesvorsitzenden gewählt.
KURIER: Bei den Wahlgängen in den westlichen Bundesländern haben die sozialdemokratischen Gewerkschaften Zugewinne erzielt. Das legt die Latte für Ihre Wahl nochmals höher.
Andreas Stangl: In Salzburg haben sie zugelegt, die anderen haben verloren.
Wo liegt Ihre Latte?
Es muss ein Plus sein. Die anderen Fraktionen in der Arbeiterkammer haben sich keine Stimme verdient.
Wieso nicht? Engagieren sie sich zu wenig?
Sie bringen Positionierungen der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung in der Arbeiterkammer ein. Es werden die 110 Arbeiterkammer-Räte gewählt, das Parlament der Arbeitnehmer. Wir reden weder vom Nationalrat noch vom Landtag.
Der Gewerkschaftliche Linksblock vertritt mit Sicherheit nicht die Positionen der Industrie.
Sie vertreten des Öfteren sehr eigenartige Positionen. Das möchte ich schon sagen.
Zum Beispiel?
Sie wollten, dass wir für die Arbeitgeber in den Sozialvereinen die Verträge mit dem Land vereinbaren. Damit sie ihre Valorisierungen durchbringen. Das ist aber Aufgabe der Dienstgeber.
Wir können doch nicht als gesetzliche Arbeitnehmervertretung die Interessen der Arbeitgeber gegen das Land Oberösterreich wahrnehmen.
Der ÖAAB/FCG beklagt sich, dass Ihre Fraktion den Antrag auf Steuerfreiheit der Überstunden abgelehnt hat. Warum machen Sie das?
Der Antrag ist einem Ausschuss zugewiesen worden. Man muss bedenken, dass die Hälfte aller Frauen teilzeitbeschäftigt sind. Sie hätten von diesem Steuererleichterungsvorschlag nichts. Es soll im Ausschuss eine Positionierung der Arbeiterkammer erarbeitet werden, von der alle Arbeitnehmer profitieren.
Wie sieht Ihre persönliche Meinung aus?
Die Arbeitnehmer sollten generell weniger Steuern zahlen. Das sollte nicht von den Überstunden abhängen. Der neueste Vorschlag, der am Tisch liegt, besagt, dass eine Vollzeitprämie bezahlt wird. Ganz Branchen bauen auf Teilzeitarbeit auf. Zum Beispiel im Handel. Diese Arbeitnehmer hätten nie einen Vorteil.
Wie sieht die Vollzeitprämie konkret aus?
Wenn die Vollzeitstunden erreicht werden, sollte weniger Steuer bezahlt werden. 30 Prozent der Teilzeitkräfte wollen mehr arbeiten. Dazu benötigen sie aber die Zustimmung der Arbeitgeber. Wenn dieser der Stundenerhöhung nicht zustimmt, kann der Arbeitnehmer den Steuervorteil nicht lukrieren.
Die Arbeitgeber beklagen einen Mangel an Arbeits- und Fachkräften.
Sie beklagen diesen Mangel und ...
... schicken die älteren Arbeitskräfte in Pension ...
... wir sehen, dass sie bei den Lehrlingen weniger Anstrengungen unternehmen. Als ich vor zweieinhalb Jahren Präsident geworden bin, hatten wir 400 Lehrlinge, die nicht ihren Wunsch-Lehrberuf ergreifen konnten. Jetzt sind wir bei über 600 Lehrlingen. Die Betriebe könnten auch die Ferialpraktikanten nehmen. Ich weiß aus so manchen Schulklassen, dass fast alle auf eine Antwort der Wirtschaft warten.
Es gibt also eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Verhalten der Firmen und den Aussagen der Unternehmens-Funktionäre.
Selbstverständlich.
Was ist Ihr Hauptziel bei der Wahl?
Wir wollen die Wahlbeteiligung erhöhen (2019: 41 Prozent, Anm. d. Red.). Wir haben 28.000 mehr Wahlberechtigte und 2019 war das Homeoffice noch ein Minderheitenprogramm. Wir müssen uns viel mehr anstrengen, um die 41 Prozent wieder zu erreichen. Die höchste Wahlbeteiligung haben wir in Betrieben, weil dort der Zeitaufwand für die Stimmabgabe minimal ist. Bei der Briefwahl ist die Beteiligung niedriger.
Deshalb führen wir derzeit österreichweit eine Kampagne für die Wahlbeteiligung durch. Wir haben auch geschaut, dass wir so viele Betriebswahlsprengel wie möglich machen. Wir haben 744 Sprengel in Betrieben und 344 in Firmen ohne Betriebsrat. Wir schauen, dass dafür Personal zur Verfügung steht und dass es Wahlkommissionen gibt.
Es gibt offensichtlich eine Diskrepanz zwischen der Wahlbeteiligung und dem Image der Arbeiterkammer, das ein gutes ist.
Wir haben bei der Akzeptanz eine Rekordzustimmung. Viele verstehen aber nicht, dass ein gutes Service auch gewählt werden muss. Wir sind eine politische Interessensvertretung und eine riesige Serviceorganisation. Wir haben 2023 rund 5,8 Millionen Euro für die Menschen erstritten. Hier sind die großen Sammelklagen gegen die Stromkonzerne wie Energie AG und Verbund nicht eingerechnet.
Was ist Ihr persönliches Ziel?
Ich möchte mit einem Plus bei der Wahl und einer höheren Wahlbeteiligung dann die Themen der neuen Funktionsperiode abarbeiten: Arbeitsmarkt, Digitalisierung, Dekarbonisierung. Wir werden die Servicequalität verbessern, die Bezirksstellen renovieren bzw. neu bauen. Sie sollen wohnortnahe sein, damit sie leicht erreichbar sind.
Wir müssen die Gesundheitsversorgung verbessern. Wir haben Fälle, wo sich Arbeitnehmer nicht krank melden können, weil sie keinen praktischen Arzt haben. Damit wird das zu einem arbeitsrechtlichen Problem. Wie soll der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer glauben, dass er krank ist, wenn er keine Arzt-Bestätigung vorlegen kann?
Den Gewerkschaften wird von manchen Unternehmern vorgehalten, mit den hohen Lohn- und Gehaltsabschlüssen Treiber der Inflation zu sein.
Das stimmt nicht. Bereits vor dem russischen Angriffskrieg gab es die durch Corona ausgelösten Lieferkettenprobleme. Der Krieg hat die Energiepreise in die Höhe getrieben. Wir als Sozialpartner und die Industriellenvereinigung haben gemeinsam der Bundesregierung Vorschläge zur Inflationsbekämpfung gemacht. Unter anderem die Mietpreisbremse.
Der größte Ausgabenblock der Arbeitnehmer ist das Wohnen. Die Regierung hat entschieden, auf Markteingriffe zu verzichten und auf Einmalzahlungen zu setzen. Die Strompreisbremse wurde nun halbiert. Der Wirtschaft ist es gelungen, ihre Erhöhungen unterzubringen. Weit über ihre Gestehungskosten. Jetzt sollten die Gewerkschaften die Reallohnverluste realisieren, weil die Politik ihre Aufgaben nicht gemacht hat.
Die Wirtschaft ist für Sie ein Feindbild?
Nein, es gibt vieles, was wir gemeinsam machen könnten. Wir müssen schauen, dass die Firmen dort bauen können, wo sie Platz benötigen. Und dass wir den Strom dort hinbringen. Es gibt die Themen Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Digitalisierung. Es muss Schluss sein damit, dass die Arbeitnehmer als Feinde hingestellt werden. Die Forderung nach einer Senkung der Lohnnebenkosten ist entlarvend.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) möchte das Arbeitslosengeld um zehn Prozent reduzieren.
Jetzt haben wir eine Nettoersatzrate von 55 Prozent, das ist eine der niedrigsten in Europa. Eine zehnprozentige Senkung bedeutet nun 50 Prozent. Bei durchschnittlich 2.500 Euro sind 55 Prozent 1.375 Euro. Bei einer nochmaligen Reduzierung von zehn Prozent verliert der Arbeitslose monatlich nochmals 125 Euro.
Die Arbeitslosen tragen das Risiko des Arbeitsmarkts. Wer sind die Menschen, die das bezahlen? Die, die flexibel sind, die, die als Arbeitskräfteüberlasser arbeiten, die, die ihre Stehzeiten haben, sie werden zur Kasse gebeten. Damit müssen wir aufhören. René Benko sperrt KikaLeiner zu und schickt 1.700 Leute auf die Straße. Was man hier den Leuten antut, ist unverschämt und niederträchtig. Die Senkung der Körperschaftssteuer (KÖst) von 25 auf 23 Prozent bringt den Unternehmen hingegen 800 Millionen Euro.
Das Arbeitslosengeld ist auch die Basis für Umschulungen, wenn Arbeitnehmer einen neuen Beruf erlernen wollen.
Der Mangel an Pflegerinnen und Pflegern ist ein Problem für die Menschen und die Wirtschaft. Wenn zum Beispiel Frauen ihre Arbeit aufgeben müssen, weil sie zu Hause jemanden pflegen, fehlen sie in der Wirtschaft. Für viele, die sich zu Pflegern umschulen lassen wollen, ist das Arbeitslosengeld die Einkommensbasis in Zeit der Umschulung. Wenn es nun gekürzt wird, können sie sich die Umschulung nicht leisten, weil sie ein zu geringes Einkommen haben. Sie können sich das nicht leisten.
Die Alternative wäre, dass man diese Menschen anstellt und ihnen zum Beispiel ein Hilfsarbeitergehalt bezahlt. Mit dem Ausbildungserfolg soll ihr Einkommen steigen. So könnten wir die notwendigen Pflegemitarbeiter rekrutieren. Das wäre ein Modell ähnlich wie dem der Polizei, wo die Polizeischüler auch ein entsprechendes Gehalt bekommen. Dann brauchen unsere Politiker nicht auf die Philippinen fliegen, um von dort die Leute rüberzuholen.
Stellen Sie das Phänomen einer zunehmenden Deindustrialisierung fest?
Nein. Im Jahr 2000 haben wir das auch geglaubt. Wir sehen aber nun, dass die Industrie ein Wachstumsfaktor ist, und mehr Menschen als je zuvor hier arbeiten.
Obwohl die Industrie von einer Rezession spricht.
Es geht momentan schlecht, weil wir ein wirtschaftliches Problem haben. Es resultiert daher, dass die Konsumenten kein Geld zum Investieren und Bauen haben. Das Geld der hohen Mieten und Zinsen geht im Wirtschaftskreislauf ab. Die Bauwirtschaft ist abgewürgt worden.
Die Industrie braucht Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung. Bei den Corona-Mittel für die Unternehmen wurde das Geld mit beiden Händen hinausgeworfen. Man hätte dieses Geld aber sinnvollerweise in die Forschung und Entwicklung investieren können.
Man muss die europäischen Märkte auch schützen, zum Beispiel gegen den vom Staat subventionieren Billigstahl aus China. Ein Negativbeispiel sind die Paneele für die Photovoltaik, die alle aus China kommen. Es muss Wettbewerbsgleichheit herrschen. Eine ähnliche Situation haben wir bei der CO2-Bepreisung.
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