Achleitner: „Wir sollten nicht alles schlechtreden“
Markus Achleitner (ÖVP) ist seit 2018 Landesrat für Wirtschaft und Sport. Zuvor war der 55-Jährige Geschäftsführer der oö. Thermenholding.
KURIER: Fronius kündigt 1.000 Mitarbeiter, Steyr Motors 200, es gibt Kündigungen bei KTM im Innviertel. Präsident Stefan Pierer spricht von einem Stellenabbau bis zu 15 Prozent bei den oö. Industriebetrieben. Warum ist die Industrie in der Krise?
Markus Achleitner: Die vergangenen drei Jahre waren sehr gute Jahre, weil die öffentliche Hand sehr viel unterstützt hat, von der Investitionsprämie bis zur Kurzarbeit. Es ist normal, dass es nach Hochkonjunktur-Zyklen zu Rückgängen kommt. Durch die explodierenden Energiekosten und die darauf folgenden Lohn- und Gehaltssteigerungen von bis zu 20 Prozent hat die Industrie, die global aufgestellt ist, Wettbewerbsprobleme. Das muss eine künftige Regierung entschärfen.
In den Boomjahren haben manche Betriebe Mitarbeiter aufgebaut, bei Fronius waren es 2.000. Gewisse Kapazitäten müssen in Stagnationsphasen wieder reduziert werden. Die gute Nachricht ist, dass die guten Mitarbeiter vom Arbeitsmarkt sofort wieder aufgesaugt werden. Er ist wie ein trockener Schwamm, er ist aufnahmefähig wie nie zuvor.
Wir werden ein ganz anderes Thema bekommen. Wir werden händeringend Arbeitskräfte suchen. In den vergangenen 15 Jahre ist die Zahl der Beschäftigen von 600.000 auf 700.000 angestiegen.
Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden ist aber gleich geblieben. (2023 wurden laut Statistik Austria in OÖ eine Milliarde und 202,4 Millionen Arbeitsstunden geleistet, 2014 waren es eine Milliarde und 194 Millionen Stunden, Anm. d. Red.).
Die Zahl der Köpfe ist um 15 Prozent gestiegen, das Arbeitsvolumen um 4,5 Prozent. Das ist schon eine Leistung der kleinen und mittleren Unternehmen. In Oberösterreich werden bis 2030 rund 80.000 Mitarbeiter fehlen, das sind fast zehn Prozent. Bis 2040 werden es fast 150.000 sein.
Das große strategische arbeitsmarktpolitische Thema ist der Bedarf an Arbeitskräften. Wir haben jetzt in der Phase der Stagnation mit 4,5 Prozent die drittniedrigste Arbeitslosigkeit. 33.000 Arbeitssuchenden stehen 23.000 offene Stellen gegenüber.
Fronius hat Probleme in der Produktion von Wechselrichtern, weil China die eigene Produktion staatlich subventioniert. Auf diese Verletzung der Regeln der Welthandelsorganisation wird normalerweise mit der Verhängung von Zöllen reagiert, Sie lehnen aber Zölle gegenüber China ab. Wie können Sie Ihre Position gegenüber den 1.000 gekündigten Mitarbeitern von Fronius argumentieren?
Wirtschaftsbeziehungen soll man durch Verhandlungen lösen und nicht durch Strafen. Zölle sind nichts anderes als Strafen. Sie schädigen die Wirtschaft, auf beiden Seiten, und sie treiben die Preise nach oben. Wir brauchen eine europäische Wirtschaftspolitik, die das gesamte Gewicht des europäischen Marktes mit 450 Millionen Menschen mit hoher Kaufkraft in die Waagschale wirft und mit China Handelsabkommen findet.
China muss die staatliche Subventionierung einstellen. Zölle sind keine Einbahn, sie wirken in andere Bereiche hinein und lösen Dominoeffekte aus. Mit Zöllen schwächen wir auch die europäische Automobilwirtschaft, weil einige in China produzieren und ihre Autos nach Europa exportieren.
Die Automobilindustrie in Europa bricht ein, siehe Mercedes und VW.
Das stimmt nicht. BMW hat das beste Jahr in der Unternehmensgeschichte.
Ist die oberösterreichische Automobilzulieferindustrie von dieser Krise betroffen?
Deutschland ist mit Abstand unser wichtigster Wirtschafts- und Handelspartner. Wir sind durch die starke Vernetzung betroffen. Wir brauchen in Europa jetzt weniger einseitige Betrachtungen, was die grüne Transformation betrifft, sondern eine Konzentration auf die Kernkompetenzen der Produktion. Da ist in den vergangenen Jahren einiges nicht rund gelaufen. Bei der EU-Wahl wurde das korrigiert, die Grünen haben ein Drittel ihrer Abgeordneten verloren.
Betreibt Oberösterreich in Brüssel nicht zu wenig Lobbying für die Interessen der heimischen Unternehmen?
Die Industrienationen müssen sich besser vernetzen. Hier sind wir mitten dabei. Wir können die Entwicklungen nur europäisch lösen. Die grüne Transformation ist eine Frage, die ganz Europa betrifft. Wir haben beispielsweise in Oberösterreich 1.800 bis 2.000 Stunden jährlich, die wir für die erneuerbare Energie (Sonne, Windkraft etc., Anm. d. Red.) nutzen können.
Wir brauchen aber für die Industrie 8.760 Stunden mit 1.000 Grad. Wir brauchen also erneuerbare und speicherfähige Energie, das wird vor allem Wasserstoff sein. Er wird nur zu einem geringen Teil in Europa und zum größeren Teil außerhalb Europas produziert werden können. Wir müssen das in einer europäischen Energiestrategie festlegen. Die großen Photovoltaik-Anlagen werden in Nordafrika, Arabien, Indien, etc. errichtet.
Wann gibt es die ersten Tankstellen mit grünem Wasserstoff?
Die Energiewende wird für Europa ein historischer Kraftakt. Wir müssen das Henne-Ei-Problem überwinden. Dei Produzenten sagen, wir produzieren schon, wenn wir entsprechende Abnahme gesichert ist. Die Abnehmer sagen, wir nehmen den Wasserstoff ab, wenn die Preise wettbewerbsfähig sind.
Dazwischen sind die Betreiber der Pipelines, die sagen, wir bauen die Pipelines, wenn beides gelöst ist. Es ist für alle noch kein Geschäftsmodell. Es braucht einen Marshallplan für die Energiewende, der einen Zeitraum von 60 bis 70 Jahren umfasst. Die ersten 30 Jahre sollten öffentlich vorfinanziert werden, um die Startinfrastruktur bauen zu können.
Damit können die Pipelines und Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Die zweiten 30 Jahre sollte das auf die Betriebe und Konsumenten so solidarisiert werden, dass die Wettbewerbsfähigkeit und die Sozialverträglichkeit gesichert sind.
Wirtschaft und Industrie beklagen zwei Punkte: die Energie ist zu teuer ...
... gewesen.
... und Wirtschaftskammerobfrau Doris Hummer spricht von zu hohen Lohnkosten, die um zehn Prozent sinken müssten.
Die Kosten auf Arbeit in Österreich gehören zu den höchsten im internationalen Vergleich. Sie müssen runter.
Wie wollen Sie das machen? Die Löhne und Gehälter kürzen?
Es braucht einen längerfristigen Plan, indem man die Lohn- und Gehaltsabgaben jährlich um ein halbes Prozent reduziert. Die Finanzierung muss über Ausgabenkontrolle auf Bundesebene finanziert werden. Denn die Maßnahmen kosten richtig viel Geld.
Wo sparen Sie das Geld ein?
Man muss den Förderdschungel durchforsten. Durch die Fördermaßnahmen ist in den Krisenjahren eine Vollkaskomentalität entstanden. Die Förderungen gehören zurückgefahren.
Die neue Digitaluniversität soll neben der Kepler-Universität gebaut werden. Weiters sollen dort auch Start-ups entstehen. Rund 7.000 Bürgerinnen und Bürger protestieren gegen dafür notwendigen Grundstücksumwidmungen. Wird die Digitaluniversität nicht am falschen Standort errichtet? Denn die Firma Fabasoft ist dort auch schon mit einer Umwidmung gescheitert.
Es ist die richtige Standortentscheidung, denn es können viele Synergien genutzt werden. Wir vom Land unterstützen hier die Stadt Linz, die dafür zuständig ist.
Thema Bodenversiegelung. Greenpeace hat dem Projekt Ehrenfeld in Ohlsdorf einen Ehrenpreis für Betonbausünden verliehen. Sie stehen hier unter massiver Kritik von Nichtregierungsorganisationen und der Grünen. Die Bundesregierung hat vor rund 20 Jahren das Ziel ausgerufen, nicht mehr als 2,5 Hektar pro Tag zu verbauen, was sich jetzt als kaum haltbar erweist.
Dieses Ziel ist völlig unrealistisch, auch die meisten Fachleute sehen das so. Das würde heißen, dass jede Gemeinde in Oberösterreich pro Jahr nur mehr 2.977 Quadratmeter umwidmen könnten. Für ihren gesamten Bedarf, sprich Kindergärten, Häuslbauer, Betriebserweiterungen etc. Wenn eine Gemeinde einen Kindergarten mit 10.000 Quadratmetern errichten möchte, könnte sie in den nächsten vier Jahren keine Grundstücke für Häuslbauer zur Verfügung stellen.
Die Nichtregierungsorganisationen und die Grünen propagieren hier eine Verbotskultur. Das ist Ideologie, die mit der Lebensrealität nichts zu tun hat. Oberösterreich hat seit 2021 das strengste Raumordnungsgesetz Österreichs. Wir haben mit den Fehlentwicklungen, die es gegeben hat, aufgehört. Supermärkte außerhalb der Ortszentren werden nicht mehr genehmigt. Die Parzellengrößen für Häuslbauer werden reduziert. Betriebsansiedlungen sollen neben hochrangigem Straßennetz erfolgen.
Wir wollen, dass sich jungen Familie ein Haus bauen können, wir wollen, dass Betriebe erweitern können. Wir wollen, dass Betriebe außerhalb Oberösterreichs zu uns kommen. Das braucht es für Arbeitsplätze, Wohlstand und Lebensqualität. Wenn wir ein Drittel weniger gebaut hätten, hätten wir jedes dritte Wohnhaus und jeden dritten Betrieb nicht zulassen dürfen.
Oberösterreich besteht zu 92,3 Prozent aus Natur, zu 2,5 Prozent aus Verkehrsflächen und 5,2 Prozent sind gewidmetes Bauland. Die Hälfte von den 5,2 Prozent sind versiegelt, entweder mit Beton oder Asphalt.
Wirtschaftsexperten bezeichnen die vergangenen Jahre als verlorene Jahre. Teilen Sie diesen Befund?
In der Regierung ist viel weitergegangen, was lange nicht gegangen ist.
Was zum Beispiel?
Die Abschaffung der kalten Steuerprogression.
Das ist eine steuerliche Entlastung für die Arbeitnehmer, aber nicht für die Unternehmen.
Wenn die Menschen über mehr Geld verfügen, können sie mehr ausgeben und das belebt die Wirtschaft.
Die zehnprozentige Inflation hat das wieder aufgefressen, die um zwei bis drei Prozent höher war als im EU-Durchschnitt.
Die Lohn-und Gehaltserhöhungen sind ja nicht zurückgeführt worden. Es gibt einen Kaufkraftüberhang.
Das Leben ist für die Menschen teuer geworden, sie können sich so manches nicht mehr leisten.
Das ist einfach falsch. Die Lohn- und Gehaltsabschlüsse waren im vergangenen Jahr zwischen acht und zehn Prozent. Wir sind jetzt bei einer halbierten Inflation von 2,9 Prozent. Es liegt ein Kaufkraftüberhang von sechs bis sieben Prozent vor. Wir sehen das. Der Tourismus läuft fantastisch. Wir sollten nicht alles schlechtreden. Wir sollten vom Krisenmodus wieder in einer Offensiv- und Zuversichtsmodus kommen.
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