Zerstörung und die menschliche Scham

Zerstörung und die menschliche Scham
Theater zum Abreißen. Kunstprojekt mit umweltaktivistischem Anspruch geht Leerständen an den Kragen.

Bäume kriechen an der Fassade hinauf, eingeschlagene Fensterscheiben, zertrümmerte Computerbildschirme und ein einsamer gelber Bauhelm – beinahe vergessen ist ein altes Fachwerkgebäude des Kohlebergbaus im niederösterreichischen Grünbach am Schneeberg. Abrissreif ist es längst und trotzdem noch da – doch nicht mehr lange.
Das Kunstprojekt „Am Ende fängt alles an – Die Kunst der Zerstörung“ kritisiert die zunehmende Verbauung von Natur-Flächen bei gleichzeitig verfallenden Leerständen und will dabei über die Grenzen des klassischen Theaters gehen.  Denn die Bühne und auch Teil der Performance ist ein Gebäude, das im Laufe des  mehrstündigen Stücks schrittweise verändert, zerstört und schlussendlich im Finale mit großem Gerät niedergerissen wird. Die logische Konsequenz: An jedem Aufführungsort kann nur einmal gespielt werden. Erster Halt: Grünbach am Schneeberg am 9. Mai.

 

Zerstörung und die menschliche Scham

Der Abriss des Fachwerkgebäudes in Grünbach am Schneeberg wird in einer Kunstaktion zelebriert

Am Ende fängt  alles an

„Dabei geht es viel um die menschliche Scham, bereits Bestehendes zu zerstören. Das wollen wir hinterfragen und einen künstlerischen Impuls für Neues geben,“ erzählt Regisseur Gernot Lechner dem KURIER. „Zerstörung ist negativ konnotiert. Uns geht es um eine Umwertung, denn am Ende fängt alles an.“
Ein Ziel des Projektes sei auch das Ausbrechen aus der traditionellen Theaterform, im Fokus steht dabei die Einzigartigkeit jeder Aufführung. „Wir brechen mit der Einmaligkeit, es gibt keine Wiederholung. Das Theater lebt aber normalerweise von der Wiederholung“, so Lechner.

 

Zerstörung und die menschliche Scham

Regisseur Gernot Lechner und Maler Axl Litschke fusionieren Theater und Malerei

Durch die Zusammenarbeit von Ort, Theater, Malerei und Tanz als gleichwertige Ausdrucksformen sei das Ergebnis jedes Mal ein anderes – als Experiment unvorhersehbar. Besonderen Wert legt Lechner dabei auf die Zusammenarbeit mit dem Wiener Maler Axl Litschke, der das Gebäude als Teil des Stücks innen und außen mit viel Farbe transformieren wird.
Es gibt keine Requisiten, kein Bühnenbild – verwendet wird nur das Gebäude und was sich bereits darin und rundherum befindet. „Indoor- und Outdoor-Theater, aber kein Stationentheater“ – das Publikum bewegt sich durch die Räume und ist als Beobachter Teil des Stücks.

 

Zerstörung und die menschliche Scham

Es gibt keine Requisiten, gespielt wird mit dem, was bereits da ist

Flexibles Skript

Ein Originalstück im klassischen Sinn gibt es dabei nicht, vielmehr eine erste Version von vielen. Der Inhalt bleibt gleich, je nach Spielort werden aber im Vorfeld Teile des Textes angepasst und Themen eingeflochten, die für den jeweiligen Ort relevant sind. „Deshalb war es uns auch so wichtig, dass wir einen Autor haben, der laufend mit uns zusammenarbeitet“, erklärt Lechner. Mit Stefan Lack hat sich dieser Autor gefunden. Das Handlungsszenario, das er für das Abrisstheater erfunden hat, spielt mit  dystopischen Szenarien: Statisten bevölkern für eine NATO-Einsatzübung ein fiktives Dorf, das völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist, simuliert wird Krieg. Dann wird aus der Übung ernst – doch die Statisten haben davon keine Ahnung und die Zerstörung „in uns, mit uns und in der Gesellschaft“ nimmt ihren Lauf.

Filmische Verarbeitung

Die Aufführungen werden außerdem filmisch und in weiterer Folge auch in sozialen Netzwerken verarbeitet. Darin sieht Lechner keinen Widerspruch zum Anspruch der Einmaligkeit. Der Fokus liege auf der Live-Performance: „Theater und Film sind zwei verschiedene Medien.“ Der eigens dafür engagierte Regisseur wird bei der filmischen Verarbeitung freie Hand haben.
„Wenn man das im Internet sieht, will ich, dass man sofort bedauert, dass man nicht dort war und sich vornimmt, das nächste Mal dabei zu sein“, sagt Gernot Lechner.
Geplant sind zwei Aufführungen pro Jahr in den kommenden drei Jahren, mit Spielstätten in Österreich, Deutschland und der Schweiz  – und nach einer Übersetzung auch im englischsprachigen Raum. 

Das Projekt läuft über den 2018 in Wien gegründeten Verein „Delete – Verein für die Kunst der Zerstörung“. Der Plan für das Neue in Grünbach, das der Zerstörung folgt, ist jedenfalls schon vorhanden: Wenn sich die letzten Staubwolken verzogen haben, wird dort der Platz für die Bienen der hauseigenen Imkerei erweitert.

Informationen und Tickets

www.verein-delete.net

www.lebensbogen.at

Tickets erhältlich unter www.eventbrite.at

15 Euro Normalpreis

12 Euro für Studierende und Zivildiener

Premiere: 9. Mai 2020 von 14 bis 21 Uhr, Am Neuschacht 1, 2733 Grünbach am Schneeberg, Gelände im Besitz von Lebensbogen GmbH

Auch mit dem Zug erreichbar, warme Kleidung wird empfohlen.

 

 

 

Zerstörung und die menschliche Scham

Das wird der erste Raum, der Schauplatz des fiktiven Krisenszenarios im Stück wird

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