Vater schoss in Volksschule auf Sohn
Das kann kein Mensch verstehen. So etwas ist doch nicht normal. So ein liebes Kind. Wie kann ein Vater so was machen?" Mehmet Ali K. steht den Tränen nahe vor der Adolf-Schärf-Volkschule in St. Pölten-Wagram und versucht Antworten auf Unbeantwortbares zu finden. Sein knapp achtjähriges Enkerl Berk, kämpft im Landesklinikum St. Pölten mit dem Tod. Niedergeschossen vom Papa.
Es war 8.10 Uhr, als Kebab-Standler Engin K. – er wanderte vor zehn Jahren aus der Türkei ein und ist mittlerweile eingebürgert – in die Schule kam. Da war gerade erste Pause. „Ich muss mit meinen Kindern reden und ihnen Geld geben", behauptete der 37-Jährige. Er holte seinen Sohn und dann die um ein Jahr jüngere Tochter aus den Klassen. Ahnungslos ließen sich die Kinder vom Vater in die Garderobe im Schulkeller lotsen. Dort zog der Mann statt der Geldbörse plötzlich eine Pistole.
Mit einem Schuss durch den Kopf streckte der eingebürgerte Türke seinen Sohn nieder. Das Mädchen lief davon und entkam unverletzt. „Es war unmittelbare Augenzeugin." Das berichtet Direktor Christian Waka. Die Polizei konnte das vorerst nicht bestätigen. Da seien die Aussagen „verworren".
Der laute Knall alarmierte das Schulpersonal. Lehrer und Verwalter fanden den blutüberströmten Buben leblos in der Garderobe. Hilfe war sofort da. „Wir hatten Jugendrotkreuztag an der Schule und ein Notarzt-Team war vor Ort", berichtet Direktor Christian Waka.
Zustand kritisch
Während der lebensgefährlich verletzte Bub ins Krankenhaus gebracht und notoperiert wurde, löste die Polizei Großalarm aus. Niemand wusste vorerst, ob sich der Schütze noch im Gebäude versteckt hält, um seine Tochter zu suchen.
Der Amokläufer ist aber nach der Tat mit dem Auto davongerast. Im Schulgebäude lief der Unterricht weiter, denn von der Bluttat hatte keines der Kinder etwas mitbekommen. Vor der Schule versuchte ein Kriseninterventionsteam die geschockte Mutter und weitere Verwandte psychologisch aufzufangen. Die Polizei begann einen Wettlauf mit der Zeit. „Es war anfangs nicht klar, ob der Attentäter nicht ins Haus stürmt und seine geschiedene Frau niederschießen will“, sagt Oberstleutnant Klaus Preining vom Landeskriminalamt.
Auch diese Furcht stellte sich als unbegründet heraus. Es kam die Meldung, dass das gesuchte Auto an einer Schotterstraße neben der Westbahn im Graben lag. Am Fahrersitz hing blutüberströmt der Amokschütze. In die Enge getrieben, hatte er sich während der Fahrt eine Kugel in den Kopf geschossen.
Beziehungsdrama
Im Hintergrund der unfassbaren Bluttat steht ein Beziehungsdrama. Die seit acht Jahren verheiratete Ehefrau hatte am Dienstag bei Gericht die Scheidungsklage eingebracht. Gewaltexzesse waren dem vorausgegangen. Mehrmals hatte der 37-Jährige seine Frau geschlagen. Vor einigen Tagen hat die Stadtpolizei schließlich ein Haus-Betretungsverbot über den Mann ausgesprochen. Dass er eine Pistole (Kaliber neun Millimeter) besitzt, war der Polizei nicht bekannt. K. hatte sie sich illegal besorgt.
„Heute früh hat er seinen Stand aufgesperrt und ist dann mit dem Auto weggefahren“, schildert Hendlbrater Alfred Reiter, Geschäftsnachbar des Kebab-Standlers vorm Spar-Markt. „Er hat gesagt, er muss wegen der Pässe in die Botschaft.“ Unmittelbar danach begegnete K. einer Polizeistreife. Er stoppte und bedankte sich bei den Beamten, dass sie sich bei der Wegweisung human verhalten hätten. Da war er schon bewaffnet am Weg zur Schule.
Expertin: "Betretungsverbot ausweiten"
Über ein Betretungsverbot werden alle möglichen Stellen informiert, nur nicht die Schulen." Nach der Bluttat deckt die Polizei ein brisantes Sicherheitsmanko auf. Marlies Leitner, Chefin des Gewaltschutzzentrums St. Pölten, gibt ihm Recht. Sie fordert, dass bei Gewalt in der Familie ein Betretungsverbot auf Schulen und Kindergärten ausgeweitet und allenfalls mit einem Kontaktverbot verknüpft wird. Bisher sei das nur durch Gerichtsantrag möglich.
„Unsere Schüler haben weder etwas von der Sache mitbekommen noch waren sie zu irgendeinem Zeitpunkt in Gefahr", erklärten Schuldirektor Christian Waka und Bezirksschulinspektor Kurt Praher nach der Bluttat vor Ort unisono.
„Wir haben noch am Freitag vor Ort Krisengespräche geführt und setzen das nach den Pfingstferien fort", erklärt Schulpsychologin Evelyn Freudenthaler. Bei Kindern gelte es, „äußerst behutsam vorzugehen und ihre Fragen altersgerecht zu beantworten, weil sie die Dinge nicht so schnell verarbeiten können wie wir."
Eltern erheben indes Vorwürfe über zu späte Infos. „Obwohl wir unsere Telefonnummern in der Schule deponiert haben, wurden wir erst nach 11.30 Uhr angerufen" kritisiert Alexander Postl, Vater eines Viertklasslers. „Auf meine Frage, ob es am Nachmittag eine psychologische Beratung an der Schule gibt, hat es geheißen, nein, jetzt beginnen die Ferien." „Die Kinder waren in dem Sinn ja nicht betroffen", sagt der Direktor. Außerdem habe man „nicht 232 Eltern anrufen können. Das ist unmöglich". Nach Pfingsten seien wieder Krisenteams an der Schule.
-
Hauptartikel
-
Hintergrund
-
Hintergrund
Kommentare