Toter Flüchtlingsbub: Flüchtlingskoordinator Konrad warnte Behörde bereits vor einem Jahr

Die Geschwister lebten in einer Unterkunft der Diakonie (Symbolbild)
"Hier wurde weggeschaut": Auch Flüchtlingskoordinator Christian Konrad urgierte bei der Behörde eine bessere Lösung für die Familie.

Wieder gibt es neue Details im Fall des elfjährigen Flüchtlingsbuben aus Afghanistan, der sich vor elf Tagen das Leben genommen hat.

Dem KURIER liegt ein Schreiben vom 29. September 2016 vor. Darin intervenierte Christian Konrad – damals Flüchtlingskoordinator im Auftrag der Bundesregierung – bei der Bezirkshauptmannschaft Baden, die Obsorge für den neunjährigen Bruder des Toten (er hat Down-Syndrom) zu übernehmen. Und zwar, weil der Bruder (23) mit der Aufgabe des Erziehungsberechtigten überfordert sei.

Wie mehrfach berichtet, lebte der Elfjährige seit Februar 2016 mit seinen sechs Geschwistern in einem Flüchtlingsquartier der Diakonie in Baden, NÖ. Die Obsorge für alle sechs Geschwister hatte der Älteste inne. Weil der elfjährige Bruder am besten Deutsch gesprochen hat, soll aber hauptsächlich er Behördengänge erledigt haben.

Toter Flüchtlingsbub: Flüchtlingskoordinator Konrad warnte Behörde bereits vor einem Jahr
ABD0095_20160927 - WIEN - ÖSTERREICH: Flüchtlingskoordinator Christian Konrad am Dienstag, 27. September 2016, im Rahmen der Veranstaltung "Bilanz über die Funktion als Flüchtlingskoordinator im Auftrag der Bundesregierung" in Wien. - FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Mehrfach machte die Diakonie Gefährdungsmeldungen bei der Polizei, weil der Bub mit Down-Syndrom nicht vom Hort abgeholt wurde, weil er ohne Begleitung nach Wien gefahren war und einmal sogar nackt auf der Straße gestanden habe. Im Dezember 2016 bat die Diakonie den Bezirkshauptmann von Baden, Heinz Zimper, das Jugendamt möge die Obsorge der Kinder übernehmen. Nach acht Monaten kam eine Antwort: Es bestehe "keine Gefährdungslage, welche eine Obsorgeübertragung (...) rechtfertigen würde". Und weiter: "Schon gar nicht ist eine Gefährdungssituation erkennbar, die alle 6 Kinder betreffen würde."

Aufgabe zu groß

Bereits drei Monate zuvor bemühte sich Flüchtlingskoordinator Konrad – wie der KURIER erfuhr – um die Übernahme der Obsorge durch das Jugendamt. Sein Büro verfasste ein Mail an Zimper. Diesem war auch ein Schreiben vom Chef des Diakonie-Flüchtlingsdienstes, Christoph Riedl, beigefügt. Darin konstatiert Riedl, dass "nicht davon auszugehen" sei, dass der älteste Bruder "der Aufgabe gewachsen ist, sich um seinen 6 (!) minderjährigen Geschwister zu kümmern", insbesondere, weil der behinderte Neunjährige "ein großes Maß an Aufmerksamkeit und gezielter Unterstützung" benötige. Auch, dass die übrigen Geschwister mit der Situation nur schwer zurechtkommen, gab die Diakonie damals bekannt. Konkret heißt es in dem Schreiben: "Die schulpflichtigen Kinder sind regelmäßig übermüdet und unkonzentriert in der Schule. Sie führen das auf die Situation zuhause (sprich in der "Geschwister-Familie") zurück."

Das Antwortschreiben der BH Baden kam drei Wochen später und fiel lapidar aus: Falls das ambulante Angebot der Kinder- und Jugendhilfe nicht ausreiche, bliebe die Obsorgeübertragung. Doch die blieb aus.

"Ignorant"

"Wir sind damals davon ausgegangen, dass die BH Baden umgehend die Obsorge für die minderjährigen Kinder übernehmen muss und sich um eine adäquate Betreuung kümmert", sagt Peter Wesely, Sprecher von Konrad. Aber das ist nicht passiert. "Das Antwortschreiben der BH ist ignorant. Wären sieben österreichische Geschwister in einer ähnlichen Situation, die Behörde würde keine Sekunde zögern, eine adäquate Versorgungs- und Obsorgestruktur zu organisieren. Hier wurde weggeschaut", sagt Wesely.

In seinem Schreiben an den Badener Bezirkshauptmann sprach sich Konrad übrigens auch für die Übernahme der Obsorge zweier minderjährige Mädchen aus Afghanistan aus. Eines der Mädchen leidet an Krebs, die Obsorge über die beiden hat der 18-jährige Bruder. Die Diakonie sah „dringenden Handlungsbedarf“ und sprach sich für eine Übernahme der Obsorge sowie für eine Unterbringung aller drei Geschwister in einem Quartier für minderjährige Flüchtlinge aus. „Inwieweit er in der Lage sein soll, über notwendige medizinische Behandlungen zu entscheiden und die notwendige Tragweite der Entscheidungen zu erfassen, ist sowieso fraglich“, hieß es im Schreiben der Diakonie.

Doch auch hier sah die Behörde keinen Handlungsbedarf, nach wie vor obliegt die Obsorge für seine beiden Schwestern bei dem 18-Jährigen.

Die BH weist in ihren Stellungnahmen jegliches Fehlverhalten zurück. Während immer mehr Details zu den Vorgängen auftauchen, wurde am Dienstag bekannt, dass BH-Chef Heinz Zimper mit 1. April 2018 abgelöst wird. Einen Zusammenhang mit der Causa gebe es aber nicht, betont man beim Land. Zimper habe mit 62 Jahren im Herbst um Pension angesucht.

Die Geschwister befinden sich derzeit in schulpsychologischer Betreuung.

Kommentare