Sterbehilfe für kranke Freundin: Niederösterreicherin muss nicht ins Gefängnis

Symbolbild
48-Jährige zu bedingter Haftstrafe verurteilt, weil sie Medikamente besorgte und nichts gegen Selbstmord ihrer Bekannten unternahm.

"Das Sterben war jeden Tag Thema", sagt die Angeklagte leise. Mit gesenktem Kopf erzählt die 48-Jährige von den letzten Wochen im Leben ihrer Freundin. Als die chronisch kranke Frau im südlichen Niederösterreich schließlich tatsächlich Suizid beging, war die 48-Jährige an ihrer Seite. Sie besorgte die Medikamente, reichte sie ihr mit einem Glas Wasser, wartete an ihrem Bett. "Sie hat mich gebeten, ihre Hand zu halten, bis sie eingeschlafen ist", erinnert sich die Frau am Donnerstag am Landesgericht Wiener Neustadt.

Wegen Mitwirkung an der Selbsttötung muss sie sich dort verantworten - und bekennt sich auch ohne Umschweife schuldig. Stück für Stück habe die an "Morbus Crohn", einer Darmerkrankung, leidende Bekannte ihren Lebenswillen verloren, berichtet sie. Weder Freunde noch Familie hätten sich um sie gekümmert, schließlich sei es auch noch zu Anfeindungen seitens der Nachbarn gekommen. "Jetzt hab ich gar nichts mehr", soll die Frau gesagt haben. 

Hochzeit mit Video-Bekanntschaft?

Wegen ihrer Krankheit war Essen und Trinken mit Schmerzen verbunden. Die übergewichtige Frau habe das Haus kaum noch verlassen, stattdessen Alkohol konsumiert und über Dating-Apps Männer kontaktiert. Eine dieser Bekanntschaften, einen Mann aus Afrika, mit dem sie täglich Video-Kontakt gepflegt habe, wollte sie angeblich heiraten.

"Als sie dann aber ein Video geschickt bekommen hat, das zeigt, wie er nach einem Unfall tot aus dem Auto gezogen wird, war das der Knackpunkt. Ab diesem Tag hat sie ständig von Selbstmord gesprochen", sagt die Angeklagte und kämpft mit den Tränen.

Testament geändert

Die 48-Jährige war selbst erst rund zwei Jahre zuvor ins Haus ihrer Freundin gezogen. Über eine gemeinsame Bekannte habe man sich kennengelernt, sie übernahm die Pflege der Kranken. "Ich habe mich um den Haushalt und den Garten gekümmert, gekocht und eingekauft", schildert die Angeklagte. Dass ihr Sohn dafür wenige Stunden vor dem Suizid noch als Erbe des Hauses eingesetzt wurde - anstelle der bis dahin vorgesehenen Patentochter der Hausbesitzerin - warf ein schiefes Licht auf die folgenden Ereignisse.

Doch sowohl die Obduktion der Leiche, als auch Ermittlungen der Kriminalpolizei ergaben keinerlei Hinweise darauf, dass die Verstorbene unter Druck gesetzt worden wäre. Diese erklärte ihren Sinneswandel in einem Abschiedsbrief an die Patentochter mit dem renovierungsbedürftigen Zustand des Hauses, den sie ihr nicht zumuten wolle. Ihre Sterbehelferin bezeichnete sie in diesem Schreiben als "Seelenverwandte".

"Habe nur funktioniert"

Der Verteidiger der Angeklagten spricht von "einem nur untergeordneten Beitrag" seiner Mandantin zum freiwilligen Entschluss der Freundin, aus dem Leben zu scheiden. Die 48-Jährige selbst erinnert sich: "Der letzte Tag ist wie in einem Film abgelaufen. Ich habe nur funktioniert, aber nicht darüber nachgedacht." Sie selbst sei wegen Depressionen und Schmerzen unter starkem Medikamenteneinfluss gestanden.

Mindeststrafe

"Glauben Sie, dass sie etwas falsch gemacht haben?" fragt der Richter. "Darüber denke ich oft nach", antwortet die 48-Jährige nach kurzer Bedenkzeit. "Es war sicher nicht in Ordnung, das weiß ich. Aber in der damaligen Situation hat es sich einfach richtig angefühlt. Wenn nicht an diesem Tag, dann hätte sie es sicher kurz darauf getan."

Der Schöffensenat verhängt die Mindeststrafe, sechs Monate bedingte Haft. Nicht rechtskräftig.

 

Wer Suizid-Gedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken dabei, sie zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist, kann sich an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle erste Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken. Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge in Österreich kostenlos unter der Rufnummer 142.

Das neue österreichische Suizidpräventionsportal www.suizid-praevention.gv.at bietet Informationen zu Hilfsangeboten für drei Zielgruppen: Personen mit Suizidgedanken, Personen, die sich diesbezüglich Sorgen um andere machen, und Personen, die nahestehende Menschen durch Suizid verloren haben. Das Portal ist Teil des österreichischen Suizidpräventionsprogramms SUPRA des Gesundheitsministeriums.

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