Denken verboten
Wer öfter mit der Bahn über den Semmering zuckelt, dem ist Breitenstein ein Begriff. Vom Bahnhof ist es nicht weit zu dem am Waldrand gelegenen Haus, das 1899 als „Villa Waldesruh“ errichtet wurde. 1904 hat Henriette Weiss, eine Großtante von Richard Weihs, die Villa erworben – zusammen mit der Pension „Zur Waldandacht“ gleich daneben. Letztere wurde zu einem stattlichen Sanatorium – von dem heute nichts mehr zu sehen ist – ausgebaut. Dort herrschte ein strenges Regiment: Auf der Liegeterrasse war nicht nur das Sprechen, sondern auch das Denken verboten.
Zu den Stammgästen gehörten Promis wie der Wiener Bürgermeister Karl Seitz, und als Alma Mahler, die in der Nähe ihre Villa hatte, einen Blutsturz erlitt, lief ihr Geliebter Franz Werfel mitten in der Nacht zum Sanatorium, um einen Arzt zu holen.
Nach dem „Anschluss“ waren im Sanatorium Kinder einquartiert, denen dort Zucht und Ordnung beigebracht wurde; in die benachbarte Villa zog die örtliche NS-Kommandantur ein. Der Semmering gehörte zu den letzten Bastionen der Nazis. Im Waldboden hinter der Villa kann man heute noch Schützengräben erkennen.
Learning by Doing
Nach dem Krieg verfielen die Gebäude. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde geplündert, den Rest erledigte die Natur; es wuchsen Bäume aus dem Dach. Als die Familie Weihs die Villa in den 60er- und 70er-Jahren als Feriendomizil nutzte, war der Komfort bescheiden. Wasser mussten sie mit Kübeln aus einem Brunnen holen, und es war bitterkalt. „Oft war in der Früh die Milch in der Kanne gefroren“, erinnert sich Weihs.
Trotzdem war ihm das alte Haus ans Herz gewachsen, und er wurde die Idee nicht mehr los, es wieder bewohnbar zu machen. Vor 20 Jahren war es so weit: Mit Unterstützung eines engagierten Architekten aus Neunkirchen ging Weihs, der sich alles Handwerkliche durch „Learning by Doing“ aneignen musste, das Projekt an. Zwei Jahre lang war er rund um die Uhr auf der Baustelle, einmal wäre ihm beinahe ein Plafond auf den Kopf gefallen. „Dann gäbe es jetzt kein Buch.“
Mindestens ebenso anstrengend war der jahrelange Papierkrieg, den Weihs führen hatte müssen, um überhaupt renovieren zu dürfen. Es fing damit an, dass der Besitz auf mehr als 20 Familienmitglieder verstreut war, von denen einige auf anderen Kontinenten lebten. „Alle, die das Haus gesehen haben, haben mir’s schnell überschrieben.“
Als die Besitzverhältnisse 2000 endlich in seinem Sinn geklärt waren, musste er feststellen, dass die Gemeinde das Grundstück längst in Grünland umgewidmet hatte. Dass er dann doch (um)bauen durfte, hat damit zu tun, dass er mit den Behörden zwar viele schlechte Erfahrungen machte, aber eben nicht nur. „Es gab immer wieder auch Leute, die mir geholfen haben.“
Zimmer mit Aussicht
Heute verbringt Weihs ein Drittel des Jahres in der Villa, Tendenz steigend. Die Heizung funktioniert, aus dem Wohnzimmer hat man eine tolle Aussicht auf Semmering und Südbahnhotel.
Im Obergeschoß sind massenhaft Bücher und ein Teil der umfangreichen Gitarrensammlung – circa 250 Stück! – untergebracht, die er im Lauf der Zeit zusammengetragen hat. Auch das Buch hat Weihs hier oben geschrieben.
Sein Vater starb bereits 1985, die Mutter aber hat die Auferstehung der Villa noch miterlebt; sie erkrankte während der Bauarbeiten an Krebs, kam aber trotzdem immer wieder nach Breitenstein.
Nach ihrem letzten Besuch fiel ihm auf, dass sich die Mutter im Auto unter Mühen noch einmal umdrehte, „um einen letzten Blick auf das frisch renovierte Haus zu erhaschen“. Als er das aufschrieb, kamen Richard Weihs die Tränen. Es steckt nicht nur jede Menge Geschichte in dieser Villa, sondern auch viel Liebe.
Buchtipp
Richard Weihs: „Zertrümmerte Erinnerung am Semmering“
Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft. 447 Seiten. 36 Euro
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