Seegrotte Hinterbrühl: „Wir sind ein lokales Kulturgut“

Aufgeregt piepsend schiebt sich der große Reisebus im Rückwärtsgang vor den Eingang der Seegrotte. Vorbei am italienischen Stimmengewirr einer wartenden Gruppe. Im angrenzenden Kaffeehaus sitzen Einheimische in der Frühlingssonne, man diskutiert über Tagespolitik.
Die Hauptsaison hat noch nicht begonnen im Schaubergwerk in Hinterbühl (Bezirk Mödling). Und doch herrscht schon reges Treiben rund um die Seegrotte. „Ja, die Gäste waren von Anfang an sofort da“, sagt Pia Maria Krebs lächelnd. Nach rund dreijähriger Schließung hat sie mit ihrem Team die Touristenattraktion aufwendig saniert und 2022 neu eröffnet. „Wir hatten eine sehr schöne erste Saison und verzeichnen jetzt schon eine deutliche Steigerung im Vergleich zum Vorjahr“, ist Krebs zufrieden.
Familienbetrieb
Die Besucher kommen aus den Nachbarländern, aber auch aus der ganzen Welt in die Hinterbrühl. „Es freut mich, dass wir außerdem immer mehr regionale Gäste begrüßen dürfen“, betont die Eigentümerin. „Wir sind ja ein lokales Kulturgut. Mir ist es wichtig, dass die Hinterbrühler uns als ,ihre Seegrotte‘ sehen.“ Das Publikum sei bunt gemischt: „Sie kommen im Kinderwagen und mit dem Rollator.“ Auch Blinden- und Gehörlosenführungen werden angeboten.
Immer öfter wollen Familien und Schulklassen aus Wien und Umgebung die Seegrotte sehen, die für Pia Maria Krebs eine persönliche Verpflichtung ist. „Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Betrieb in Familienbesitz.“
Ihr Urgroßvater hatte 1932 die Idee, hier ein Schaubergwerk zu eröffnen. „Ich habe deswegen auch keine Sekunde lang daran gedacht, alles hinzuschmeißen“, sagt die Wienerin. „Auch wenn es harte Jahre waren, finanziell schwierig, als wir nicht aufsperren konnten.“ Bei einer Routineinspektion der Montanbehörde am 24. Mai 2019 waren bauliche Mängel festgestellt worden, die in mühevoller Arbeit behoben werden konnten. „Ich bereue nichts, inzwischen ist alles so, wie ich es mir wünsche“, strahlt die Eigentümerin. „Aber mein Leben hat sich mit diesem Projekt schon sehr stark verändert.“ Ihren Beruf als Rechtsanwältin möchte Krebs dennoch nicht aufgeben. Ihre Spezialisierung auf Bergbau-Recht schaffe Synergien.

Pia Maria Krebs freut sich über das familiäre Arbeitsklima im Team der Seegrotte
Familiär sei auch das Arbeitsklima in der Seegrotte: „Ich musste die Belegschaft aus Kostengründen reduzieren, wir sind aber richtig zusammengewachsen“, sagt Krebs. Fünf Mitarbeiter beschäftigt sie derzeit, sollten sich die Besucherzahlen so weiterentwickeln wie im letzten Jahr, stehe aber eine Vergrößerung des Teams bevor.
Denn an Plänen mangelt es nicht. „Ich möchte den Aspekt des Zweiten Weltkrieges aufarbeiten und stärker beleuchten“, kündigt sie an. In der NS-Zeit wurden im Bergwerk in Zwangsarbeit Flugzeuge gebaut. Ein Historiker begebe sich deshalb auch laufend auf die Suche nach Relikten in den Stollen. Einige davon sind bereits ausgestellt.
Die Seegrotte in Hinterbrühl (Bezirk Mödling) ist ein ehemaliges Gipsbergwerk. Ab dem Jahr 1932 wurde es als Schaubergwerk in Szene gesetzt. Sieben Quellen speisen darin den mit 6.200 Quadratmetern größten unterirdischen See Europas. Er hat keinen natürlichen Abfluss, der Wasserspiegel wird durch das Abpumpen von rund 50 bis 60 Kubikmetern Wasser pro Tag in den Mödlingbach gehalten. Im Durchschnitt ist der See 1,2 Meter tief.

Flugzeugbau in der Seegrotte
Im Jahr 1943 sollten von den Nationalsozialisten in der Seegrotte ursprünglich Speisefette einlagert werden, was aber wegen der hohen Luftfeuchtigkeit misslang. Am 4. August 1943 wurde in der Hinterbrühl ein Außenlager des KZ Mauthausen errichtet, in dem politische Gefangene aus ganz Europa im Auftrag der Heinkelwerke unter Tage Kriegsflugzeuge für die Wehrmacht in Zwangsarbeit fertigen mussten. Der Ort war vor Bombenangriffen relativ sicher.
Ein dramatischer Zwischenfall erschütterte die Seegrotte am 31. Mai 2004. Auf dem unterirdischen See kenterte ein Boot mit 28 Touristen. Vier Deutsche sowie eine Belgierin ertranken dabei, da sie unter dem Boot eingeklemmt wurden.
Die Unglücksursache war laut Gutachten eines Sachverständigen vor allem auf eine Fehlkonstruktion des Bootes zurückzuführen. Der 2.000 Kilogramm schwere Trimaran hatte einen asymmetrischen Aufbau, hätte lediglich für 25, aber nicht für 29 Personen bewilligt werden dürfen. Dadurch befand sich das Boot faktisch immer in Kenternähe.
Seit 2022 wird die umfassend renovierte Seegrotte von einem neuen Team geführt.
Veranstaltungsort
Aber auch die Hintergründe des Bergbaus, wie etwa Technik oder Gebirgsmechanik, will sie den Besuchern näherbringen. Schautafeln sind geplant. Denn: „Wir sind mehr als nur Bootfahren.“ Die Runde auf Europas größtem unterirdischen See ist dennoch zweifellos der Höhepunkt jeder Führung. Spektakuläre Blickachsen – geschickt ausgeleuchtet – tun sich nach jeder Biegung auf.
Dass eines dieser Boote im Jahr 2004 gekentert ist, was vier Menschen das Leben kostete, gehört zur Geschichte des Betriebes. Krebs geht damit sehr offen um: „Es war eine Zäsur für meine Familie, ich erinnere mich daran, auch wenn ich damals noch studiert habe und mit dem Betrieb der Seegrotte noch nichts zu tun hatte. Aber seither sind wir natürlich noch viel sensibler geworden im Umgang, was gut ist.“
Eingehen will die Chefin auf zahlreiche Anfragen für Veranstaltungen im Schaubergwerk. „Wir hatten heuer erstmals ein privates Neujahrsschwimmen, das sehr gut angekommen ist und das ich auf jeden Fall wiederholen möchte“, sagt sie. Denn generell liege ihr besonders am Herzen: „Veränderung, Mut zu Neuem, Dinge zu tun, die noch keiner getan hat. Das ist aber ein allgemeines Thema, das weit über die Seegrotte hinausgeht.“
Kommentare