Weihnachtsgeschichte von Rena Schandl: Asya auf dem Karussell
Rena Schandl ist Kinderbuch-Autorin und lebt in St. Pölten. Dem KURIER hat sie ihre neue Weihnachtsgeschichte "Asya auf dem Karussell" zur Verfügung gestellt.
Hier lesen Sie die Kurzgeschichte:
Großer Wirbel um fünf Uhr morgens. Aufgeregte Männerstimmen, Frauen kreischen, Kinder heulen. Schwere Schritte, Türen knallen, Koffer purzeln über Stufen, auf der Straße Blaulicht-Blitze. Eine Abschiebung im Gemeindebau. Die, mit den vielen Kindern im ersten Stock. In der Zimmer-Küche-Wohnung, ganz hinten, an der letzten Tür. Wo´s gleich vom Gang hineingeht in den Küchen-Schlauch, wo der Eingang vergittert ist, mit Glas dahinter, fürs Tageslicht. Die desolate Dusche in der Ecke nachträglich herausgefliest, aber dann ein großes helles Zimmer, für alle und für alles, vorne auf die Straße raus. Von wo´s jetzt lärmt und blitzt, orange und weiß und stechend blau.
Nach einer halben Stunde ist´s vorbei. Die Schreie verstummt, die Türen verschlossen, kein Polizeiauto mehr draußen vor dem Haus. Das Blitzlicht-Gewitter haben sie mitgenommen, wie auch die Familie. Die Ausländer mitsamt den Kindern, die komplette Sippschaft aus dem ersten Stock. Jetzt ist wieder Ruhe im Gemeindebau. Ruhe und Frieden, wie man sich´s wünscht, in der besinnlichen Zeit vor dem großen Fest.
In der Zimmer-Küche-Wohnung ist es am stillsten. Stundenlang wagt Asya nicht, aus ihrem Geheimversteck unter der Spüle hervorzukriechen. Erst als sie Hupen und Gebimmel hört, den vertrauten Lärm, der von der Straße kommt, drückt sie die Tür von innen auf, kraxelt auf allen vieren ´raus und steht, allein wie nie, im großen Zimmer. Es ist finster und es ist still, keine Menschenseele weit und breit. Sie geht aufs Klo, schnappt sich ein Stück Weißbrot aus der Dose und dreht den Fernseher auf. Kinderprogramm am Vormittag. Ein Weihnachtsmarkt, ein Karussell. Hölzerne Pferde springen auf und ab. Die Kinder halten sich an den Hälsen und an den langen Mähnen fest. Wie gut gelaunt und fröhlich die doch alle sind!
Die Sendung ist aus und niemand sagt, „Asya, komm abdrehen.“ Also schaut sie weiter. Den ganzen Tag lang sieht sie fern, eine Sendung nach der anderen. Und es kommen wunderbare Filme, mit Weihnachtsmännern und Familien und kleinen Hunden. Herrlich geschmückte Bäume sieht sie, mit goldenen Engeln oben drauf. Und die Bäume stehen in schönen großen, verschneiten Häusern. So sitzt sie, bis es Abend wird, und sich am Gang ein interessanter Lärm erhebt. Asya läuft in die Küche und blickt durch die vergitterte Scheibe. Kinder stehen vor der Tür. Es sind die von unten, die vom Hof. „Hallo!“, ruft sie und springt und winkt. Lena aus dem Dritten winkt zurück. Der Hausmeister-Junge steht auch dabei. Lena macht lustige Faxen, Asya lacht und schneidet Grimassen. Jetzt kommt Flori, der Hausmeister-Junge mit dem Schlüssel. Er sperrt die Tür auf. Asya ist frei.
Sie läuft auf die Straße. Dort hat sie Mama und Baba zuletzt gehört. Mama und Baba und die Brüder und die Schwestern. Viele Leute eilen an ihr vorbei, aber fremde, sie kennt sie nicht. Sie läuft hinüber auf den Parkplatz vor dem Supermarkt. Lena und Flori laufen mit. Da steht ein leerer Einkaufswagen. Den kann man drehen. Asya klettert hinein und bittet die beiden, es zu versuchen. Und wirklich haben die zwei schnell ´raus, wie´s geht. - Hui! Wui! Wui! - wirbelt sie im Kreis. Fast wie im Fernsehen! Jetzt ist sie Asya auf dem Karussell!
Lena und Flori freut´s nicht mehr. Sie wollen zurück, sie müssen heim. Asya klettert aus dem Wagen und gemeinsam laufen sie ins Haus. Flori bleibt im Erdgeschoß, Lena läuft weiter in den dritten Stock und Asya biegt, wie immer, gleich im Ersten ab. Aber sie muss draußen bleiben, denn die Wohnungstür ist fest verschlossen. Der Hausmeister hat vorbeigeschaut und mit den Worten, „Na so was, nicht mal zug´sperrt haben´s!“, hat er den Schlüssel umgedreht und eingesteckt. Für Ordnung und Sicherheit hat er gesorgt. Das muss er. Dafür ist er da.
Asya läuft zurück, hinunter auf die Straße, hinüber auf den Parkplatz. Finster ist es jetzt, schon richtig Nacht. Der Einkaufswagen steht noch da, ganz allein und völlig frei. Weil alle Autos weggefahren sind und der Parkplatz auf einmal riesengroß geworden ist. Asya friert. „Beim Herumdrehen wird mir wieder warm“, denkt sie und klettert nochmal in den Wagen. Sie freut sich schon, wenn jemand kommt, den sie bitten kann, zu drehen, sie wieder und wieder und wieder zu drehen. . . Also bleibt Asya sitzen, schlingt die Arme um die Knie und schiebt die Hände unter die Ärmelbündchen des schönen neuen Anoraks, den ihr die Mama im Caritas-Geschäft gekauft hat. Sie wartet lange, lange, aber niemand kommt. Sie wird müde und - eigenartig - sie friert nicht mehr. Nein, nein, sie friert überhaupt nicht mehr. Tief im Inneren spürt sie, wie eine unbekannte Wärme sie durchströmt, eine Wärme, die bis in die Finger, die Zehen und sogar bis in die Nasenspitze reicht. Warm und wohl gelagert träumt sie, der goldene Engel aus dem Film zu sein und fliegt . . . - Sie fliegt und fliegt, hoch in den Himmel, wo sie und ihre Engelfreundinnen jetzt zu Hause sind.
Mit märchenhaften Bildern ist Asya eingeschlafen und erfroren. Ihr letzter Tag war ein glücklicher gewesen, und es gab keine stillere oder heiligere Nacht als diese. In alle Ewigkeit gab es die nicht.
Mehr zu Rena Schandl und ihren Büchern hat die Autorin im Gespräch mit dem KURIER erzählt:
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