Es ist das Herz des Natura-2000-Gebiets, in dem der Wagen hält. Oder, wie es der gebürtige Marchfelder hinter dem Lenkrad bezeichnet: „Der größte Dreckhaufen nächst Wien.“
Wo einst Napoleon seine legendäre Schlacht bei Wagram schlug, wo man angesichts eines Europaschutzgebietes eigentlich sattes Grün, unberührte Steppen und weite Wiesen erwarten würde, tut sich seit Jahren eine Schottergrube nach der anderen auf. Rostige Schilder verweisen auf „Bergbaugebiete“, windschiefe Tafeln auf Mulden.
„Heute ist es hier ja ruhig, normalerweise brettern von 5 Uhr Früh bis 19 Uhr nonstop Lkw-Kolonnen durch“, schildert der Marchfelder, während das Auto langsam über eine Schotterstraße weiterrollt. Schon dabei entsteht eine dichte Staubwolke. Wo gerade nicht gebaggert wird, wird im großen Stil abgelagert. Die Aufschüttungen, die dadurch entstehen, sind so hoch, dass sie das einst flache Gebiet in eine Hügellandschaft verwandelt haben.
Deponieberge
„Da weiß keiner so genau, was eigentlich drinnen ist“, sagt ein weiterer Mitfahrer. Schon einmal haben sich die Bewohner gegen eine Deponie gewehrt, den berühmt-berüchtigten Marchfeldkogel. Dieser hätte bis zu 40 Meter hoch werden sollen – über das Füllmaterial ranken sich Gerüchte.
Das Großprojekt wurde zwar abgewendet, viele weitere Deponien bleiben jedoch. Dass diese von Auffangbecken umringt sind, erhöht das Vertrauen der Bewohner in den umliegenden Gemeinden nicht gerade. Vor allem, da die Trinkwasserversorgungsstelle der EVN nicht weit entfernt liegt.
Mit der Kornkammer Österreichs, wie das Marchfeld gerne bezeichnet wird, hat der Blick aus dem Autofenster jedenfalls herzlich wenig zu tun. Noch weniger mit einem Lebensraum, in dem sich Tiere wohlfühlen könnten. Dabei ist genau das der Grund, warum das rund 16.300 Hektar große Gebiet seinen hohen Schutzstatus hat: um seltenen Tierarten, vor allem Vögeln, einen sicheren Lebensraum zu bieten.
Höchster Schutzstatus
Ganz oben auf dieser Liste steht der streng geschützte Triel, von dem zwei der letzten Brutpaare Österreichs im Marchfeld leben sollen. Der nachtaktive Steppenvogel ist sogar so schützenswert, dass das Bundesverwaltungsgericht ihn als Hauptargument in einer seiner jüngsten Entscheidungen anführte: Im Dezember wurde dem Bau der Marchfeld-Schnellstraße S8 nach einem jahrelangen Gerichtsverfahren eine Absage erteilt. Zu sehr wäre der Lebensraum des Vogels durch den Bau der Umfahrungsstraße beeinflusst worden, urteilten die Experten.
„Die reinste Doppelmoral!“, ärgert sich der Marchfelder, für den Schottergruben und Deponien so gar nicht mit einem Natura-2000-Gebiet zusammenpassen wollen. Seit 2004 gilt die Region als Vogelschutzgebiet, 2020 wurde die Fläche sogar noch ausgedehnt. Die Naturschutzbehörde – sprich das Amt der Landesregierung – hat das Areal einst als schutzwürdig vorgeschlagen und dies per Verordnung besiegelt. Allerdings ist es auch das Land, das die Materialgewinnung und Deponienutzung genehmigt.
„Die Vorhaben werden im Gebiet regelmäßig sogenannten Naturverträglichkeitsprüfungen unterzogen: Es handelt sich dabei um naturschutzbehördliche Bewilligungsverfahren, welche die Verträglichkeit eines Vorhabens mit den Erhaltungszielen des betroffenen Europaschutzgebiets prüft“, heißt es dazu von der Landesabteilung Naturschutz.
Dabei gelte ein Verschlechterungsverbot, wie das Umweltbundesamt erklärt. Genehmigte Projekte dürfen dem Natura-2000-Gebiet nicht schaden. „Die Behörde ist dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass sich ein Gebiet nicht verschlechtert“, liegt auch hier die Verantwortung beim Land. Und auch Pflichten – Erhaltungsziele – sind mit einem Natura-2000-Gebiet verbunden. Dazu zählen laut eines Dokuments des Online-Rechtsinformationssystems im Falle des Marchfelds möglichst störungsfreie Brut- und Nahrungsflächen.
Für das Bundesverwaltungsgericht war die geplante S8-Trasse mit diesen Erhaltungszielen nicht vereinbar. Für die beiden Marchfelder, die dem KURIER zum Abschluss der Tour illegale Müllablagerungen im Natura 2000-Gebiet zeigen, ist es der derzeitige Umgang mit der Natur ebenso wenig. „Was hier passiert, ist Zerstörung zum Quadrat. Aber wie heißt es so schön beim Lotto? Alles ist möglich.“
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