Prozess um Pflegeheimskandal: „Ich bin der Herr des Todes“
Es herrscht eine bedrückende Stille im Verhandlungssaal, als die Staatsanwältin ihren Eröffnungsvortrag hält. Sie zählt mehrere Namen samt Geburtsdaten auf. Dann berichtet sie, was diesen Menschen passiert sein soll. Es geht um Schläge gegen den Unterleib, ins Gesicht, Erniedrigungen, sexuellen Missbrauch.
Einem Patienten, so die Anklägerin, sei der Penis verdreht und mit Franzbranntwein eingerieben worden. Anderen wiederum sei ein Abführmittel verabreicht worden, wieder andere wurden geschminkt, fotografiert und ausgelacht.
Zehn Jahre Haft drohen
Vier lange Jahre hat es gedauert, bis die juristische Aufarbeitung von Vorgängen im Pflegeheim Kirchstetten in Niederösterreich beginnen konnte. Vier ehemaligen Mitarbeitern werden neben Körperverletzung das Quälen oder Vernachlässigen sowie der sexuelle Missbrauch wehrloser Personen angelastet.
Bei den Angeklagten handelt es sich um einen 30-Jährigen und um Frauen im Alter von 34, 52 sowie 55 Jahren. Im Fall einer Verurteilung droht dem Quartett bis zu zehn Jahre Haft.
Whatsapp-Gruppe
Die Causa, die in den kommenden Wochen am Landesgericht St Pölten verhandelt wird, ist komplex. Denn handfeste Beweise gegen die Beschuldigten, die alle auf der Station „St. Anna“ tätig waren, gibt es nicht. „Die Opfer waren bettlägrig oder auf den Rollstuhl angewiesen und nicht mehr mitteilungsfähig – keiner von ihnen konnte uns etwas dazu sagen, was ihnen passiert ist“, berichtet die Staatsanwältin.
Beweislage ist dünn
Die Anklage stützt sich im Wesentlichen auf die Aussagen zweier Pflegeheim-Mitarbeiter und die Inhalte einer Whatsapp-Gruppe, die der 30-jährige Angeklagte gleich nach der Kündigung gelöscht haben soll. IT-Experten konnten den entsprechenden Chat-Verlauf aber wieder herstellen.
In dieser Gruppe bezeichnet sich der Angeklagte einmal als „Master of death“ (Herr des Todes, Anm.), schrieb an Kollegen „Ich glaub, wir sind die Außenstelle von Lainz“. Die Todesengel von Lainz hatten in den 1980er-Jahren zahlreiche Patienten im gleichnamigen Krankenhaus getötet.
Schrecklicher Chat-Inhalt
Für den ehemaligen Pfleger, der in dem Heim für das Qualitätsmanagement zuständig war, diente die Whatsapp-Gruppe laut eigener Aussage zur „Psychohygiene“ – also zur „internen Verarbeitung“.
„In der Station herrschte Personalmangel, es war extrem stressig.“ Die Chats seien ein Ventil gewesen, um Druck abzulassen. Richterin Doris Wais-Pfeffer zeigte sich über die Einträge sichtlich entsetzt. „Sie müssen alle gebrochen werden, wenn das nichts hilft, dann kalt waschen, nackt lassen, Fenster offen. So pflegt man halt richtig“, liest sie vor.
11 Leichen exhumiert
Der Anwalt des Quartetts, Stefan Gloß, betonte, dass sich insgesamt acht Personen in der Gruppe befanden, aber nur vier wurden angeklagt. Er berichtete, dass sich in den Protokollen der Pflegedokumentation keine Hinweise auf Verletzungen der betroffenen Heimbewohner finden. Im Raum stand auch ein Mordverdacht. Doch es konnten keine Hinweise gefunden werden, dass mit Medikamenten das Sterben der Patienten beschleunigt wurde. 11 Leichen wurden exhumiert.
Der Prozess soll Gerichtsangaben zufolge am 18. November enden. Da Gloß aber die komplette Pflegedokumentation einforderte, könnten sich die Verhandlungen aber auch noch bis in das kommende Jahr hinziehen.
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