Bußgelder in die eigene Tasche gesteckt? Polizist gibt nur "Fehler" zu

Der 56-jährige Angeklagte am Freitag am Landesgericht Wiener Neustadt.
Die Staatsanwältin macht die Dimension klar: In mindestens 484 Fällen soll der 56-jährige Angeklagte als Polizist ganz gezielt Organmandate manipuliert und die kassierten Bußgelder nicht zur Gänze abgeführt haben, sagt sie. Dies sei aber nur ein Teil des Gesamtbildes.
"Denn wir haben nur rund ein Drittel seiner Blöcke mit Strafmandaten ausgewertet und hier nur wirklich jene Fälle angeklagt, die ganz klar waren", betont die Anklägerin. "Zwei Drittel wurden nicht mehr im Detail angeschaut, weil die Ermittlungen sonst noch jahrelang gedauert hätten."
"Hätte in Krankenstand gehen sollen"
Zumindest von August 2020 bis April 2023 habe der Mann insgesamt mindestens 14.720 Euro in die eigene Tasche gesteckt. Genau das bestritt der 56-Jährige am Freitag vor dem Landesgericht Wiener Neustadt allerdings. Er sei nach einem Sturz mit Kopfverletzung im Jahr 2019 massiv psychisch beeinträchtigt gewesen, danach habe er aber dennoch weiterhin Dienst gemacht. „Ich habe nicht eingesehen, dass ich krank bin“, behauptete der Beschuldigte, der von 1991 bis zu seiner Suspendierung als Polizist tätig war.
Er habe Fehler bei der Handhabung der Blöcke gemacht, aber „ich habe niemals Geld eingesteckt“, betonte der 56-Jährige. Vorgeworfen wurde dem Angeklagten auch, Gegenstände und Dokumente wie Führerscheine oder gefälschte Kennzeichen nicht ausgefolgt oder an die zuständige Stelle weitergeleitet, sondern in seinem Spind deponiert zu haben.
"Ich hätte in Krankenstand gehen sollen, aber ich wollte es mir nicht eingestehen. Meine Eltern und mein erster Vorgesetzter haben mir beigebracht, dass man immer 100 Prozent geben muss und man seine Kollegen nicht im Stich lässt. Daran habe ich mich gehalten." Sein Verteidiger betonte: „Im Umgang mit Organstrafmandaten sind ihm Fehler passiert.“ Der Angeklagte habe „30 Jahre Spitzenpolizeidienst versehen“, sei "ein Kieberer mit Leib und Seele" gewesen, dann aber in ein „schweres Burn-out“ geschlittert. Mit rund 4.000 Euro Nettogehalt und bescheidenem Lebensstil habe er keinerlei Geldbedarf gehabt.
Kollege deckte Fehlverhalten auf
Die Erhebungen waren im Juni 2023 durch den Hinweis eines Kollegen ins Rollen gekommen. Der Beschuldigte, der häufig Verkehrskontrollen im Bezirk Wiener Neustadt durchgeführt hatte, soll zum Beispiel bei Organmandaten wegen Geschwindigkeitsübertretungen in der Höhe von 50 Euro den Durchschlag nachträglich auf 20 Euro geändert und die Differenz behalten haben.
Ehemalige Kollegen beschrieben den Angeklagten im Zeugenstand als sehr engagiert. Sein früherer Vorgesetzter bezeichnete den 56-Jährigen als „einen der tüchtigsten Verkehrspolizisten, den sich die Republik wünschen kann“. Er habe „70 Prozent der Organmandate vom ganzen Bezirk Wiener Neustadt“ ausgestellt, berichtete der Zeuge.
Gutachter sieht kein Burnout
Gutachter Manfred Walzl attestierte dem Angeklagten eine "akzentuierte Persönlichkeit" und ein Überforderungssyndrom. Dies könne die Zurechnungsfähigkeit gering einschränken. Er sei sehr normtreu und engagiert. Eine schwerwiegende bzw. nachhaltige Persönlichkeitsstörung oder ein Burnout sah der Sachverständige nicht.
Als Zeugen befragt wurden am Freitag auch mehrere Lenkerinnen, die Strafen wegen Schnellfahrens erhalten hatten. Sie berichteten jeweils davon, dass sie 50 Euro zahlen mussten. Weitere gestrafte Verkehrsteilnehmer sollen dann am nächsten Verhandlungstag, dem 6. Mai, zu Wort kommen. Der Prozess wurde vertagt.
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