Mutter pflegt Tochter: Pflegegeld bleibt für Mutter "Gehalt"

Susanne B. und Melanie als Opfer geltenden Rechts
Weil sie ihre Tochter selbst pflegt und nicht in ein Heim gibt, bekommt sie weniger Unterstützung.

Der KURIER-Bericht über das Schicksal einer Niederösterreicherin, der die Mindestsicherung gekürzt wurde, und ihrer behinderten Tochter, hat viele bewegt. Zahlreiche Leser haben sich gemeldet, die der Frau helfen möchten. Der KURIER wird die Anfragen weiterleiten.

Auch Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat sich eingeschaltet. Sie lässt derzeit prüfen, inwieweit der Betroffenen mit Landesgeld geholfen werden kann. "Wir haben in Niederösterreich die Möglichkeit, unverschuldet in Not geratene Familien zu unterstützen. Ich habe Soziallandesrätin Barbara Schwarz daher beauftragt, mit der Familie Kontakt aufzunehmen, die gesamte Familiensituation zu erheben und eine Unterstützung zu prüfen."

Mutter pflegt Tochter: Pflegegeld bleibt für Mutter "Gehalt"
kurier

Das Grundproblem löst diese Maßnahme freilich nicht. Zur Erinnerung: Im vom KURIER geschilderten Fall wurden der Mutter 350 Euro vom Pflegegeld, das die 14-jährige Tochter bezieht, als "Einkommen" angerechnet. Daraufhin wurde der Mutter ihre Mindestsicherung von 733,04 Euro auf 386,29 Euro pro Monat gekürzt. Für die Frau kam dieser Einschnitt völlig unerwartet und ist mit großen Entbehrungen für Mutter und Tochter verbunden.

Für Susanne B. und ihre Tochter Melanie (Namen geändert) besonders schlimm: Die Kürzung ist gesetzlich gedeckt. In einem ähnlich gelagerten Fall in Wien vertrat auch das zuständige Landesverwaltungsgericht diese Ansicht: "Das Pflegegeld ist der Hilfesuchenden als Einkommen anzurechnen, weil sie – auf Kosten ihrer sonst bestehenden Verdienstmöglichkeiten – gerade jene Pflegeleistungen erbringt, zu deren Abdeckung (zweckgebunden) das Pflegegeld dient."

Mutter pflegt Tochter: Pflegegeld bleibt für Mutter "Gehalt"
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In anderen Worten: Da Melanie von ihrer Mutter – und nicht etwa in einem Heim – gepflegt wird, steht der Mutter das Pflegegeld quasi als Verdienst zu. Somit verfügt Susanne B. vor dem Gesetz über ein Einkommen, die Mindestsicherung wird dementsprechend gekürzt.

Dass dies erst seit Juni 2017 passiert und sie davor jahrelang eine höhere Mindestsicherung bekam, ist einem Behördenfehler geschuldet. Laut Sozialabteilung hat die Bezirksbehörde Wien-Umgebung das Pflegegeld der Tochter übersehen und bei der Berechnung des Anspruchs von Susanne B. nicht berücksichtigt. Nach Auflösung des Bezirks Wien-Umgebung hat die nun zuständige BH neu berechnet und Susanne B. die Mindestsicherung entsprechend gekürzt. Zurückzahlen muss sie aber nichts.

"Absurd", sagt Helga Krismer, Landeschefin der Grünen, die sich mit dem Fall befasst. "Ich muss in Österreich mein Kind von Fremden pflegen lassen, damit ich Geld bekomme, das ohnehin dem Kindeswohl dient." Solche Gesetze, die Folge reiner Spargedanken seien, müssten sofort geändert werden. Krismer kämpft per Petition derzeit auch gegen das nö. Mindestsicherungsgesetz.

Auch ÖVP-Abgeordneter Toni Erber hat mit Auswüchsen wie im Fall B. keine Freude: "Es ist sicher nicht in unserem Sinne, wenn Behinderten etwas weggenommen wird." Er regt die Schaffung eines bundesweiten Härtefonds für solche Fälle an.

Ende 2016 sind die Verhandlungen für eine bundeseinheitliche Regelung der bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) gescheitert. Die Debatten um die verschiedenen Modelle, die in den einzelnen Bundesländern entwickelt wurden, reißen bis heute nicht ab. Zuletzt hat etwa der Rechnungshof eine österreichweite einheitliche Regelung gefordert.

Doch die scheint weiter nicht in Sicht. Besonders tiefe Einschnitte haben Niederösterreich, Oberösterreich und das Burgenland gesetzt. Pro Familie wurde die Mindestsicherung mit rund 1500 Euro gedeckelt. Vollen Leistungsanspruch gibt es erst nach mehreren Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich. Das nö. Landesverwaltungsgericht will diese beiden Regelungen, wie berichtet, nun vom Verfassungsgerichtshof überprüfen lassen. "Der Verfassungsgerichtshof hat unser Gesetz bereits einmal geprüft und für in Ordnung befunden. Nun erfolgt eben eine zweite Prüfung", heißt es lapidar aus der Landesverwaltung.

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) sieht das nahezu deckungsgleiche Modell in seinem Bundesland derzeit ebenfalls nicht in Frage gestellt: "Das oö. Landesverwaltungsgericht hat in einer Entscheidung Ende März bestätigt, dass es keine rechtlichen Bedenken bei Mindestsicherungsbestimmungen für subsidiär Schutzberechtigte gibt. Ich gehe daher davon aus, dass dies auch bei den anderen neuen oberösterreichischen Vorschriften für die BMS der Fall ist. "

Auf Deckelungen und Wartefristen haben die Landesregierungen der ÖVP-geführten und von den Grünen mitregierten Bundesländer im Westen Österreichs zwar verzichtet. Scharfe Kritik gab es aber etwa in Tirol von Sozialvereinen, weil die Höhe der übernommenen Wohnkosten gekürzt wurde.

Zuweisungen starten

Negativ bewertet wurde auch eine Regelung, die es dem Land ermöglicht, Beziehern der Mindestsicherung Wohnungen zuzuweisen. Bislang konnten anerkannte Flüchtlinge ihren Wohnort frei wählen. Sofern sie Mindestsicherungsbezieher sind, haben sie diese Freiheit seit 1. Juli nicht mehr. Das Land will an diesem Hebel offenbar kräftig ziehen.

Den Tiroler Sozialen Diensten (TSD) sind bereits 200 Personen gemeldet, die nun freie Quartiere in Asylheimen beziehen müssen. Dabei lautete der Ansatz des Landes bislang, Flüchtlinge zwecks Integration möglichst rasch in Wohnungen unterzubringen. Doch die TSD sind angesichts der rückläufigen Zahl an Asylwerbern mit zahlreichen angemieteten, aber leer stehenden Unterkünften konfrontiert.

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