Ein Forensiker als Herr der Fliegen

Ein Forensiker als Herr der Fliegen
Sechs Experten sagen im Kührer-Prozess aus. Christian Reiter ist einer von ihnen

Fliegen können einiges. Zum Beispiel besonders gut riechen. Vor allem die metallisch glänzenden Schmeißfliegen sind wahre Spürhunde, wenn es darum geht, verwesende Lebewesen aufzuspüren. Dort legen sie ihre Eier ab. Sie verraten damit auch den Menschen einige Geheimnisse. Und zwar so zuverlässig, dass sie bei Gerichtsprozessen als Indizien herhalten. Auch im Fall der 2006 ermordeten Schülerin Julia Kührer aus Pulkau wird das eine Rolle spielen.

Das Mädchen war fünf Jahre lang verschwunden. Im Sommer 2011 wurden seine sterblichen Überreste in einem Erdkeller im nahen Dietmannsdorf entdeckt. Der Prozess gegen den Verdächtigen Michael Kollitsch, der jeden Zusammenhang mit dem Tod des Mädchens leugnet, startet am Dienstag.

Fliegenreste

Dutzende Zeugen und sechs Gutachter werden zu Wort kommen. Darunter Gerichtsgutachter und Forensiker Christian Reiter, der seine Schlüsse aus den gefundenen Fliegenresten ziehen wird. Denn mit Fliegen hat er Erfahrung. „Ich züchte sie seit 35 Jahren“, erklärt er.

Ein wesentlicher Punkt: „Fliegen mögen keine Rauchprodukte“, sagt Reiter. Sprich: Stirbt etwa ein Reh bei einem Waldbrand, wird sein Körper nicht oder nur sehr zögerlich von Fliegen befallen. Im Fall von Kührer allerdings wurden Fliegenpuppen gefunden. Das könnte bedeuten, dass die Leiche des Mädchens etliche Tage lag, ehe sie mit einem Molotow-Cocktail im vorderen Teil des Kellers angezündet wurde. Die sterblichen Überreste der Schülerin befanden sich im hintersten Teil des Kellers. Sie müssen also bewegt worden sein.

Auch diesen Zeitraum kann man relativ genau eingrenzen. Es dauert ein bis zwei Tage, bis aus den Fliegeneiern Maden schlüpfen, die sich dann verpuppen. Und dazu suchen sie sich – nach Art unterschiedlich – einen sicheren Platz. Das Puppen-Stadium dauert zwei bis drei Wochen. So lange sind die Puppen ungeschützt. Manche Fliegenarten suchen sich knöcherne, geschützte Stellen im Leichnam – im Fall von Julia Kührer wurden Puppen in einem Zahnfach (Vertiefung in den Kieferknochen, Anm.) gefunden – andere suchen Schutz in der Erde.

Hierarchie

Unter den Insekten gibt es eine klare Hierarchie, erzählt Reiter: „Erst kommen die Schmeißfliegen, dann die Stubenfliegenartigen, danach die Käfer“, erklärt Reiter. Bei Kührer wurden nur Überreste von Fliegen gefunden – ein möglicher Hinweis auf die Liegedauer und Lagerbedingungen ihres Leichnams.

Übrigens: Ein feuchter Keller ist nicht unbedingt der bevorzugte Bereich für Fliegen. Sie halten sich lieber in der Sonne auf.

Reiter bleibt aber Realist: „Insekten können nicht alles klären. Aber sie können einen wichtigen kriminalistischen Puzzlestein darstellen.“

Es wird einer der aufsehenerregendsten Gerichtsprozesse des Jahres: Am Dienstag startet der Mordprozess gegen den 51-jährigen Michael Kollitsch. Ihm wird vorgeworfen, Julia Kührer getötet und in seinem Keller versteckt zu haben. Sieben Tage sind für den Prozess im Landesgericht Korneuburg eingeplant. Sieben Tage, in denen sich die acht Geschworenen ein Urteil bilden müssen. Und das wird nicht einfach – denn bisher liegen nur Indizien gegen Kollitsch vor. Beweise oder gar ein Geständnis gibt es nicht. Das Urteil soll am 24. September gefällt werden.

Die Vorgeschichte: Julia Kührer verschwand im Juni 2006 in Pulkau, NÖ. Fünf Jahre später wurden ihre sterblichen Überreste in einem Erdkeller im nahen Dietmannsdorf gefunden – der Keller befand sich auf dem Grundstück von Kollitsch, der in der Zeit des Verschwindens der 16-Jährigen eine Videothek in Pulkau betrieben hatte.

CSI

In CSI-Manier gingen die Ermittler in dem Fall vor, veranlassten unzählige Untersuchungen und Analysen. Unter anderem die der Fliegenpuppen (siehe Artikel oben) und von Faserresten einer blauen Decke. In die war Julia Kührer eingehüllt gewesen, ehe ihre sterblichen Überreste angezündet wurden. Auf der Decke fanden sich DNA-Spuren von Kollitsch – aber auch von einer zweiten, bisher unbekannten Person.

Die Hauptakteure in dem Prozess: Christian Pawle ist der Ankläger. Der Staatsanwalt ist davon überzeugt, dass Kollitsch die hübsche Schülerin ermordet hat. Auf der anderen Seite: Der erfahrene Rechtsanwalt Farid Rifaat, der von der Unschuld seines Mandanten überzeugt ist. Und der auch den gesamten Prozess infrage stellt: „Wir wissen nicht einmal, ob es einen Mord gegeben hat.“ Denn: Die Todesursache des Mädchens ist bis heute ungeklärt. In der Mitte sitzt der Richter, Helmut Neumar, der als erfahren im Bereich der Sexualstraftaten gilt.

Die Familie von Julia Kührer wird von Gerald Ganzger vertreten, der auch Natascha Kampusch juristisch betreut.

TV-Tipp: PULS 4 zeigt am Montag um 23.15 Uhr die Doku „Der Fall Julia Kührer

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