Mödling: Eine Klasse in Angst vor Abschiebung
"Ich habe Angst, ich will nicht nach Afghanistan", sagt Naser und seine Augen füllen sich mit Tränen. Seit Ende November besucht der 18-jährige afghanische Asylwerber mit 21 Kollegen – zu 90 Prozent ebenfalls Afghanen – einen eigenen Lehrgang an der HTL Mödling, der sie auf den Besuch einer berufsbildenden Schule vorbereiten soll. Nun hat er einen negativen Asylbescheid bekommen. So wie viele seiner Schulkameraden. In der Klasse geht die Angst um.
"Zwei Drittel der Verfahren der Schüler sind noch nicht abgeschlossen, aber die die es sind, gehen negativ aus", sagt Wolfgang Buchebner vom freiwilligen Flüchtlingsnetzwerk Connect Mödling, der die Burschen auf den Schulbesuch vorbereitet hat. Im Vorjahr hätten hingegen drei Viertel aller Schüler der HTL-Flüchtlingsklasse, die vom Bildungsministerium finanziert wird, subsidiären Schutz erhalten. "Nicht einmal die, die sich integrieren, dürfen bleiben" kritisiert Connect-Vorsitzende Veronika Haschka. "Unsere Arbeit, als auch die der Jugendlichen, wird nicht honoriert." Mehr als 70 ehrenamtliche Helfer kümmern sich um die Flüchtlinge, nun hat sich Ernüchterung, Frust und Sorge um die Jugendlichen breit gemacht. "Wie geht das weiter? Werden sie dann in der HTL verhaftet?", fragt sich Buchebner. Auch Schüler anderer Schulen sind betroffen.
Im Innenministerium kann man die Kritik nicht nachvollziehen. "Jedes Verfahren wird individuell entschieden", sagt Sprecher Karl-Heinz Grundböck. Zudem sei die Anerkennungsquote bei Afghanen von Juli 2016 mit jener im Februar 2017 ident. Derzeit sind beim BFA rund 20.000 Verfahren von Afghanen anhängig. Die Anerkennungsquote liegt bei rund 20 Prozent. Vielfach erhalten sie nur subsidiären Schutz; bei der Entscheidung über diesen sei die Frage der Integration nicht von Belang, erklärt Grundböck. Zuletzt ist einem Afghanen der subsidiäre Schutz sogar entzogen worden. Andere wurden abgeschoben.
Umsonst geholfen
Die Helfer sprechen von rechtsstaatlichem Versagen. "Wir und die Jugendlichen sehen jetzt, dass wir vergebens gearbeitet haben", sagt Buchebner. "Ich schäme mich für Österreich." Nun würden Burschen und Helfer gleichermaßen unter Schlafstörungen und Angstattacken leiden (siehe Zusatzbericht).
Auch Naser hat Angst. "Ich muss immer an den Bescheid denken", sagt er. Seine Familie war von Afghanistan in den Iran geflüchtet, dort sei sein Bruder getötet worden. Ende 2015 kam er nach Österreich. Nun sieht er seinen Traum, Architekt zu werden, zerplatzen. Die Schule besucht er trotzdem jeden Tag, die erste Prüfung zum Pflichtschulabschluss hat er geschafft. "Man muss ja lernen", meint er tapfer.
Lehrgangsleiter Rudi Razka kennt die Belastung seiner Schüler. "Für uns als Schule stellt sich schon die Frage, warum das gar nichts zählt, wenn man sich integriert." Mit den jungen Flüchtlingen hätte die HTL bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Von 22 Schüler der Vorjahresklasse besuchen 12 nun eine erste Klasse Fachschule. "Es wird keiner sitzen bleiben", erzählt er. "So wie es jetzt läuft, nimmt man den Jugendlichen aber die Motivation. Die Gefahr ist groß, dass sie untertauchen."
"Ehrenamtliche Helfer sind mit der selben Hilflosigkeit und Ohnmacht konfrontiert, wie die jungen Flüchtlinge", erklärt die Psychotherapeutin und Leiterin der Akutbetreuung Wien, Michaela Mathae. Ihrer Einschätzung nach sind 20 Prozent der freiwilligen Flüchtlingshelfer gefährdet, eine sogenannte "Sekundärtraumatisierung" zu erleiden.
"Das Gefühl des Ausgeliefertsein übernehmen die Leute von den Flüchtlingen", erklärt die Expertin. Gemeinsam warte man auf den Asylbescheid und "wenn der negativ ist, fühlen sich die ehrenamtlichen Helfer einerseits schuldig, weil sie nicht mehr machen konnten und andererseits müssen sie die Trauer, Aggression und die Wut der jungen Flüchtlinge aushalten."
Im Unterschied zu professionellen Helfern haben die Ehrenamtlichen nie gelernt, wie man die emotionale Distanz wahrt, zudem gibt es für sie kaum Möglichkeiten der Supervision. "Es gibt für sie einfach keine Anlaufstelle, an die sie sich wenden können", kritisiert Mathae. Da habe die Politik versagt. "Die Helfer wurden quasi angeheuert und jetzt im Regen stehen gelassen."
Belastungsstörung
Die Folgen können gravierend sein: Manche der freiwilligen Helfer entwickeln dann die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung. "Das können Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen und sogar ein Abgleiten in den Medikamentenmissbrauch sein." Darunter würden wiederum Arbeit und Privatleben leiden. Zudem gebe es gesellschaftliche Folgen. "Leute, die traumatisiert sind, haben grundsätzlich das Vertrauen in Menschen verloren", erklärt die Psychotherapeutin. "Es trägt sicher dazu bei, dass die Gesellschaft roher wird."
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