Mariazellerbahn entgleist: Lokführer war bewusstlos
Der zweite Verhandlungstag um den Unfall auf der Mariazellerbahn mit mehr als 30 Verletzten im Vorjahr hat am Mittwoch am Landesgericht St. Pölten ein rasches Ende gefunden. Der 26 Jahre alte Triebwagenführer wurde rechtskräftig freigesprochen, nachdem ihn das internistische Gutachten entlastet hatte und die Staatsanwaltschaft daraufhin von der Anklage zurückgetreten war.
Eine "Himmelstreppe" der Mariazellerbahn war am 26. Juni 2018 im Raum Völlerndorf in der Gemeinde
Gerersdorf (Bezirk St. Pölten-Land) laut Anklagebehörde zu schnell - mit 62 bis 64 statt der erlaubten 35 km/h - in eine Kurve gefahren und entgleist. Die hinteren Wagen fuhren auf die vordere Garnitur auf. Von den rund 80 Passagieren wurden vier schwer und 28 leicht verletzt. Der Schaden lag im zweistelligen Millionenbereich, wegen Aufräum- und Reparaturarbeiten war die Strecke bis 2. Juli gesperrt.
Am ersten Prozesstag, dem 20. März, bekannte sich der 26-Jährige, dem laut Anklage grob fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Gemeingefährdung vorgeworfen wurden, nicht schuldig. Verteidiger Michael Celar sprach von einer Bewusstseinstrübung. Deren Eintritt könne sich sein Mandant nicht erklären, sagte der Jurist. "Auf einmal war ich weg. Wie ich wieder langsam zu mir gekommen bin, war es schon zu spät. Da ist der Zug schon auf der Seite gelegen", schlug der Angeklagte am ersten Verhandlungstag in eine ähnliche Kerbe. Der Prozess wurde schließlich zur Einholung des internistischen Gutachtens vertagt.
"Unvorhersehbar"
Besagte Expertise stand am Mittwochnachmittag im Mittelpunkt des Interesses. Der internistische Sachverständige bescheinigte dem Beschuldigten eine Synkope - also eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit - zum Unfallzeitpunkt. Diese sei "zu diesem Tag, zu dieser Zeit unvorhersehbar passiert", "Zeitraum, Länge und Dauer" seien nicht beurteilbar. "Die Geräusche des Alarmsignals sind bei ihm mit Sicherheit nicht ausreichend angekommen, so dass eine automatische Reaktion erfolgen hätte können", betonte der Gutachter.
Zur sogenannten Fehlregulation des Kreislaufs des 26-Jährigen hätten mehrere Faktoren geführt. Dazu gehöre etwa eine zu geringe Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Außerdem sei der Beschuldigte "egal bei welcher Untersuchung" von einem Ausgangspuls von weit über 90 gestartet, der Herzschlag sei danach relativ rasch auf 130 geschnellt, erklärte der Experte. Eine solche Synkope "kann jedem von uns passieren", vor allem, wenn er "nicht in der richtigen Pulsfrequenz trainiert und zu wenig isst und trinkt", hob der Gutachter hervor.
Staatsanwalt trat von Anklage zurück
Im Anschluss an den Vortrag des Sachverständigen trat Staatsanwalt Leopold Bien von der Anklage zurück. Diesen Schritt begründete er damit, dass das Unfallgeschehen dem 26-Jährigen nicht vorwerfbar sei. "Ich bin sehr froh, dass wir im Verfahren noch dieses Gutachten eingeholt haben", sagte Bien. Es habe ein Widerspruch zwischen dem ordnungsgemäßen Verhalten des Beschuldigten während der Fahrt und der Situation rund um das Unfallgeschehen geherrscht.
"Uns alle hat dieses Unbehagen im Verfahren begleitet, ob da nicht doch eine andere mögliche Erklärung dahinter steckt", sagte der Staatsanwalt, der aber auch festhielt, dass es nach dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten keine Anhaltspunkte für eine Synkope gegeben habe. "Es geht nicht darum, in einem Verfahren immer einen Schuldigen zu finden, sondern die Sache aufzuklären und festzustellen, ob es einen Verantwortlichen gibt oder ob das Geschehen einfach schicksalhaft war", sagte der Staatsanwalt abschließend.
Einzelrichter Andreas Beneder quittierte den Schritt von Bien, die Anklage zurückzuziehen, mit einem "sehr fair". Bei der Urteilsbegründung schloss er sich den Ausführungen des Staatsanwalts "vollinhaltlich an".
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