"Laufen ist gewinnbringend fürs Leben"

Steffi Graf ist neuer KURIER-Lauf-Coach. Die Ex-Spitzensportlerin im Interview über Ehrgeiz, Liebe und Sucht, Olympia-Boykott und Kinderwunsch.

Steffi Graf ist gut gelaunt und braun gebrannt. "Super" gehe es ihr, sagt sie.

Lorenz, ihren zweijährigen Sohn, hat sie daheim in Kärnten bei Ehemann und Golfprofi Nikolaus Zitny gelassen. "Heute muss er auf den Kleinen aufpassen."

KURIER: Sie sind Co-Kommentatorin beim Wien-Marathon. Keine Lust, selber einmal mitzulaufen?

Steffi Graf: Nein, diese Distanz traue ich mir nicht zu. Ich bin einmal einen Halbmarathon gelaufen. Das war schwer genug. Meine Stärke ist es, innerhalb von kurzer Zeit die größtmöglichen Schmerzen zu ertragen.

Keine Lust auf eine neue Herausforderung?
Mir macht es mehr Spaß, eine Stunde in der Gegend herumzurennen und dabei die Blumen anzuschauen.

Wie kam es zur KURIER-Aktion "Laufen mit Steffi"?
Weil ich finde, dass Laufen gewinnbringend fürs Leben ist. Es ist die einfachste Form, gesund zu bleiben – egal, ob man arm oder reich ist, egal wo man wohnt. Man braucht nur Laufschuhe.

Wie viel Sport betreiben Sie heute noch?
Ich gehe fünf Mal in der Woche Laufen. Ohne Laufen hängt sich meine Maschinerie auf und ich werde unleidlich. Dann schickt mich der Niki raus... Mehr Sport geht sich durch den Lorenz nicht aus.

Sie haben einmal gesagt, dass sie nach Ihrem Karriereende eine Zeit lang keinen Spaß am Laufen hatten. Wie lang hat das gedauert?
Eine Woche. Aber es war anders. Ich habe immer extrem hart trainiert, mit allen Höhen und Tiefen im Training. Adrenalin und Endorphin pur. Da war mir das sanfte Laufen danach zu wenig. Es hat fünf Jahre gedauert, bis mir das Laufen jetzt wieder ein Erfolgserlebnis bringt.

Was war Ihre Motivation? Für wen sind Sie gelaufen?
Für mich. Am Ende hat es sich reduziert auf das Glücksgefühl zehn Meter vor der Ziellinie. Dafür nimmt man alles in Kauf. Das hat so eine Kraft, das ist so ein Kick. Man kann die körperliche und seelische Erlösung in diesem einen Augenblick nicht in Worte fassen.

Das klingt wie eine Sucht.
Es war eine richtige Sucht. Damit umzugehen, dass ich diesen Kick nie wieder erleben darf, war furchtbar. Damals war ich eine Zeit lang schwer depressiv.

Wer hat Ihnen aus diesem Tief geholfen?
Niemand. Man kann sich nur selbst helfen. Wenn heute die Sehnsucht nach dem Kick kommt, sage ich mir: "Ich habe die Erinnerung daran, die kann mir niemand wegnehmen."

Wie ehrgeizig muss man sein, um erfolgreich zu sein?
Absolut. Ehrgeiz ist ja nur ein negativ behaftetes Wort für Zielstrebigkeit und Konsequenz. Und die braucht man, um sich durchzusetzen. Kopf runter und durch – egal was kommt und wie viele Umwege man gehen muss.

Wie wichtig ist dabei die Unterstützung anderer?
Meine Mama hat mir zu meiner Geburt einen Spruch ins Fotoalbum geschrieben: "Liebe soll für dich das selbe sein, was das Meer für einen Fisch ist: Etwas, worin man schwimmt, während man den wichtigen Dingen des Lebens nachgeht." Das begleitet mich mein ganzes Leben. Nur auf Liebe können Erfolge wachsen.

Was war Ihr größter Sieg?
Das Comeback nach der Tumoroperation im Jahr 2002 (Tumor am Ischiasnerv, Anm. d. Red). Damals war ich so klein und demütig. Dass ich danach noch einmal zurückgekommen bin, macht mich stolz.

Muss man einmal am Boden gewesen sein, um den Sieg schätzen zu können?
Man lernt und entwickelt sich nur durch Niederlagen. Sie sind Stufen, die man bewältigen muss, um höher zu kommen. Das gilt auch für Hobbyläufer: Es gibt Tage, die sind mühsam. Aber die gehören dazu.

Sie haben sich jahrelang gequält. Wie stark war da der Wunsch, auszubrechen?
Während meiner Karriere habe ich das nicht als Qual oder Verzicht empfunden. Wenn man aber beginnt nachzudenken, muss man aufhören. Ich wollte plötzlich nicht länger eingesperrt sein. Ich habe mich dann eine Woche lang ausgelebt, zum Frühstück Ham and Eggs gegessen, zu Mittag Calamari Fritti und am Abend viel Rotwein getrunken.

Eine Woche hat gereicht?
Das Bedürfnis war befriedigt. Ich bin draufgekommen, es ist nicht meine Welt.

Wenn man Jahre lang in diesem Trott lebt: Trainieren, Wettkampf, Trainieren; und dann muss man sein Leben ganz neu organisieren...
...dann fällt man in ein schwarzes Loch. Wie jeder, der seinen Job verliert. Mein Leben war auf den Sport reduziert. Und plötzlich war ich uferlos. Da wieder eine Konsequenz in den Alltag zu bringen und ein Ziel zu finden, ist extrem schwierig. Weil man sich selber nix zutraut, außer dem blöden Im-Kreis-Rennen.

Wie lange dauert das?
Ein Jahr.

Was würden Sie heute als Ihren Beruf angeben?
In erster Linie bin ich Mutter, dann Journalistin. Und zusätzlich halte ich Motivationsseminare.

Welche Rolle taugt Ihnen am meisten?
Alle. Momentan genieße ich, wie mein Leben läuft. Was mir vom Sport geblieben ist, ist der Perfektionismus. Ich möchte eine perfekte Mama sein. Das macht alles ein bisschen kompliziert. Ohne die Hilfe meiner Mutter, die den Lorenz immer wieder übernimmt, würde es nicht gehen.

Wovon träumen Sie?
Von einem zweiten Kind. Und einem Haus in Kärnten.

Bei Olympia sind Sie als ORF-Co-Kommentatorin dabei. Mit welchen Gefühlen reisen Sie nach China?
Mit Stolz. Mit China selbst tue ich mir schwer, weil mir die Lebensphilosophie nicht liegt – dieses Pflichtgetreue und Gefühlsarme.

Olympia-Boykott?
Ja, aber nicht von Sportlern, sondern von Politikern. Das würde China weh tun.

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