Prozess um Bub in Hundebox in NÖ: "Es war klar, dass er Hilfe braucht"

Prozess um Bub in Hundebox in NÖ: "Es war klar, dass er Hilfe braucht"
Die beiden Angeklagten schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Der Kinderarzt spricht von klassischen Kriterien einer chronischen Misshandlung.

Heute geht der Prozess am Kremser Landesgericht rund um einen gequälten 12-Jährigen weiter. Die Mutter (33) muss sich wegen versuchten Mordes, Quälen und Vernachlässigung Minderjähriger sowie Freiheitsentziehung verantworten. Auch ihre frühere beste Freundin steht vor Gericht. Sie soll der 33-Jährigen die Anweisungen zu den Gräueltaten gegeben haben. Dem Bub wurde Essen vorenthalten, er wurde geschlagen und oft mehrere Stunden in eine Hundebox gesperrt. 

Die beiden Angeklagten sind deutlich vom ersten Prozesstag gezeichnet. Für die 40-jährige Zweitangeklagte ist eine Seelsorgerin vor Ort. 

Zu Beginn des zweiten Prozesstages geht es in erster Linie um Geld, das die Erstangeklagte (33) der Zweitangeklagten (40) gegeben haben soll. Die 33-Jährige habe sich einreden lassen, dass ihr Vater ihr das Geld wegnehmen will. Daher habe sie es ihrer 40-jährigen Freundin gegeben, damit es in Sicherheit ist. 

Die Zweitangeklagte widerspricht. Sie habe jenes Geld, das sie bekommen habe, wieder in bar zurückbezahlt. 

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Zu Wort kam am Dienstag jene Sozialarbeiterin, die mit ihrem Einschreiten letztlich dafür gesorgt hatte, dass der damals Zwölfjährige im November 2022 ins Krankenhaus kam und überlebte. Die Frau hatte die Kindsmutter einst im Rahmen der ambulanten Elternberatung betreut, danach wurde der Kontakt gehalten.

"Bedenklicher Zustand"

Am 22. November 2022 hatte die Sozialarbeiterin abends ein "wirres und komisches Telefonat" mit der Zweitangeklagten geführt, von der sie damals zum ersten Mal gehört hatte. Die 40-Jährige berichtete am Telefon, dass sie ein Video geschickt bekommen habe, auf dem der Zwölfjährige "in bedenklichem Zustand" zu sehen sei. Aufgrund anhaltender Nervosität der Anruferin entschied die Sozialarbeiterin, sich umgehend gemeinsam mit der 40-Jährigen zur Wohnung der Erstangeklagten zu begeben.

Die Situation vor Ort sei "einfach nur surreal und skurril" gewesen, gab die Zeugin zu Protokoll: "Ich bin sehr erschrocken." Der Bub sei nicht ansprechbar gewesen und auf dem Boden gelegen. "Es war definitiv klar, dass er Hilfe braucht." Nach mehrmaligem Fordern der Sozialarbeiterin - zuletzt "laut und scharf" - verständigte die Mutter die Rettung. "Mechanisch", so "als würde sie eine Pizza bestellen". Ein Hauptthema im Kopf der Erstangeklagten sei dann gewesen, ob der Zustand des Kindes "auf sie zurückfallen" könnte, schilderte die Sozialarbeiterin. "Mehr war nicht. Es war keine Emotionalität." Dank habe sie von der Mutter nicht bekommen: "Ich hatte eher den Eindruck, dass sie ang'fressen war."

"Da ist uns Verzweiflung bewusst geworden"

Eine ehemalige Lehrerin des Buben berichtete im Zeugenstand, dass in der Schule - trotz zahlreicher Fehltage - sehr wohl aufgefallen sei, dass das Kind "sehr abgemagert" war. Am 24. Oktober 2022 habe der Zwölfjährige dann bei einer Gelegenheit zehn Weckerl kaufen wollen, aber kein Geld dafür gehabt. "Da ist uns zum ersten Mal so richtig diese Verzweiflung und dieser Hunger bewusst geworden." Tags darauf sei seitens der Schule eine Gefährdungsmeldung versandt worden.

Auf dieser Grundlage kam es am 28. Oktober zu einem Hausbesuch der Kinder- und Jugendhilfe. Eine Verletzung an der Hand des Buben und seltene Schulbesuche seien dabei u.a. erörtert worden, erinnerte sich eine befragte Sozialarbeiterin. Dass das Kind abgemagert war, sei wegen des legeren Gewands nicht ersichtlich gewesen: "Er war schlank, was man aufgrund der Kleidung sehen konnte, war für uns aber nicht besorgniserregend." In den Kühlschrank habe man nicht geschaut, was ein Fehler gewesen sei. Mit dem Zwölfjährigen alleine wurde bei dem Termin auch nicht gesprochen.

Aussage des Kinderarztes

Auch Hans Salzer, Arzt für Kinder- und Jugendheilkunde, kam zu Wort. Er hat den damals 12-Jährigen auf Wunsch der Staatsanwaltschaft begutachtet, als er Ende November endlich im Krankenhaus aufgenommen worden war. Ein derart abgemagertes Kind würde man sonst nur bei einer Essstörung oder einer schweren Krankheit sehen, sagt Salzer. Bei einer Körpergröße von zirka 1,70 Meter habe der Bub nur noch 40 Kilogramm gewogen.

"Gegen eine Essstörung spricht, dass die Lehrer immer, wenn der Bub in der Schule war, Essen von anderen Kindern weggenommen hat. Das deutet massiv darauf hin, dass ihm Essen vorenthalten wurde", sagt Salzer. Eine Krankheit habe man ebenso ausschließen können. "Er hat die klassischen Kriterien eines Kindes, das chronisch misshandelt wurde."

Angesprochen auf Verletzungen, die auf Bildern des Kindes zu sehen sind, spricht Salzer von chronischen Erfrierungen. Der Bub ist von Mai 2022 bis heute auch nur einen Zentimeter gewachsen. Normal seien in diesem Alter vier bis fünf Zentimeter.

Die Mutter könnte im Fall einer Verurteilung wegen versuchten Mordes bis zu lebenslange Haft ausfassen. Die Strafdrohung für die Mitangeklagte wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin beträgt bis zu zehn Jahre. Urteile sind für Donnerstag geplant.

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