Jugendhaft: Wo Schwäche keine Option ist

Jugendhaft: Wo Schwäche keine Option ist
In der Justizanstalt Gerasdorf sitzen aktuell 88 junge Männer ihre Strafe ab - ein täglicher Grenzgang.

Hannes (Name geändert, Anm.) ist 17 Jahre alt. Ein junger Mann, mitten in der Ausbildung. Mit Problemen, die viele Jugendliche plagen. Und einem Fehler, der sein Leben verändert hat. Hannes sitzt in der Justizanstalt Gerasdorf in Untersuchungshaft und versucht, das Beste aus seiner Situation zu machen. „Wenn du ohnehin nicht die Wahl hast ...“, sagt er.

Er hat zumindest einen Job. Hannes macht eine Bäckerlehre. Mit sieben anderen Insassen produziert er monatlich 3000 Kilo Brot und 2500 Kilo Weißgebäck. „Wollen Sie kosten? Die Stangerln schmecken am besten.“

Er ist ein höflicher junger Mann, der reflektiert wirkt und sich über das Lob für das Stangerl freut. Und der sich auch Gedanken über die Zeit danach macht. „Wenn ich rauskomme, wird die Hälfte der Leute Angst vor mir haben“, meint er. Hannes ist in Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt in Gerasdorf. „Aber die richtigen Freunde – die werden bleiben“, ist er überzeugt.

Stärke zeigen

Dass ihn die Haft verändert, hat er rasch bemerkt. „Hier will jeder der Stärkere sein. Der Umgang miteinander ist in einer Erwachsenen-Haftanstalt sehr viel besser.“ Auch Hannes selbst fange hier zu Stänkern an, gibt er zu. „Ich komme mir vor wie im Zoo, eingesperrt hinter Gittern.“ Aber die Zeit will er nutzen. Erst die Bäckerlehre abschließen und – falls er länger hierbleiben muss, eine zweite Ausbildung absolvieren. Etwa Koch. „Bäcker und Koch – das passt doch gut zusammen.“ 88 Burschen und junge Männer sind aktuell in der Justizanstalt Gerasdorf untergebracht; der Jüngste ist gerade erst 15 Jahre alt geworden. Sie stammen aus 19 verschiedenen Ländern. Und die meisten sind mitten in der Pubertät.

Das bekommen die Justizwachebeamten und Betreuer täglich zu spüren. „Es ist ein tägliches Austesten der Grenzen, das auch für uns sehr belastend ist“, sagt Thomas Binder, stellvertretender Leiter der Justizanstalt. Er ist – wie fast alle Kollegen – ohne Uniform unterwegs.

Jugendhaft: Wo Schwäche keine Option ist

Thomas Binder ist Vizechef der Justizanstalt

Das große Gehabe der Burschen ist für ihn Alltag. „Oft stecken verletzliche Seelen dahinter.“ Wer hier Schwäche zeigt, hat es schwer. Wamser, also Petzen, haben einen ganz schlechten Stand. Zu Raufereien kommt es täglich.

„Dann musst du dich umdrehen und gehen“, sagt Jochen (Name geändert, Anm.) „Freunde fürs Leben findest du hier sowieso nicht.“ Er ist 18, hat bisher „immer ein bissl Blödsinn“ gemacht. Als er bei einem Raub half, war der Spaß vorbei.

In der Haft hat sich für ihn vieles relativiert. Etwa die Zeit. Jochen lernt jetzt Maler und verbringt seine Zeit sonst mit „reden, spielen und kochen.“ Sein Haftraum ist nur mit dem Nötigsten eingerichtet. Kleidung, Hygieneartikel, ein Bild, ein Kalender. „Haftausgang“ hat er darauf notiert. Es ist der einzige Termin in dieser Woche. Wie der Ausgang war? „Ach, das ist schon zwei Wochen her.“

Draußen eine Wohnung und einen Job zu finden – das wird seine größte Herausforderung. Das sieht Jochen ganz nüchtern. „Wer will schon einen Vorbestraften?“

„Die Träume sind groß“: Bildung
 eröffnet eine neue Perspektive

Wenn Jugendliche zu Straftätern werden, sind sie oft selbst zu Opfern geworden. Haben Vernachlässigungen, Misshandlungen oder Missbrauch erlebt. „Hier in der Haft erleben manche ein sozialeres Umfeld als daheim“, sagt Sozialpädagogin Ulrike Hirsch.  „Unsere Aufgabe ist es, sie auszuhalten. Nicht zu verurteilen. Die Tat ist etwas Schlimmes, das auch besprochen wird. Aber ich muss auch noch den Menschen dahinter sehen.“ Nicht jeder wird hier zum besseren Menschen, gibt  Hirsch zu. „Aber manche.“
Zwei Dinge beschäftigen die Straftäter besonders: Wann können sie raus? Und wann kommt sie die Familie besuchen? Nicht immer hat die Sozialpädagogin darauf Antworten. „Unsere Insassen bekommen in der Regel eher wenig Besuch“, stellt der stellvertretende Anstaltsleiter Thomas Binder fest. „Ein Großteil kommt aus eher bildungsfernen Schichten, aus zerrütteten Familien.“

14 Lehrberufe

Was hilft: Eine Perspektive. Neben dem Hauptschulabschluss können Jugendliche in der Justizanstalt auch eine Lehre absolvieren. Insgesamt 14 Berufe stehen zur Auswahl. Vom  Koch, Tischler, Mechaniker über Maurer bis zum Friseur. Fünf Burschen haben sich für Letzteres entschieden. Doris Krenseis bildet sie aus. „Natürlich haben sie manchmal einen Durchhänger. Da geht ihnen alles auf die Nerven“, sagt sie. Aber es gibt auch Erfolgsmeldungen. „Mit Burschen, die längere Haftstrafen abbüßen, ist es meist einfacher. Sie sind unproblematischer, ruhiger.“

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Friseurin Doris Krenseis bildet inhaftierte Jugendliche aus


Doch nicht alle sind für eine Lehre geeignet. Manche haben noch nie eine Schule besucht. In solchen Fällen fängt Lehrer Johann Hecher ganz von vorne an. „Ich bin hier die Pflichtschule“, sagt er. Und er holt seine Schüler dort ab, wo sie mit ihrem Wissen sind. „Der Vorteil ist: Hier können wir sie wesentlich intensiver betreuen.“
Von Hochmotivierten bis Schulverweigerern sei alles dabei. „Bei manchen findet hier eine Veränderung  statt – es  passieren auch kleine Wunder.“ Stolz sei man dann, sagt Lehrerin Roberta Klambauer. Und stolz auf sich selbst sind dann auch die Schüler – manche zum ersten Mal.
 „Die Träume der Burschen sind groß. Sie wollen Familie, ein Haus, ein Auto und einen  guten Job“, schildert Herbert Rigler, Direktor der Berufsschule.  Realistisch ist das nicht. „Wir helfen ihnen, zumindest den Traum von einem Schulzeugnis zu verwirklichen“, sagt Rigler.
Manchmal melden sich ehemalige Schüler Jahre später. Meist dann, wenn sie es draußen geschafft haben. „Da freut man sich dann wirklich mit. Und ist stolz“, sagt Klambauer.

Delikte und Strafen

Alter88 Jugendliche und junge Männer sind aktuell in der Justizanstalt Gerasdorf inhaftiert. 53 davon sind zwischen 14 und 18 Jahren, der Rest ist zwar auf dem Papier erwachsen, aber dennoch besser im Jugendvollzug aufgehoben. Der älteste Insasse ist 25 Jahre alt. 18 der 88 Inhaftierten sind im Maßnahmenvollzug – und somit rein rechtlich keine Häftlinge. Bei ihnen wurden schwere psychische Störungen festgestellt.

35 junge Männer verbüßen ihre Strafen wegen Raubes – das häufigste Delikt; zwölf wegen Sexualstraftaten und acht wegen Mordes oder Mordversuchs; immerhin einer wegen terroristischer Vereinigung. Die meisten (46 Personen) verbüßen Strafen zwischen einem bis fünf  Jahr(e). Zwei wurden zu Strafen zwischen zehn und 15 Jahren verurteilt.

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