Fritzls Zellentür tagsüber immer offen
Vor genau fünf Jahren ging die Schreckensmeldung um die Welt: Ein Vater hatte seine Tochter vom 18. bis zum 42. Lebensjahr im Keller unterhalb des Wohnhauses in Amstetten, NÖ, eingesperrt und mit ihr gewaltsam sieben (Enkel-)Kinder gezeugt.
Die am 26. April 2008 befreiten Opfer leben heute unter anderem Namen in einem kleinen Ort. Der inzwischen 78-jährige, zu lebenslanger Haft plus unbefristeter Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilte Josef Fritzl sitzt in der Strafanstalt Stein. Und ausgerechnet dieser Mann, der seine Tochter 24 Jahre in einem 18 großen Verlies ohne Fenster, anfangs ohne Heizung und Dusche, gefangen gehalten hat, lebt in einer sogenannten „offenen Wohngruppe“.
Die Einzelzellentür ist bis 20 Uhr offen. Er kann sich tagsüber innerhalb der Abteilung völlig frei bewegen, mit den Mitgefangenen Tischtennis spielen, in einer kleinen Küche selbst kochen. Er darf duschen, wann immer es ihm beliebt, während im normalen Zellentrakt das Duschen auf jeden zweiten Tag beschränkt ist.
Aber laut Christian Timm, dem langjährigen Leiter der Justizanstalt Stein und damit „Hausherr“ von Fritzl, will man den Amstettner Kerkermeister und Inzest-Vergewaltiger damit keineswegs „verwöhnen“. Es geht darum, den 78-Jährigen möglichst lang mobil zu erhalten.
„Er soll die sozialen Fertigkeiten nicht verlieren und nicht zum Pflegefall werden“, sagt Timm (inzwischen stellvertretender Vollzugsdirektor), weil er sonst hinter Gittern einen höheren und teureren Aufwand verursachen würde. Intern gilt dieser Häftling nicht als Sicherheitsrisiko, weshalb seine Anhaltung in einer „offenen Wohngruppe“ möglich ist.
Hausarbeiter
Nach seiner Verurteilung war Fritzl mehr oder weniger Tag und Nacht eingesperrt, durfte die Zelle nur verlassen, wenn sich gerade keine anderen Häftlinge am Gang aufhielten. An Vergewaltiger ihrer eigenen Kinder will man nicht einmal im Gefängnis anstreifen, die Integration von Fritzl ging langsam vor sich.
Inzwischen ist er Hausarbeiter, putzt die Zellen und teilt Mittagessen aus. Besuche bekommt er sehr selten, nur von Anwälten, Verwandte halten sich fern. Zuletzt hatte die Schwester seiner Frau, die Linzerin Christine R., Briefkontakt mit Fritzl. „Zu Weihnachten hat er einen Brief von mir beantwortet. Dabei hat er intensiv darauf gedrängt, dass ich ihm einen Besuch meiner Schwester vermitteln soll. Das wird aber nicht passieren“, erzählt R. Gerüchte, dass das Paar geschieden sei, dementiert die Schwägerin. Mit der übrigen Familie unterhalte sie gute Kontakte, behauptet sie.
Die Gefängnisleitung hat anfangs breiter gestreute Informationen über Fritzl im Sinne eines erweiterten Opferschutzes auf das Notwendigste beschränkt. Als darüber berichtet wurde, was der Häftling als Weihnachtsmenü serviert bekommt und dass im Gefängnis Besuch vom Bischof ansteht, bat die Tochter um mehr Diskretion. Schlagzeilen wie „Der Bischof und das Monster“ heizten die Neugier wieder an und beeinträchtigten das neue Leben der Opfer.
Die heute 47-jährige Tochter von Fritzl und ihre Kinder haben sich in einem anderem Bundesland angesiedelt, leben in einem schmucken Haus mitten in einem Dorf am Land.
Die Abschirmung funktioniert – abgesehen von überfallsartigen Rechercheversuchen britischer Medien – ganz gut (siehe Interview). Die Familie verhalte sich unauffällig, die Kinder befinden sich in Ausbildungen, berichten Leute aus dieser Ortschaft.
Der Wirtschaftsanwalt und heutige Richter des Verfassungsgerichtshofes Christoph Herbst hat die Opfer im Fall Fritzl juristisch beraten und betreut.
KURIER: Ist es gelungen, die Opfer abzuschirmen?
Christoph Herbst: Es ist ganz gut gelungen und ich hoffe, dass es weiter durchgehalten werden kann. Es war ein Zusammenspiel aus Ärzten im Krankenhaus, Polizei, auch private Securityfirmen haben mitgewirkt.
Ist der Opferschutz im Fall Fritzl ein Lehrbeispiel für andere Fälle?
Man kann die Fälle nicht vergleichen, das ist nicht übertragbar.
Wie haben Sie als Wirtschaftsanwalt gelernt, die Bedürfnisse von Opfern zu verstehen und darauf einzugehen?
Das hängt auch davon ab, wie die Betroffenen sind. Es war sehr angenehm, mit diesen Menschen zu arbeiten. Das war persönlich eine positive Erfahrung. Ich habe den menschlichen Hausverstand eingesetzt, Rezept habe ich keines.
Nimmt man den Opfern durch die totale Abschirmung denn nicht die Gelegenheit, ihre Geschichte zu erzählen?
Ich sehe das nicht so. Es hängt auch von der Perspektive ab. Gibt man sich als Opfer der Öffentlichkeit preis, zahlt man einen hohen Preis. Das steht sich nicht dafür. Hätte man alle Opfer preisgegeben, wäre das unkontrollierbar geworden, sie wären stigmatisiert worden.
Aber müssen sie nicht ihren seelischen Druck loswerden?
Ja, aber das ist nicht dadurch zu lösen, dass man in die Öffentlichkeit geht. Das müssen professionelle Kräfte machen. Die Öffentlichkeit ersetzt nicht die psychotherapeutische Hilfe.
Das Haus in der Ybbsstraße in Amstetten, in dessen Keller Fritzl seine Opfer eingesperrt und misshandelt hatte, erlangte weltweit zweifelhafte Berühmtheit. Fünf Jahre nach dem Auffliegen des Kriminalfalls ist es um das sogenannte Horror-Haus wieder sehr ruhig geworden.
Anrainer, aber auch Bürgermeisterin Ursula Puchebner wollen das schreckliche Ereignis nicht mehr kommentieren. „Dazu will bei uns niemand mehr etwas sagen“, sagt die Stadtchefin. In Gesprächen zeigen sich Nachbarn jedoch verwundert, dass nach den vielen hitzigen Diskussionen über die Zukunft des leer stehenden Fritzl-Hauses bis dato nichts geschehen ist.
Vor eineinhalb Jahren hatte Anwalt Walter Anzböck, der Masseverwalter des in den Konkurs geschlitterten Fritzl, bereits angekündigt, das Kellerverlies mit Beton zu füllen und so für immer unzugänglich zu machen. „Die baubehördlichen Bewilligungen für die Verfüllung liegen vor, es gibt jedoch noch einige Formalitäten abzuklären“, teilt Anzböck nun mit.
Der Tullner Anwalt spielt auch bei einer zweiten Fritzl-Immobilie eine Hauptrolle: Das von Anrainern und dem Land NÖ heftig bekämpfte und negativ beschiedene Büro- und Wohnprojekt auf einem Fritzl-Grund an der Amstettener Waidhofener Straße versucht der Masseverwalter wegen der Grundwertsteigerung am Verfahrensweg durchzusetzen.
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