„Heuer ist halt alles anders“

„Heuer ist halt alles anders“
Österreichs ältestes Erntedankfest in Perchtoldsdorf hat trotz Corona-Krise ein „Familienoberhaupt“

„Heuer ist halt alles anders“, sagt Karl Wölflinger etwas wehmütig. Dabei wäre 2020 der Höhepunkt seiner „Haurer-Karriere“ gewesen. Denn Wölflinger wurde von den Perchtoldsdorfer Winzern zu ihrem „Hiatavater“ gewählt und das ist eine große und einmalige Ehre.

Die Huatzeit, das ist in Perchtoldsdorf die fünfte Jahreszeit. Wobei nicht die Kopfbedeckung, sondern das „Hüten“ gemeint ist, das früher übliche Bewachen der reifen Trauben in den Weingärten. Mit zahlreichen Festivitäten und Bräuchen wird diese Zeit seit Jahrhunderten gefeiert und an der Spitze steht der alljährlich frisch gewählte Hiatavater. Aber heuer ist eben alles anders. Der ganze traditionelle Festreigen ist samt dem abschließenden Höhepunkt, dem Hiataeinzug, der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen.

Dass er gewählt wurde, freut Karl Wölflinger trotzdem. „Das ist eine besondere Ehre, ich bin mit dieser Tradition aufgewachsen. 1957 war mein Großvater Hiatavater, 1982 mein Vater und jetzt bin ich es“. Hiatavater zu sein ist aber mehr als nur ehrenvoll. Er ist die zentrale Anlaufstelle in der Huatzeit, ist bei allen Vorbereitungen und Veranstaltungen mit Rat und Tat dabei, muss etliche Gläser Wein spendieren (und wohl auch selbst trinken) und ist „einfach für die Buam da“, erklärt Wölflinger.

„Heuer ist halt alles anders“

Der Pritschnträger gehört wie der Hiatavater zur Tradition der Huatzeit, beide Ehrenämter darf man (üblicherweise) nur einmal im Leben ausüben

Absagen

Seinen „Buam“, also den jungen Weinhauern, sagen zu müssen, dass „es heuer keinen Hiataeinzug geben wird, war schon schwer. Es gab auch schon kein Hiatahütten-Fest und die traditionelle Vorstellung des Hiatavaters musste auch ausfallen“, sagt Wölflinger etwas betrübt. Um dann gleich mit einem breiten Schmunzeln hinzuzufügen: „Aber die kennen mich eh alle schon.“

Heurigenwirt Wölflinger spielte auch schon andere wichtige Rollen der Huatzeit. So ist er seit vielen Jahren Pritschnmacher. „Das ist reine Handarbeit“ erklärt er. Die „Pritschn“, eine rund 80 Kilo schwere, auf einer Stange befestigte und mit Laub verzierte Erntekrone, hat ihren großen Auftritt an der Spitze des Hiataeinzugs. Getragen wird sie vom Pritschnträger, der das Gestell beim Gehen „tanzen“ lassen, also drehen muss. Selbstverständlich war Wölflinger das auch schon. „1988, wobei man auch nur einmal Pritschträger ist“. Doch das mit dem einmaligen Amt des Hiatavaters – das fällt auch der Pandemie zum Opfer. Wegen der Ausnahmesituation gibt es eine Ausnahmeregelung und Karl Wölflinger darf 2021 noch einmal Hiatavater sein. Heuer ist eben alles anders.

„Heuer ist halt alles anders“

Familientradition: Schon Opa und Vater waren Hiatavater

Ein Erntedankfest ist Weltkulturerbe

Das größte Erntedankfest Österreichs, das über eine in das 15. Jahrhundert zurückreichende Tradition verfügt, musste heuer Corona-bedingt abgesagt werden. Schließlich drängen sich bei dem alljährlichen Fest am ersten Sonntag nach  Leonhardi, (6. November) traditionell Tausende Besucher am Marktplatz.

Seine Wurzeln hat der Hiataeinzug 1422, als der Legende nach der Weinhüter Thomas in den Rieden schwer verletzt wurde. Im ersten Haus des Ortes, beim Herbergsvater, wurde er gesund gepflegt und erst zu Leonhardi konnte er wieder  den Gottesdienst besuchen. Seitdem fällt das Erntedankfest auf den Tag der wunderbaren Genesung des „Hiata“ Thomas.

Diese Tradition wurde 2010 nach den Kriterien der UNESCO-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes in das Nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Zum Beginn ziehen die Hüter oder „Hiata“  mit ihren Familien in einem von der Blasmusikkapelle begleiteten Festzug zum Dankgottesdienst in die Kirche. Voran reiten drei Hüter auf geschmückten Pferden, dann folgt  die „Pritschn“. Für die beginnt das Fest  mit der „Vorfeier“ schon am Samstagabend. Am Sonntagvormittag findet der Umzug statt, und am Montag die „Nachfeier“, bei der die „Hiata“ das Fest im kleinen Kreis im Haus des Hiatavaters ausklingen lassen.

Weingartenhüter gab es in Perchtoldsdorf seit dem Mittelalter. Sie lebten bis zum Ende der Lese im Weingarten in Hiatahütten, mussten die ganze Huatzeit über nüchtern sein, durften keinen Frauenbesuch empfangen, hatten Traubendiebe sowie Wild und Vögel abzuwehren und die Lese-Arbeiter zu überwachen

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war der Hiatavater meist ein Mitglied des Gemeinderates und übte die Kontrollfunktion über die Weinhüter oft mehrere Jahre lang aus. Heute wird jährlich Ende August der Hiatavater gewählt. Seit 1952 wird dieses Ehrenamt auch von Frauen ausgeübt.

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