Heftige Kämpfe um Kinder vor Gericht

Der Streit um den Nachwuchs wird immer erbitterter geführt. Eine Expertin fordert jetzt Standards für die behördlichen Obsorgeverfahren.

Sie soll ihrer Tochter eine Schaukel in den Mund geschlagen haben. Soll sie als Baby nackt auf dem Wohnzimmertisch liegen gelassen haben und soll sie beinah in brennend heißem Wasser gebadet haben. Zum Schluss soll sie angedroht haben, sich mit dem Kind umzubringen.

Das sind die Vorwürfe, die ein gehörloser Vater aus Niederösterreich gegen die ebenfalls gehörlose Mutter seiner zweijährigen Tochter richtet. Ein Kind, das ohne Herzklappe auf die Welt gekommen ist und seither nur mit Sauerstoffgerät durchs Leben gehen kann. Seit zweieinhalb Jahren lebt das Kind ausschließlich bei Vater und Großmutter. Nun fordert der Vater das Sorgerecht ein und deponiert seine Vorwürfe vor Gericht. Die Anwältin der Kindsmutter streitet die Vorwürfe ab: "Sie sind unrichtig und völlig aus dem Zusammenhang gerissen." Mehr wolle man dazu nicht sagen. Außerdem sei im erstinstanzlichen Beschluss bereits der Mutter die Obsorge zuerkannt worden.

Fakten

Im Jahr 2010 gab es laut Justizministerium 28.000 "Vorgänge" zu Obsorgeverfahren und rund 7000 Anträge auf Besuchsrecht. Zahlen, die sich seit 2008 in diesem Bereich befinden. Tatsächlich gestiegen ist laut Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich die Heftigkeit, mit der vor Gericht gestritten wird. Immer öfter ziehen Eltern im Kampf um die Obsorge mit Anwälten vor Gericht. Eine Tatsache, die Täubel-Weinreich auf die steigende Bedeutung der Kinder zurückführt.

Zu wenig Bedeutung in Obsorgeverfahren wird laut Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits hingegen der Bindung der Kinder zu ihrer Bezugsperson geschenkt: "Die Bindung ist das Wichtigste für ein Kind. Bei vielen Verfahren setzt man sich zu sehr mit der Situation der Erwachsenen auseinander", konstatiert sie. Pinterits fordert nicht zum ersten Mal allgemein gültige Standards, denen die Gutachter vor allem in Obsorgeverfahren entsprechen müssen.

Eine Forderung, mit der sich auch Britta Schönhart, Anwältin des Vaters im eingangs erwähnten Fall, anfreunden kann: Eine Stunde verbrachte die Gutachterin in diesem Fall mit Mutter und Kind, um deren Interaktion zu beurteilen. Ein Vorgehen, das Schönhart in Frage stellt: "Natürlich wird die Mutter das Kind unter Beobachtung der Gutachterin nicht misshandeln", sagt sie. Zwei Gutachten wurden vorgelegt, beide seien laut Schönhart "haarsträubend". In einem heißt es, "in Stresssituationen sind wir alle zu allem fähig", im anderen Gutachten wird die Obsorge der Mutter "ohne Bedenken" zugesprochen, obwohl sieben Zeugen die Vorwürfe gegen die Kindsmutter eidesstattlich und unter Wahrheitspflicht bestätigen hatten.

Wie in zahlreichen anderen Obsorgeverfahren, holt auch die Anwältin in diesem Obsorgestreit Privatgutachten ein, die die Bindung des Kindes zu ihrem Mandaten bestätigen. "Auf ein Gutachten folgt ein Gegengutachten, die Streits werden immer erbitterter", kommentiert Familienrichterin Täubel-Weinreich den Teufelkreis vieler Eltern vor Gericht. Niemand wolle sich eingestehen, dass er im Unrecht ist.

Im eingangs erwähnten Fall ist die Situation verfahren. Die Zeugen wurden als unglaubwürdig beurteilt, weil sie aus dem väterlichen Umfeld stammen - laut Beschluss erhält also die Mutter die Obsorge. Auch, so der Gutachter, wenn sie keine "Parademutter" sei. Eine Einschätzung des renommierten Gerichtsgutachters Max Friedrich legt hingegen nahe, die Mutter "psychiatrisch von einem Sachverständigen untersuchen zu lassen". Ein weiteres Privatgutachten bescheinigt, eine Trennung von Vater und Tochter sei "ausdrücklich nicht zu empfehlen". Es käme auf "Verlässlichkeit und Kontinuität" in der Beziehung an.

Gegen den Beschluss der ersten Instanz, wonach der Mutter das Kind zugesprochen wurde, hat Schönhart berufen. Der Ball wird auch in diesem Fall vor Gericht weiter hin und her gespielt. Ende vorerst nicht in Sicht.

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