„Gestatten, Stadtvermittlerin“: Bankdirektorin on Tour

„Gestatten, Stadtvermittlerin“: Bankdirektorin on Tour
In der Pension ist die Ex-Vorstandsdirektorin der Wiener Neustädter Sparkasse, Andrea Klemm, als Fremdenführerin tätig.

Der Rundgang startet im Herzen der Stadt, direkt am Hauptplatz. „Wo wir heute stehen, war früher nicht nur ein Markt- und Festplatz. Hier hat 1522 Erzherzog Ferdinand seine politischen Gegner zum Tode verurteilt. Das zweiwöchigen Spektakel ging als Blutgericht in die Geschichte Wiener Neustadts ein“, erzählt Andrea Klemm und weist auf einen in den Boden eingelassener Stein mit Jahreszahl.

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Ein Halt vor dem Rathaus ist ein Muss

Von einem Pensionsschock kann man bei der ehemaligen Vorstandsdirektorin der Wiener Neustädter Sparkasse kaum reden. Die passionierte Radfahrerin und Opernliebhaberin, bald zweifache Großmutter und Soroptimistin mit einer Vorliebe für Italienreisen hat kurz nach ihrer Pensionierung vor einem Jahr eine Stellenausschreibung im Amtsblatt entdeckt – und sich kurzerhand beworben. „Ich war bereits während meines Wirtschaftsstudiums als Reiseleiterin im Sommer tätig und habe dabei fast mehr gelernt als auf der Uni: Teambuilding, Konfliktmanagement, wie man Leute motiviert und richtig präsentiert“, erinnert sich Klemm.

Prüfungsvorbereitung

Und so verschlug es die 64-Jährige zurück in den Studentenalltag: Denn wer als Stadtvermittler tätig sein will, muss seine Präsentationskünste unter Beweis stellen, eine Theorieprüfung und einen mündlichen Test ablegen sowie eine schriftliche Arbeit abgeben. Abgenommen wurde die Prüfung von der Wirtschaftskammer, den österreichischen Fremdenführern austriaguides und Vertretern der Stadt.

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Stadtplan braucht Andrea Klemm nahezu keinen mehr

Eveline Klein, die Leiterin des Museums St. Peter an der Sperr, hat uns eine tolle Ausbildung zukommen lassen“, lobt Klemm: In zehn Wochenendseminaren wurde den Bewerbern die Geschichte der Babenberger und Habsburger sowie die wirtschaftliche Entwicklung und Kunst und Kultur der Stadt nähergebracht gelernt. Aber auch Fächer wie Museumspädagogik und Erste Hilfe standen auf dem Stundenplan.

Gebüffelt wurde gemeinsam in Lerngruppen. „Wir haben über historische Romane diskutiert und uns gegenseitig abgefragt, das war wie früher auf der Uni“, meint Klemm schmunzelnd. Die Lernmethode dürfte sich bewährt haben, alle Mitglieder der Lerngruppe sind heute als Stadtvermittler tätig. Insgesamt 21 gibt es davon, die Altersspanne reicht von 25 bis 70 Jahren.

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Am Pranger von Wiener Neustadt eilt man schnell vorbei, ohne ihn zu bemerken

Lieblingsgeschichte

Doch was bringt eine ehemalige Bankdirektorin dazu, im wohlverdienten Ruhestand mit Regenschirm und Stadtplan aktiv und unterwegs zu sein? „Da haben wir Stadtvermittler wohl alle dieselbe Motivation: die Begeisterung für die Stadt“, meint Klemm. „Wenn sogar Wiener Neustädter während der Stadtführung Neues entdecken und Dinge sehen, an denen sie bisher vorbei gegangen sind, und ihre Stadt neu schätzen lernen, das ist das Schönste an der Aufgabe.“

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Im Juni des Vorjahres verabschiedete sich Klemm in den wohlverdienten Ruhestand

Am besten kommen übrigens Geschichten über den großen Kaiser Maximilian I. bei den Besuchern an, den wohl berühmtesten Sohn der Stadt, der heuer seinen 500. Todestag feiert. Klemm selbst erzählt aber am liebsten über die Mailänderin Francesca Scanagatta, die sich, verkleidet als Offizier, Ende des 18. Jahrhunderts in die Militärakademie geschlichen hat und dort anstelle ihres Bruders als bis dato einzige Frau eine militärische Ausbildung genießen konnte.

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Aufschwung

Seit März ist Klemm als Stadtvermittlerin im Einsatz. Jetzt, während der NÖ Landesausstellung, oft sogar täglich. Dabei ist keine Tour wie die vorherige, einmal geht es ins Neukloster, dann wird sie für eine Tour im EVN-Schaukraftwerk am Ursprung des Wiener Neustädter Kanals gebucht. Knapp eineinhalb Stunden dauert ein Rundgang, aber auch 15-minütige Gratisführungen werden angeboten – „um Lust zu machen auf mehr“, erklärt Klemm augenzwinkernd.

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Andrea Klemm vor der Mariensäule: „Meine Motivation ist die Begeisterung für die Stadt“

Doch auch danach will die pensionierte Vorstandsdirektorin weiterhin als Stadtvermittlerin tätig sein: „Die Stadt erlebt derzeit einen Aufschwung. Hoffen wir, dass dieser bis nach der Landesausstellung anhält“, meint sie, bevor es weitergeht zur nächsten Sehenswürdigkeit.

Zur Person

Andrea Klemm (64) studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien. Die gebürtige Wiener Neustädterin war 40 Jahre lang in der Wiener Neustädter Sparkasse tätig und hat österreichweit in Führungspositionen gearbeitet. Sie war zehn Jahre lang im Vorstand, im Juni 2018 wurde sie in die Pension verabschiedet. Ihre Freizeit verbringt sie auf dem Fahrrad, in der Oper oder beim Italienisch lernen. Außerdem engagiert sie sich ehrenamtlich beim Club Soroptimist Wiener Neustadt Maria Theresia. Stadtführungen mit ihr kann man bei der Wiener Alpen Tourismus GmbH unter  + 43 (0) 800 24 10 45 oder buchung@noe-landesausstellung.at buchen.

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