Gerichtsurteil aus der Pension

Gerichtsurteil aus der Pension
In einem jahrelangen Zivilrechtsprozess fällte der bereits pensionierte Richter das Urteil von zuhause aus.

Was macht ein Richter in der Pension? Er richtet sich`s gemütlich ein, trifft sich allenfalls zum Plausch mit Aktivkollegen. Nicht so ein Ruheständler des Landesgerichts St. Pölten:  Herr Rat  verfasste  in Heimarbeit ein Urteil in einem Zivilverfahren, für das er vor seinem Abgang keine Zeit mehr fand.  Dafür müssen er und das Gericht sich jetzt eine peinliche Qualifizierung gefallen lassen: Das Oberlandesgericht Wien stufte den Urteilsspruch aus der Rente als juristisches Nichts ein und verdonnerte die St. Pöltener Justiz zum Nachbessern.

In der Causa ging es um einen schweren Verkehrsunfall,  in dessen Folge  eine Autoinsassin aus dem Bezirk Amstetten ihr ungeborenes Kind verlor. Das Verfahren,  bei dem es insgesamt um Ersatzansprüche von fast 100.000 Euro ging,  lief – verzögert durch Instanzenzüge – seit 2001. Im Mai 2011 schloss es der Richter ab und verkündete: "Das Urteil ergeht schriftlich."

Allein,  diesbezügliche Justizpost traf keine beim St. Pöltener Anwalt des Unfallopfers ein. Im Jänner 2012 machte er Gerichtspräsident Franz Cutka schriftlich darauf aufmerksam, dass er nach wie vor auf das avisierte Urteil warte. Ein Monat später langte endlich der Schriftsatz des Richters in der Kanzlei ein. Mittlerweile hatte der Anwalt aber erfahren, dass Herr Rat bereits per 30. November 2011 in den Ruhestand verabschiedet worden war.

"Was sollte ich tun? Mir war klar, dass ein Urteilsspruch aus der Pension keine Rechtskraft haben kann," berichtet der Anwalt. Er legte  Berufung bei der Oberinstanz in Wien ein. Ihre Beurteilung der Lage war glasklar. "Im konkreten Fall liegt keine gerichtliche Entscheidung vor"  erklärte  der Richtersenat.  Wörtlich heißt es in sperrigem Justizdeutsch: "Vielmehr liegt ein Scheinurteil vor, das dann, wenn die Tatsache, dass die das Urteil fällende Person nicht mehr Richter ist, unaufgeklärt bleibt, scheinbar in Rechtskraft erwachsen und einen Titel für eine Exekution bilden kann." Zugleich wurde St. Pölten der Auftrag erteilt "nach Verfahrensergänzung eine Entscheidung in der Sache zu treffen".

 "Ich kann ja nicht bei jedem Kollegen, der in Pension geht, nachschauen, ob  er alle Urteile ausgefertigt hat" verteidigt sich St. Pöltens Gerichtschef Cutka. Bei dem betreffenden Richter sei "ein Akt liegen geblieben", er habe die Nachholung von daheim "gut gemeint". Es handle sich aber um einen Einzelfall. In der Unfallcausa  sei "schon wieder unter einem neuen Richter verhandelt worden und die Parteien sind auf dem Weg der Einigung".

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