Harter Häfen mit weichem Kern

Justizanstalt Schwarzau, Frauengefängnis
52-mal verletzten sich Insassinnen des Frauengefängnisses Schwarzau durch Stiche oder Schnitte selbst.

Die nackten Zahlen zeichnen ein Bild vom härtesten Häfen in Österreich. 2011 gab es in der Frauen-Strafanstalt Schwarzau 52 Selbstbeschädigungen. Im Vorjahr spuckt die Statistik 40 Fälle aus. Österreichs größtes Gefängnis, die Justizanstalt Josefstadt, meldete 2011 nur 33 Selbstbeschädigungen (2012 waren es – relativ gesehen – auch „nur“ 58). Dabei sitzen dort rund 1200 Gefangene, in der Schwarzau aber lediglich 156.

Beim KURIER-Lokalaugenschein zeigt sich ein anderes Bild. Der kleine Sohn einer Gefangenen hat Geburtstag, in der Mutter-Kind-Abteilung (hier dürfen die Insassinnen ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr aufziehen) sitzen vier Gefangene zur Kaffeejause beisammen, eine von ihnen hat eine bunte Obsttorte in Form eines Schmetterlings für das Geburtstagskind gebacken. Justizwachebeamte und Gefangene singen gemeinsam „Happy Birthday“, der kleine Bub bekommt ein Lastauto geschenkt.

Wie passt das zusammen: Insassinnen, die sich selbst absichtlich ritzen, schneiden oder spitze Gegenstände wie Glühbirnen schlucken – und ein harmonisches Miteinander samt Kindergeburtstag hinter Gittern?

Frauenspezifisch

„Frauen leiden mehr“, sagt Anstaltsleiter Gottfried Neuberger: „Sie hauen sich aber auch mehr rein als wir Männer. Viele sind Mütter, Großmütter, sind sozial engagierter.“ Im Gefängnis stoßen sie damit an Grenzen, manche glauben, sich nicht mehr anders als mit Selbstbeschädigung artikulieren zu können. „Selbstverletzungen sind etwas Frauenspezifisches. Frauen richten ihre Aggressionen eher gegen sich selbst, als gegen andere“, sagt Neuberger.

Hinter den aufgelisteten 52 Fällen im Jahr 2011 stehen 17 Frauen, die sich mehrmals absichtlich geschnitten haben. Wobei es oft nur ein Ritzer war, für den nicht einmal ein Pflaster nötig war. „Aber unsere Beamtinnen sind sehr sensibel und hinterfragen das sofort“, sagt Neuberger, der stolz darauf ist, dass es in der Schwarzau noch nie einen Selbstmord gab. Und die Insassinnen beginnen nicht erst in der Schwarzau mit den Selbstverletzungen. „Die Dichte an psychischen Problemen ist bei uns höher“, sagt der Gefängnisleiter. Etwa 70 Gefangene haben laut Neuberger starke psychische Probleme: „Und 30 von ihnen wären schlichtweg in einem Krankenhaus besser aufgehoben, als in einem Gefängnis.“

Bei den schlimmeren Fällen sind es meist die geistig abnormen Insassinnen, die dann in die Psychiatrie überstellt werden. „Die gehören ohnehin dort hin und nicht ins Gefängnis“ sagt der Anstaltsleiter.

Estibaliz C.

Eine von ihnen ist die Doppelmörderin und Mutter eines kleinen Buben, Estibaliz Carranza, die zwei Männer erschossen und einbetoniert hat. Sie sitzt seit ihrer Verurteilung zu lebenslanger Haft plus Einweisung in der Schwarzau. Anfangs wurde Carranza von ihren Mitgefangenen mit Skepsis beäugt, zu viel haben die Frauen über die Spanierin in den Medien gelesen. Mittlerweile ist auch Carranza eine wie jede andere. Von 7 bis 13 Uhr wird gearbeitet, am Nachmittag haben die Gefangenen Freizeit.

Und genau dann passieren laut Anstaltsleiter Neuberger die meisten Selbstverletzungen. „Wir versuchen wirklich, diese Frauen in der Haft zu rehabilitieren“, sagt er. Aber das wahre Problem entstehe erst ab der Entlassung. „Wo geben wir diese Frauen dann hin? In der Gesellschaft gelten Frauen, die aus dem Gefängnis kommen, doch als das Letzte.“

Sieglinde König ist Anstaltspsychologin in der Schwarzau. Bei den Selbstbeschädigungen – „wir hatten schon wesentlich schlimmere Phasen“ – unterscheidet sie zwischen drei Gruppen:

Appellcharakter Die Häftlinge wollen Aufmerksamkeit erreichen oder eine Vergünstigung erpressen. Mehr Substitutionsmittel, wenn sie süchtig sind, oder Ausgänge.

Spannungsabbau Mit dem Ärger über Beschimpfungen durch Mithäftlinge gehen Männer anders um. Sie schlagen zu oder machen Fitnesstraining. Frauen können laut König mit Aggressivität schwerer umgehen. Sie können aggressive Handlungen auch nicht zugeben, „bis sie platzen“.

Körperliche Nähe „Viele sind Opfer von Missbrauch. Weil das so grausig war, was sie erlebt haben, haben sie sich von ihren Gefühlen entfernt“, sagt die Psychologin: „Sie sind aus ihrem Körper quasi rausgefahren. Um sich wieder zu spüren, schneiden sie sich.“ In solchen Fällen werden den Insassinnen Wege aufgezeigt, „was man anderes machen kann, als sich zu schneiden“. Übungen mit dem Gummiband „oder beim Fenster rausschreien“.

Harter Häfen mit weichem Kern
Justizanstalt Schwarzau, Frauengefängnis
Eine Kollegin von Sieglinde König wurde im vergangenen Sommer von einer Gefangenen im Hof ansatzlos attackiert, an den Haaren zu Boden gerissen, getreten. Die Gefangene ist seither auf der Psychiatrie, und in der Schwarzau hofft man, dass sie dort bleibt. Die junge Frau ist psychisch gestört, hat 2008 mit 16 Jahren einen Hund zu Tode gefoltert und in einer Innsbrucker Klinik versucht, einen siebenjährigen Mitpatienten mit einem Plastiksackerl zu ersticken. Die meisten der psychisch kranken Häftlinge in der Schwarzau haben Borderline, eine eher für Frauen typische Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu Selbstverletzungen.

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