Flüchtling als Vorzeigeschüler: "Wollte schnell auf eigenen Beinen stehen"

Professor Razka fördert den jungen Afghanen seit Sommer 2016
Zwei Jahre nach seiner Flucht besucht Ajmal Ganj Ali regulär die HTL Mödling.

Vor dem 4. September war Ajmal Ganj Ali aufgeregt. Schulbeginn. Und nicht irgendwo. Der 16-jährige Flüchtling aus Afghanistan besucht die Fachschule für Mechatronik an der HTL Mödling. 15 Unterrichtsfächer und alle auf Deutsch. Und das, obwohl der Teenager erst im Herbst 2015 nach Österreich gekommen ist. Den Pflichtschulabschluss hat er bereits in der Tasche, im Juni die Übergangsklasse für Flüchtlinge an der HTL Mödling mit lauter Einsern abgeschlossen.

"Wenn man nicht lernt, hat man keine Chance einen Ausbildungsplatz zu finden", doziert der junge Afghane lachend. Bildung, das ist ihm wichtiger als alles andere. Das war schon immer so. Auch in Afghanistan. "Ich habe die Zeitungen gelesen, die ich auf der Straße gefunden habe und Bücher, die weggeworfen wurden", erzählt er. Manche, vor allem Mathematik-Bücher, kaufte er auch. Doch richtige Schulbildung blieb im verwehrt. Nach vier Jahren Volksschule musste Ganj Ali arbeiten, um seine Familie zu unterstützen. Im afghanischen Kunduz verkaufte er Plastiksäcke an kleine Geschäftstreibende am Straßenrand.

Als der Krieg in die Stadt kam, flüchtete er auf Anraten seines Onkels, bei dem Ganj Ali mit seinem Bruder lebte, nach Österreich. 50 Tage war er unterwegs.

Flüchtling als Vorzeigeschüler: "Wollte schnell auf eigenen Beinen stehen"
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Lernen statt spielen

Mittlerweile ist der 16-Jährige subsidiär schutzberechtigt, lebt in einer Flüchtlings-WG der Diakonie in Mödling und spricht fließend Deutsch. "Am Anfang habe ich gedacht, dass ich es in Österreich nicht schaffen werde, aber ich habe mich selbst motiviert", erzählt er. Zusätzlich zum Unterricht in der Übergangsklasse lernte Ganj Ali jeden Nachmittag bis zum Abend. "Meine Freunde wollten Fußballspielen, aber ich wollte nicht mit. Ich habe mir selbst gesagt, dass ich lernen muss." Sogar in den Sommerferien absolvierte er in Vorbereitung auf die HTL Deutsch- und Englischkurse bevor er mit seinen Freunden schwimmen ging, mit ihnen kochte oder zum Sightseeing nach Wien fuhr. "Ich mag den Stephansplatz und Schloss Schönbrunn."

Der Teenager hat ein klares Ziel: Die Matura machen und Mechatroniker werden. "Mein Lieblingsfach ist Mathe, weil ich da gut bin", sagt Ganj Ali. Auch sein zweiter Bruder, der bereits seit sechs Jahren in Wien lebt und eine Ausbildung zum Elektrotechniker absolviert, unterstützt den Teenager, mahnte ihn, brav zu lernen.

Ganj Alis Talent hat auch Rudolf Razka rasch erkannt. Der HTL-Professor und Klassenvorstand der Übergangsklasse lernte den jungen Afghanen im Sommer 2016 bei Mathe- und Deutschkursen kennen, die vom Flüchtlingsnetzwerk Connect Mödling organisiert wurden. "Er ist ein bescheidener, ruhiger Mensch. Er passt sehr gut in einen technischen Beruf", meint sein Lehrer. Dabei wollte Ganj Ali eigentlich rasch Arbeit finden. "Ich wollte auf eigenen Beinen stehen." Razka überzeugte ihn, sein Talent zu nutzen und an die HTL zu kommen. Dort ist das Projekt der Übergangsklassen mittlerweile ins dritte Jahr gestartet. 32 junge Flüchtlinge in erstmals zwei Klassen, wollen ihre Ausbildung nachholen – wie Ganj Ali.

Der 16-Jährige ist in Österreich angekommen. "Ich liebe Wiener Schnitzel", erzählt Ganj Ali. Und natürlich Fußball. Im SV Wiener Neudorf ist er Stürmer. Seine Familie in Afghanistan vermisst er sehr. Kontakt gibt es keinen. "Ich rufe an, aber es hebt nie jemand ab."

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