E-Auto wurde zum brennenden Gefängnis: Ein Opfer entkam dem Rollstuhl

Der Elektro-SUV zerschellte in Sittendorf an einem Baum
Es waren nur wenige Sekunden, die in dem Fall von Sittendorf (Gemeinde Wienerwald) über Leben und Tod von vier Jugendlichen entschieden. Der 15. Juli 2025 wird dem 17-jährigen Tobias und seiner Familie wohl ewig in Erinnerung bleiben.
Es war der Tag, an dem der junge HTL-Schüler gemeinsam mit einer Freundin (17) und zwei Freunden (17 und 18 Jahre) bei einem schweren Unfall beinahe in einem Elektroauto verbrannt wäre.

In dem Unfallwagen saßen vier Jugendliche, eine Lenkerin und drei Burschen
Nur durch den beherzten Einsatz mehrerer Ersthelfer und der Einsatzkräfte überlebten die Jugendlichen den Horrorcrash. Aus vielerlei Hinsicht ist der Unfall bemerkenswert.
Er zeigt die Probleme und hohen Risiken im Umgang mit brennenden Elektroautos auf. Durch den Ausfall der Elektronik wurde der Luxus-SUV beinahe zum tödlichen Gefängnis.

Einsatzkräfte an der Unfallstelle im Bezirk Mödling
Auto ging in Flammen auf
Die 17-jährige Lenkerin des 600 PS starken Elektro-SUV hatte abends auf der Gaadner Straße die Kontrolle über den Wagen verloren. Der BMW krachte laut Polizei mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum am Straßenrand und ging in Flammen auf.
Einer der Ersthelfer an der Unglücksstelle war Gerald Fischer. Er betreibt eine Firma in der direkten Umgebung und hatte einen lauten Knall gehört. Auch eine zufällig vorbeikommende Energetikerin zögerte keine Sekunde. Mit vereinten Kräften konnte man die 17-jährige Fahrzeuglenkerin über das Schiebedach retten, der Beifahrer befreite sich selbst.
Türen ließen sich nicht öffnen
Für Tobias und seinen Freund auf der Rückbank des brennenden Autos sah es hingegen schlimm aus. Die Elektrik war ausgefallen, die Türen ließen sich nicht mehr per Knopfdruck öffnen. Für solche Notfälle gibt es einen versteckte Entriegelung unterhalb der Armlehnen, was aber die beiden nicht wussten.
Da keiner mit dem Fahrzeug vertraut war, haben sie den Hebel in der Ausnahmesituation einfach nicht gefunden, schildert die Mutter des 17-jährigen Tobias die bangen Momente.
Auf den OP-Tisch
Die beiden schwer verletzten Freunde atmeten die giftigen Rauchgase ein und hatten mit ihrem Leben bereits abgeschlossen, als es den Helfern in letzter Sekunde gelang, sie doch noch aus dem lichterloh in Flammen stehenden Wagen zu befreien.
"Die Rettungskette war außergewöhnlich. Es haben so viele Menschen zusammen geholfen, man kann ihnen gar nicht genug danken“, so die Mutter des 17-Jährigen. Während der eine Schwerverletzte mit dem Rettungshubschrauber nach St. Pölten geflogen wurde, ging es bei Tobias selbst um eine drohende Querschnittlähmung.
Die Wirbelsäule des 17-Jährigen wurde durch die beim Unfall wirkenden Kräfte zertrümmert.

Die gebrochenen Wirbel von Tobias wurden mit Schrauben stabilisiert
Lähmungserscheinungen
Er hatte Lähmungserscheinungen und das typische Taubheitsgefühl. Deshalb wurde er auf schnellstem Wege ins Wiener AKH geflogen.
Dort wartete bereits ein Team rund um den erfahrenen Unfallchirurg Harald Widhalm. Der Oberarzt schildert, wie schlimm es um den Gesundheitszustand des 17-Jährigen bestellt war. Tobias hatte eine massive Dislokation der Wirbelsäule. "Es bestand die Gefahr eines Querschnitts durch den massiven Wirbelkörperbruch. Knochenteile sind in das Rückenmark und die dortigen Nerven gestanden. Wir mussten schnell reagieren, um das Rückenmark zu entlasten“, sagt Widhalm.
Mit der rasant gestiegenen Zahl an Elektrofahrzeugen haben auch die Probleme für die Feuerwehren zugenommen. Speziell brennende Elektrofahrzeuge stellen die Einsatzkräfte vor große Herausforderungen. Besonders dann, wenn auch die Lithium-Ionen-Batterie betroffen ist.
"Ab einem gewissen Schweregrad des Unfalles werden Zellen in der Batterie gestresst, worauf sie reagieren“, erklärt Wolfgang Niederauer, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Schwadorf (NÖ). Brennende Batterien erreichen extrem hohe Temperaturen und setzen giftige Gase frei, was eine spezielle Löschtechnik erfordert. "Die Batterie-Gehäuse sind wasserdicht gebaut. Daher bekommt man zu Beginn eines Brandes nur schwer Wasser hinein“, erklärt Niederauer.
Wracks ins Wasserbecken
Erst mit fortgeschrittener Zerstörung kann Flüssigkeit eindringen. In einigen Fällen, wie nach dem Unfall von Sittendorf, mussten Wracks mehrere Tage oder sogar Wochen in Wasserbecken gelegt werden, bis die Restenergie entwichen war.
Als Sicherheitsproblem sieht die Feuerwehr das Thema der elektrischen und automatischen Türverschlüsse und Verriegelungen.
"Die Hersteller verstecken die Türgriffe unter Armlehnen oder anderswo“, sagt Niederauer. Was dazu führt, dass man im Notfall rasch eingeschlossen ist. "Ein Problem sind auch die versenkten Türgriffe außen. Wenn das System versagt und sie im Notfall nicht ausfahren, können Ersthelfer die Türen nicht öffnen“, erklärt der Experte.

Chirurg Harald Widhalm bewahrte Tobias vor einer Lähmung
Schrauben eingesetzt
In einer Notoperation von zwei Uhr nachts bis zum nächsten Vormittag wurde die gebrochene Wirbelsäule mit Schrauben stabilisiert. "Der Eingriff war erfolgreich. Auch wenn eine vollständige Wiederherstellung herausfordernd sein wird und gewisse Einschränkungen nicht auszuschließen sind, gibt es sehr gute Chancen, dass Tobias eine weitgehende Funktion und Lebensqualität zurückerlangt“, sagt Widhalm.

Die Wirbelsäule des 17-jährigen Tobias nach der Notoperation
Rehabilitation
Am 28. Juli konnte Tobias bereits das Spital verlassen. Da entsprechende Reha-Plätze rar sind, war es nicht einfach, einen geeigneten Platz für den Schüler zu finden.
Seine Mutter ist aber überglücklich, dass Tobias ab September im Rehazentrum Weißer Hof in Klosterneuburg mit seiner Rehabilitation beginnen kann. Ein weiters Thema sind die psychischen Wunden. Die traumatischen Erlebnisse haben auch im Kopf tiefe Spuren hinterlassen.
Oberarzt mahnt zur Vorsicht
Als Unfallchirurg hat Harald Widhalm nach dem tragischen Unfall noch eine klare Botschaft: "Dieser Fall macht deutlich, wie schnell Sekunden über Leben und Tod entscheiden können – und wie entscheidend Verantwortung am Steuer sowie rasches Handeln im Ernstfall sind. Moderne Technik kann unterstützen, doch sie stößt an ihre Grenzen, besonders bei brennenden Elektrofahrzeugen", meint der Oberarzt.
Dass die Jugendlichen überlebten, sei dem couragierten Eingreifen von Ersthelfern, dem Einsatz der Rettungskräfte, der raschen medizinischen Versorgung und dem Engagement des Ärzteteams zu verdanken, so Widhalm. "Dieser Vorfall mahnt zu mehr Vorsicht im Straßenverkehr – und zeigt zugleich, wie viel durch Zusammenarbeit, Professionalität und Menschlichkeit erreicht werden kann."
Kommentare