Die letzte Masche ist geschnürt: Der legendäre "Wunderl" sperrt zu

Die letzte Masche ist geschnürt: Der legendäre "Wunderl" sperrt zu
Nach 166 Jahren ist vorerst Schluss. Das Geschäft in Sollenau schließt. Die Betreiber haben aber eine neue Idee.

Sie kamen von überall. Aus Wien, Salzburg, Kärnten, Deutschland, der Schweiz, sogar aus Amerika.

Und wofür? Um Stilettos zu kaufen, Pumps, Loafers, Stiefel oder Ballerinas. Das Who’s who der heimischen Sport-, Kunst- und Society-Szene gab sich seit den 1980er-Jahren in einem schmucken Schuhladen am Land die Klinke in die Hand. So manches Männerherz ist in den vergangenen Jahrzehnten im Örtchen Sollenau bei Wiener Neustadt in die Hose gerutscht, wenn es darum ging, die Rechnung der Herzallerliebsten an der Kasse des berühmten „Wunderl“ zu begleichen.

Die letzte Masche ist geschnürt: Der legendäre "Wunderl" sperrt zu

So sah „der Wunderl“ 1963 am heutigen Standort im  nö. Sollenau aus

Wenige Einzelhändler im Land haben es geschafft, aus einem Laden in der sprichwörtlichen Pampa eine Kultstätte für angesagtes Schuhwerk zu kreieren. So exklusiv wie die Wunderl-Eigenmarke und Designer-Kollektionen von Tods, Jimmy Choo oder Ludwig Reiter war oft auch die Sportwagen-Dichte am Parkplatz vor dem Geschäft.

166 Jahre nachdem Franz Wunderl I., der Urgroßvater des heutigen Besitzers, im Jahr 1856 in Leobersdorf mit seiner Manufaktur und Maßschuherzeugung den Grundstein legte, geht diese Ära nun zu Ende. Urenkerl Franz Wunderl V. und seine Frau Andrea haben sich schweren Herzens dazu entschlossen, ihr 400 m2 großes Geschäft in Sollenau zu Jahresende ein für alle Mal zu schließen.

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Andrea und Franz Wunderl schließen den Standort in Sollenau

Ausverkauf

Nur wenige Stunden nachdem sie ihre Entscheidung via Facebook öffentlich gemacht hatten, wurden sie überrannt. Hunderte Kunden pilgerten für den angekündigten Ausverkauf nach Sollenau. „Man kann sich das nicht vorstellen. Das hatte etwas von Volksfeststimmung“, schildert Andrea Wunderl. Sie und ihr Mann waren zwischen den Gefühlen hin- und hergerissen. Einerseits wurde ihnen durch die Kunden große Wertschätzung zuteil: „Der Zuspruch ist enorm, viele bedauern unseren Entschluss.“ Andererseits hätte man sich gewünscht, dass die Käufer immer so zahlreich erscheinen. „Aber es ist immer schwieriger geworden, Kunden an diesen Standort zu bringen. Wir sind nicht ums Eck“, weiß Andrea Wunderl.

Ihr Schwiegervater, Franz Wunderl IV., hatte es nach der Übernahme des Geschäftes im Jahr 1972 geschafft, gemeinsam mit seiner Frau Gerlinde aus dem Laden in Sollenau einen Hotspot zu machen. Der Fußball-Fanatiker galt als Marketing-Genie. In den 1970er-Jahren wurde Wunderl zum Modeausstatter des ÖFB-Nationalteams. Von da an ging es mit dem Bekanntheitsgrad steil nach oben.

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Franz Wunderl IV. war Fußball-Fanatiker

Viele Promis wie Modezar Karl Fürnkranz, Filmemacher Karl Spiehs oder die Kult-Kicker Herbert Prohaska, Toni Polster und Andi Ogris holten sich bei Wunderl ein stilsicheres Auftreten. Zu über 300 Fußball-Länderspielen ohne Unterbrechung hatte Wunderl das ÖFB-Nationalteam begleitet und als Sponsor unterstützt. Er starb 2020.

Wien-Experiment

30 Jahre lang kümmerten sich auch sein Sohn und dessen Frau um den Betrieb. Sie wagten kurze Zeit ein Experiment mit einem Shop in Wien und verschiedenen Pop-up-Stores. Später konzentrierte man sich aber ganz auf den Ausbau des Standortes in NÖ. Zehn Jahre lang habe man nebenbei auch einen Online-Shop „erfolgreich“ betrieben. Aber der beste Online-Handel könne ein stationäres Geschäft im gehobenen Schuh-Segment niemals ersetzen. „Schuhkauf ist ein analoges Ding“, meint die Unternehmerin.

Ihre Schuh-Kompetenz soll nicht völlig verloren gehen. Die Wunderls planen bereits einen neuen Coup: „Höchstwahrscheinlich kommt was“, gibt sich Andrea Wunderl noch kryptisch. Aber sicher nicht in Sollenau. Die Immobilie steht demnächst zum Verkauf. Die Familie gönnt sich eine schöpferische Pause.

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