Nach Unfall in Baku: Das vergessene Millionenversprechen

Vanessa und Mama Azra sind von der Entwicklung schwer enttäuscht
Nach Unfall hoffte Sportlerin auf 1,8 Millionen Euro Entschädigung. Das Geld blieb bisher aus.

Immer wieder kommen Azra Sahinovic die Tränen, ihre Tochter Vanessa sitzt mit versteinerter Miene in der kleinen Wohnung in Wiener Neudorf. "Das Leben meiner Tochter ist in Aserbaidschan zerstört worden. Ich möchte schon, dass sie zahlen", sagt sie. Nach einem Unfall bei den Europaspielen in Baku, Aserbaidschan, bei dem Vanessas 12. Brustwirbel brach, waren ihr Entschädigungszahlung in Millionenhöhe zugesagt worden. An die will sich nun niemand erinnern. Die 17-Jährige, die möglicherweise den Rest ihres Lebens im Rollstuhl verbringen muss, könnte sich stattdessen mit 200.000 Euro abfinden müssen. "Wir sind verzweifelt, ich sehen keinen Ausweg mehr", sagt ihre Mutter.

Vor zwei Jahren war Vanessas Leben ein anderes. Die damals 16-jährige Synchronschwimmern galt als Gold-Hoffnung, als aufgehender Stern am Olympia-Himmel. Der Traum zerplatzte am 11. Juni 2015 bei den Europaspielen in Baku. Am Tag vor der Eröffnung wurde Vanessa auf dem Gehsteig von einem Shuttlebus niedergefahren, dessen Fahrer die Kontrolle verloren hatte und dafür verurteilt worden ist. Besonders tragisch: Der Mann hätte gar nicht ans Steuer dürfen, weil er schon einmal eine Frau überfahren haben soll. Dafür war er begnadigt worden.

Seit dem Unfall ist Vanessa querschnittsgelähmt. Bereits kurz nachher sagten die damalige Präsidentengattin sowie der Sportminister großzügige Entschädigungszahlungen zu. Schriftlich wurde damals nichts vereinbart. Nach Verhandlungen einigte man sich laut Nikolaus Rosenauer, dem Anwalt der Familie, auf 1,8 Millionen Euro. Doch von der Zusage will man in Aserbaidschan nun nichts mehr wissen. Ein von Rosenauer ausgearbeiteter Vertrag wurde nicht unterzeichnet. Insidern zufolge musste das nun auch der Generalsekretär des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC), Peter Mennel, einräumen.

Peinlich für die Sportwelt, eine Katastrophe für die Familie. Obwohl von der ÖOC-Versicherung 600.000 Euro ausbezahlt wurden, ist das gemessen an den hohen Therapiekosten kaum ausreichend. Allein im Vorjahr musste die Familie dafür 100.000 Euro aufwenden. Dazu kommt, dass noch immer nicht klar ist, ob Vanessa eine Rente aus der Unfallversicherung bekommt.

"Fest daran geglaubt"

"Wir haben den Fehler gemacht und haben fest daran geglaubt, dass von Aserbaidschan was kommt", sagt Mama Azra. "Das mit dem Geld ist sehr belastend", erklärt auch die 17-jährige Vanessa, die sich tapfer ins Leben zurück gekämpft hat und nun Sorge um ihre Zukunft hat. Vanessa hat nur ein Ziel: Wieder gehen zu können. Sie absolviert eine Therapie nach der anderen.

Das Training hat das Schwimmen als ihre Leidenschaft abgelöst. "Die Therapeuten meinen, es ist in ein bis drei Jahren möglich", erzählt die 17-Jährige und plötzlich blitzen ihre Augen. "Mittlerweile habe ich ein besseres Körpergefühl und meine Muskeln auf den Oberschenkeln arbeiten wieder. Die Therapien machen mich glücklich." Nun hat Mama Azra Angst, ihrer Tochter nicht das Beste bieten zu können.

Grundstück

Dazu kommt, dass sie Familie im Glauben an die Entschädigung in Mödling ein Grundstück gekauft hat, um ein behindertengerechtes Haus zu bauen. Derzeit wohnt Vanessa im zweiten Stock ohne Lift. Ihre Eltern oder auch ihre Freundinnen müssen sie hinuntertragen. "Das ist so mühsam, ich kann nicht immer raus, wenn ich will", meint Vanessa dazu und rollt mit den Augen.

Nach Unfall in Baku: Das vergessene Millionenversprechen
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Für den Hausbau hat die Familie einen Kredit aufgenommen. Azra hat ihre Lebensversicherung aufgelöst. "Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich das Geld für die Zukunft meiner Tochter verwendet", klagt die Mutter. "Den Schaden, den Vanessa erlitten hat, kann kein Geld der Welt wieder gut machen", sagt Familienanwalt Rosenauer. Doch es sei eine Linderung. Immerhin gehe es auch darum, für mögliche neue Therapien in der Zukunft Rücklagen zu haben. Er will weiter kämpfen.

Beim Österreichischen Olympischen Comité bedauert man die Situation. Seit 2015 bemühe man sich, auf sportpolitischer Ebene zu intervenieren. "Selbstverständlich wird das ÖOC weiter dafür kämpfen, dass Vanessa eine entsprechende Entschädigung für den völlig unverschuldeten Unfall bekommt", sagt Präsident Karl Stoss.

Der Aserbaidschanische Botschafter in Österreich versteht die Kritik weniger. Man habe eine Million Euro angeboten, das Geld sei der Familie aber zu wenig gewesen, behauptet Galib Israfilov. Letztendlich habe man sich nicht einigen können. Nun fließe lediglich die Leistungen der Versicherung des Veranstalters der Europaspiele. Über die Höhe wird noch verhandelt. 200.000 Euro stehen im Raum.

Vanessa will sich indes nicht unterkriegen lassen. Das Leben geht weiter, sie hat sich arrangiert. Später kommen ihre Freundinnen vorbei, vielleicht treffen sich die Mädels zum Eisessen – wenn jemand Vanessa die Stiegen hinunter trägt.

"Jede Hilfe ist willkommen", sagt Azra Sahinovic. Nach dem Ausfall der zugesagten Zahlungen hat die Familie ein finanzielles Problem. Vanessas Therapien im Ausland kosten bis zu 4000 Euro pro Tag. Dazu kommt, dass sie lebenslang auf Hilfe angewiesen sein wird. Darum wird von Freunden und Unterstützern um Spenden gebeten. Die Beträge werden ausschließlich für Vanessa verwendet.

"Spendenkonto Vanessa Sahinovic": IBAN: AT98 1200 0100 1437 3954; BIC: BKAUATWW

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