Eine Bibliothek überwindet Barrieren: Berndorf als Vorbild
Karin Baldrian in ihrer Berndorfer Bibliothek.
"Was nicht passt, wird passend gemacht". Frei nach diesem Motto hat Karin Baldrian die Bibliothek in Berndorf (Bezirk Baden) zu einem Musterbeispiel für Barrierefreiheit entwickelt.
Begonnen hatte alles mit einer Analyse des Ist-Standes: Wer nutzt die Bibliothek? Welche Medien werden besonders gern gelesen? Welche fehlen? „Man hat sofort gesehen, wo etwas nicht passt", erinnert sich Baldrian. Schulen, Kindergärten, Seniorenheime – die Ergebung zeigte Bedarf in viele Richtungen. Also erweiterte sie zunächst den Kinderbereich. Was ihr dabei auffiel: "In jeder Klasse überholen manche den Rest, andere fühlen sich mit Bilderbüchern nicht mehr wohl. Alles, woran man anstößt, muss man ändern".
Bei einem Augenarzt-Termin entdeckte Baldrian dann die „Hörbücherei" des Blinden‑ und Sehbehindertenverbandes Österreichs: professionell gesprochene Medien, für viele Zielgruppen kostenfrei. Paradoxerweise sei der Zugang aber zunächst so gar nicht barrierefrei gewesen, weil Registrierung und Anfahrt Hürden darstellten. Also führte die Bücherei-Chefin monatliche Sprechstunden ein, in denen Angehörige und Betroffene gemeinsam die ersten Schritte setzen.
Verleih auf Probe
Baldrian erklärt Geräte, mit denen CDs unkompliziert abgespielt, Tempo und Tonhöhe variiert und Funktionen haptisch ertastet werden können. Wer will, leiht sie sich dann probeweise aus. „Manchmal kommen Menschen nur einmal", berichtet sie. "Wenn Angehörige verstanden haben, wie die Hörbücherei funktioniert, brauchen sie uns bald kaum noch – und genau das ist der Erfolg."
Ganz ähnlich erging es ihr beim Aufbau digitaler Angebote für Menschen mit Lese‑ und Aufmerksamkeitsschwächen: „Buchknacker" - Hör‑ und Lesemedien, bei denen Text und Ton synchron laufen, das aktuelle Wort farbig markiert ist und sich Zeilen‑ und Wortabstände sowie Kontrast individuell anpassen lassen. „Wenn man ohne Druck im eigenen Tempo folgen kann, wird Lesen lernen wieder möglich", sagt Baldrian, die aus eigener Legasthenie‑Erfahrung spricht. Man kann zuhören und später exakt dort weiterlesen, wo der Marker stehen geblieben ist; für Jugendliche mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) werde aus dem Buch "ein Taktgeber statt einer Hürde".
Räume umgestaltet
Auch die räumliche Umgebung passte Karin Baldrian den Erfordernissen an. Für Sonderschulklassen entstanden Zonen mit weniger Reizen: "Klare Blickachsen, akustisch ruhigere Ecken – man spürt, wie die Körperspannung sinkt." Sie stellte Regalreihen so um, dass eine "sehende Begleitung" funktioniert: Der rechte Arm leicht vor dem Körper, die blinde Person nimmt Kontakt auf und entscheidet selbst, wann sie loslässt.
Ein Rollstuhlfahrer testete die Bewegungsflächen im Erwachsenenbereich. Auch an die Infrastruktur wurde gedacht: eine ebenerdige, breite Toilette direkt am Eingang, Bücher stehen nicht nur auf Griffhöhe der Stehenden, sondern auch in Sitzhöhe.
Sie wolle Stigmata bekämpfen, betont die Bücherei-Chefin. Ein Regal „Einfache Sprache" wollte sie nicht – zu oft werde dies als Etikett der Beschämung gesehen. Stattdessen bündelt ein sichtbar platziertes, speziell kuratiertes „Lernen & Leben"-Segment Materialien für Kinder ebenso, wie zur Maturavorbereitung oder Rechenübungen für Erwachsene.
Wer Unterstützung sucht, muss sich nicht outen. Ein Stammkunde etwa lernte in der Bibliothek, die Uhr zu lesen. Dass Beratung Zeit kostet, ist einkalkuliert: Mit vier Stunden pro Monat organisiert Baldrian Sprechstunden, Kommunikation und Medienankauf – und erzielt Wirkung, die weit über die Bibliotheksräume hinausreicht.
Laufende Verbesserung
Baldrian achtet auf laufende Verbesserung: „Es geht nicht um die perfekte Lösung. Man beginnt, hört zu, und verbessert Schritt für Schritt." Anerkennung zollte ihr dafür nun auch die Erwachsenenbildungseinrichtung BhW Niederösterreich. Man verlieh der Berndorfer Bücherei den Preis „Vorbild Barrierefreiheit".
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