„Das ist eine Privatangelegenheit, ich will meine Ruhe haben.“
Zwei Tage, nachdem Josef Fritzl die Telefon-Recherche des KURIER zu seiner verschollenen Tochter Elisabeth schimpfend abbrach, wurde er 2008 am Abend des 26. April festgenommen. Einer der größten und erschreckendsten Kriminalfälle Österreichs schlug dann am darauffolgenden strahlenden Frühlingssonntag in Amstetten ein wie eine Bombe.
Den 15-jährigen Jahrestag der Befreiung der damals 42-jährigen Elisabeth Fritzl samt ihrer Kinder aus der 24 Jahre dauernden Gefangenschaft im Kellerverlies im Wohnhaus ihrer Eltern in Amstetten, will dort freilich niemand besonders wahrhaben. Das Auffinden der lebensgefährlich erkrankten und – wie sich später herausstellte – im Kellerverlies aufgezogenen 19-jährigen Kerstin vor der Haustüre Fritzls am 19. April 2008 läutete das Ende für das Treiben des Tyrannenvaters ein.
Die Taten des zu lebenslanger Haft verurteilten heute 88-jährigen Inzestvaters, Mörders und tausendfachen Vergewaltigers haben der 23.000 Einwohner zählenden Stadt zugesetzt. Dass jetzt wieder Fernsehteams und Medien das Thema aufgreifen, stößt auf wenig Verständnis.
Keine Stellungnahme
„Das will hier niemand mehr. Ich gebe dazu keine Stellungnahme ab. Die Leute sind echt erzürnt“, sagt der frühere SPÖ-Bürgermeister Herbert Katzengruber. Als Stadtoberhaupt musste er 2008 den Medienansturm, der nach dem Auffliegen des zweieinhalb Jahrzehnte dauernden Geschehens im „Horrorhaus“ über Amstetten hereinbrach, standhalten.
Auch vom jetzigen Stadtchef Christian Haberhauer (ÖVP) heißt es, „kein Kommentar, das Kapitel ist geschlossen“. Als Manager des Schlosses Zeillern bekam er den Medienhype hautnah mit. Dort fand die erste Pressekonferenz mit Dutzenden internationalen Kamerateams statt.
Böse Blicke vorbeifahrender Autolenker will auch ZDF-Redakteur Alexandar Maier bei einem vorwöchigen Lokalaugenschein mit dem KURIER beim ehemaligen Fritzl-Haus wahrgenommen haben. Nachbarn zeigen wenig bis kein Interesse, die Vergangenheit zu kommentieren.
Mieter
Das Haus, dessen Kellerverlies mit Beton zugefüllt worden ist, wollte lange niemand haben. Aus der Konkursmasse gekauft und saniert hat es das Gastwirtepaar Herbert und Ingrid Houska. „Ingenieur Fritzl“, wie er sich gerne nannte, hat als Immobilien-Geschäftsmann eine Millionenpleite hingelegt.
„Es sind alle neun Wohnungen vermietet. Da sind junge Leute dabei, die zum Fall Fritzl gar keinen Bezug mehr haben“, erzählt Houska. Nachbarn seien dankbar, weil im Stadtteil Ruhe eingekehrt ist. Mitten im Fritzl-Hype gab es sogar Ideen aus dem Ausland über die Installierung eines Horror-Museums in dem Haus. Die Kellergarageneinfahrt, über die Fritzl die geheime Versorgung seiner Gefangenen bewerkstelligte, ließ Houska zumauern.
Wenn es in der Stadt um Lehren aus den Taten des Schwerkriminellen geht, finden sich unweit vom Ex-Horrordomizil im Frauenhaus Amstetten Antworten. „Wir fielen damals aus allen Wolken, dass so etwas in unserer Nachbarschaft geschehen konnte. Mit der Familie gab es nie Kontakt“, erinnert sich Leiterin Ursula Kromoser.
Sie ist sich sicher, dass in Amstetten Präventionsprojekte rund um Gewalt gegen Frauen mehr als anderswo unterstützt werden. Aktuell wird in der Stadt gerade mit auffälligen Parkbänken zu „Stopp Partnergewalt“ sensibilisiert.
Manuel Scherscher, Vize-Direktor im Bundkriminalamt und Amstettner Ortsvorsteher hat nach der Bundesaktion „Sicheres Österreich“ ein umfassendes Sicherheitskonzept initiiert. „Der Fritzl-Fall ist allgegenwärtig, aber Treiber für diese Aktivitäten ist er nicht“, so Scherscher.
Frauenschutz sei ein Schwerpunktthema des Bundes, sagt er. In der Polizeiarbeit sei es wichtig, so Scherscher, dass in der Sexualstraftäterdatenbank im Gegensatz zur Fritzl-Zeit auch getilgte Taten einsehbar sind. Vor Amstetten war der Inzestvater wegen einer Vergewaltigung in OÖ sogar inhaftiert. Was später aber aus dem Strafregister gestrichen worden war.
„Ihre Gesichter nie zu zeigen, war richtig“
Der Schutz der Identität der Opfer von Josef Fritzl wird auch 15 Jahre nach ihrer Befreiung aus dem Horrorverlies in Amstetten noch immer hoch gehalten. „Die Entscheidung, die Gesichter der befreiten Familie nie öffentlich zu machen, war richtig“, ist Fritz Lengauer noch immer überzeugt.
Der Pädagoge und Medienexperte war im Dienste des Landes Niederösterreich für die persönliche Betreuung der Opferfamilie engagiert worden.
Lengauer umsorgte Elisabeth und ihre Kinder rund ein Jahr lang. Vor allem auch in der Zeit, als sich die Mutter und ihre sechs Kinder in ihrem Zufluchtsort am Gelände des Landesklinikums Mauer befanden, war er Betreuer und Vertrauter. Im Dezember 2008 zog die über den Opferschutzfonds unterstützte Familie in ein Haus, dessen Adresse geheim gehalten wird.
Man habe sich damals anders als Natascha Kampusch entschieden, erzählt Lengauer. Die heute 35-jährige Kampusch hat nach ihrer achtjährigen Gefangenschaft durch Wolfgang Priklopil ab 2006 in Medien und Büchern ihr Schicksal offen geschildert und musste massiven Druck und sogar Kritik ertragen. Lengauers Auskünfte über die Opfer, mit denen er zu Fest- oder Geburtstagen Kontakt hält, sind wie immer knapp: „Es geht ihnen gut, alle sind berufstätig.“