Trauermarsch in Villach: "Dunkelheit und Finsternis brachen über uns herein"

Es müssen schon Hunderte Kerzen sein, die in der Gerger Straße, an der Ecke zum Hauptplatz, angezündet wurden. Und nahezu minütlich werden es mehr.
Dort, wo Samstagnachmittag in Villach ein 14-Jähriger erstochen und fünf weitere Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.
Gedenkmarsch in Villach
Das offizielle Villach beschloss eine Woche der Trauer, am Dienstagabend fanden ein Gedenkmarsch sowie ein ökumenischer Gottesdienst statt. Der Marsch startete mit rund 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern um 18 Uhr, sämtliche Kirchenglocken der Stadt begannen pünktlich zu läuten - vier Minuten lang.
Doch bereits in den Stunden davor hatten sich Menschen rund um den Tatort versammelt, um ihre Anteilnahme auszudrücken.
Trauer und Anteilnahme
Einige standen etwa gerade an der Gedenkstätte, als eine Familie mit einer Kerze in der Hand kam und sie zu den anderen stellte: "Wie geht's dir nach all dem?", fragte ein älterer Passant eine Frau, die ebenfalls stehen geblieben ist. "Es geht", antwortete sie. "Es dauert, bis man das alles verarbeitet hat."
Die Menschen machten Fotos, unter anderem auch von dem Bild des jungen Alex, das bei einem großen Strauß Blumen in der Mitte des Lichtermeeres steht - Alex, der 14-jährige Schüler, der getötet wurde.
Selbst gebastelte IS-Flagge im Zimmer
Der mutmaßliche Täter, ein 23-Jähriger aus Syrien mit aufrechtem Asylstatus in Österreich, sitzt in der Justizanstalt Klagenfurt in Einzelhaft. Der Mann gestand den Messerangriff auf Passanten, auf die er an diesem Samstagnachmittag wahllos einstach - er habe "wehrfähige Männer töten" wollen, sagte er einen Tag danach zu den Polizisten, die ihn befragten.
Das Messer - ein Klappmesser mit zehn Zentimeter langer Klinge - kaufte er offenbar erst drei Tage vor dem Attentat.
Das Motiv? Offenbar Verhetzung durch IS-Fanatiker: Der 23-Jährige hatte Propagandamaterial des Terrorregimes Islamischer Staat auf dem Mobiltelefon, in seinem Zimmer einer Wohngemeinschaft, die er mit zwei weiteren Männern bewohnte, fanden Ermittler eine IS-Flagge, selbst gebastelt aus schwarzen Müllsäcken. auf dem Handy gespeichert war auch eine Art Beitrittserklärung zum IS in Form eines Videos. Radikalisiert wurde der Verdächtige offenbar binnen weniger Monate über Tiktok.
Der Held wird bedroht
Gestoppt wurde er von einem Lieferanten mit seinem Auto – wie der mutmaßliche Täter, ebenfalls Syrer und für viele der Held, der Menschenleben rettete. Doch nicht für alle: Laut ORF wird der 42-Jährige von IS-Anhängern bedroht und wagt nun kaum noch, seine Wohnung zu verlassen.
Tränen bei Trauermarsch in Villach
Kurz nach 18 Uhr haben sich bereits Tausende Menschen im Zentrum der Stadt versammelt, wie eine KURIER-Reporterin von vor Ort schildert. Die Menschen, die hier sind, trotzten der Eiseskälte, viele wärmten sich an den Kerzen, die sich in der Hand trugen.
Der Trauermarsch setzte sich pünktlich in Bewegung, eine Drohne über der Menge wirkte in der Stille besonders laut. Mehrere junge Mädchen brachen in Tränen aus, als sie an den Kränzen in der Gerger Straße vorbeigingen.
"Für uns ist es sehr wichtig, an dem Trauermarsch teilzunehmen. Man sieht auch an den vielen Leuten, die hier sind, dass es vielen sehr wichtig ist," schildert eine Teilnehmende dem KURIER. Und: „Man kann sich nicht wirklich vor so einer Tat schützen, Bürgerwehr oder mehr Polizei nutzen da auch nichts. Weil auch wenn man ihn früher kontrolliert hätte, war wäre auffällig gewesen? Er hatte ja einen Aufenthaltstitel“, sagt ihre Mutter.
Was sie sich wünschen würde für ihre Stadt? "Es braucht dafür stärkere Kontrollen bei den Asylverfahren. Es ist okay, wenn Leute gewillt sind, sich zu integrieren, aber da müsste man früher schon viel stärker kontrollieren."

Die Route führte vorbei an der Stelle des Anschlages. Viele Teilnehmer zündeten dort weitere Kerzen an, die zu einem Lichtermeer heranwuchsen. Die Menge zog indessen weiter zur Stadthauptpfarrkirche St. Jakob. von dort ging es weiter über den Hauptplatz zur Stadthauptpfarrkirche St. Jakob.
Am Gedenkmarsch nahmen unter anderem Bundeskanzler Alexander Schallenberg, Landeshauptmann Peter Kaiser sowie Bürgermeister Günther Albel teil. Es gebe keine Worte, die angemessen wären, so Schallenberg bei seiner Rede anlässlich des Trauermarsches in Villach. Seine tief empfundene Anteilnahme gelte der Familie des Opfers. Die Tat mache ihn "wütend", so der Bundeskanzler weiter. "Unfassbar wütend. Aber Wut darf nicht die Maxime unseres Handelns sein."
Asylheim wird geschlossen
Eine Konsequenz wurde nach dem Attentat bereits gezogen: Das 2016 eröffnete Asylquartier in Villach-Langauen wird geschlossen, zuletzt lebten hier 75 Menschen, unter ihnen 39 Kinder. Auch wenn der mutmaßliche Attentäter nicht in einem Flüchtlingsheim lebte, komme die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen "in der gegenwärtigen Situation" dem Wunsch der Stadt nach, hieß es.
Landeshauptmann Kaiser (SPÖ) hatte bereits am Vormittag bei einem Sicherheitsgipfel über mehr Kontrollmöglichkeiten nachgedacht: "Wir werden auch daran arbeiten müssen, eine verfassungskonforme Regelung zur verdeckten Überwachung von Messenger-Diensten einzuleiten."
"Feige Tat hat Villach verändert"
"Es war ein feiger Anschlag auf unsere Stadt. Wie kann man eine Familie trösten, die einen Sohn verloren hat, wie kann man einer Familie Mitgefühl zeigen, wenn man im Krankenhaus nach verletzten Angehörigen suchen muss? Ich bin Vater von zwei Kindern, ich bin Villacher. Es gibt keine Worte, die all das fassen können. Diese feige Tat hat Villach verändert. Villach hat seine Unschuld verloren, hat seine Leichtigkeit verloren. Wir Villacher haben unser Lei-Lei-Gefühl verloren. Wir haben unsere Sicherheit verloren. Dieser Anschlag war ein Anschlag auf uns alle, auf das, wie wir leben, wie wir feiern. Es war ein Anschlag auf all das, was Villach ausmacht", so Bürgermeister Günther Abel (SPÖ) bei seiner Ansprache.
Auch richtete er direkt Worte an die Familie des 14-jährigen Opfers: "Mein tiefstes Beileid, es tut uns unglaublich leid."

In der Kirche hielten Diözesanbischof Josef Marketz und Superintendent Manfred Sauer gemeinsam mit dem Villacher Stadthauptpfarrer Richard Pirker einen ökumenischen Gedenkgottesdienst ab. Als die Fürbitten gelesen wurde, stimmte ein Mann vor der Kirche ein "Christus, erbarme dich unser" an, dutzende Menschen schlossen sich ihm an und sangen gemeinsam.
"Sein Leben wurde ausgelöscht"
"Ganz Villach trauert. Das ist nicht nur zu lesen, sondern auch zu spüren", beschrieb Sauer. "Dunkelheit und Finsternis brachen am Samstag über uns herein." Alle, die den getöteten 14-Jährigen kannten, beschrieben ihn als weltoffen und freundlich. "Sein Leben wurde ausgelöscht, wie man eine Kerze löscht. Ein anderer junger Mann verlor seine Menschlichkeit, begab sich in die Stadt, um andere zu töten", so Sauer. "Gott sei Dank gab es auch noch einen anderen Syrer. Mit Zivilcourage stoppt er den Attentäter und verhinderte Schlimmeres."

Diözesanbischof Johann Marketz wandte sich in seinen Worten vor allem an die jungen Menschen: "Ich habe in der Berichterstattung so viel Liebevolles und Hoffnungsvolles gerade von Jugendlichen gehört, dass für mich die Hoffnung zum zentralen Begriff geworden ist.“ Auf keinen Fall sollte man sein Herz durch Hass vergiften lassen: „Denn Hass vergiftet auch die Hoffnung.“ Und wenn die Hoffnung verschwinde, dann verschwinde auch die Lebenskraft.
Der Gottesdienst konnte auch per Videoübertragung auf einer Leinwand am Platz vor der Kirche mitverfolgt werden, Hunderte Menschen hörten vor der Leinwand draußen zu. Im Haus direkt neben der Kirche standen in allen Fenstern ebenfalls Kerzen, die für den verstorbenen Schüler angezündet wurden.
Über 4.000 Personen hatten sich insgesamt bei dem Gedenken in Villach versammelt.
Zwei Jugendliche noch auf Intensivstation
Am Dienstag waren noch zwei 15-jährige Opfer des Anschlags auf der Intensivstation im Krankenhaus. Eine weitere Person, die bis Montag intensivmedizinisch versorgt wurde, konnte unterdessen auf die Intermediate Care - das Bindeglied zwischen Intensiv- und Normalstation - verlegt werden. Laut Staatsanwaltschaft hatten die beiden Jugendlichen schwerste Verletzungen erlitten, und zwar am Bauch und am Oberkörper. Auch Dauerfolgen waren nicht auszuschließen.