Interview: Job wegen Vollverschleierung verloren

Interview: Job wegen Vollverschleierung verloren
Gertraud M. verlor wegen ihrer Vollverschleierung den Job. Der OGH gab ihrem Ex-Chef recht.

Die Kündigung einer Muslimin, die am Arbeitsplatz einen Gesichtsschleier tragen wollte, ist keine Diskriminierung. Das entschied der Oberste Gerichtshof (OGH) im Fall einer Notariatsangestellten, die ihren ehemaligen Arbeitgeber geklagt hatte. Sei in Österreich ein unverhülltes Gesicht doch "Grundregel" der Kommunikation. Dass die Frau angeboten hatte, den Schleier während Kundenkontakten abzulegen, erachtete das Gericht nicht für ausreichend. Denn die Interaktion im Büro werde dennoch beeinträchtigt.

Bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft zeigt man Verständnis, das Urteil sei "nachvollziehbar", sagt Frauenbeauftragte Carla Amina Baghajati. Insbesondere in Berufsfeldern, in denen Angestellte persönlichen Kontakt mit anderen Menschen hätten, könne ein Gesichtsschleier – anders als ein Kopftuch – die Kommunikation erschweren. Im Exklusivinterview mit dem KURIER nimmt Gertraud M. (Name von der Redaktion geändert), jene Konvertitin aus Niederösterreich, die aufgrund ihres religiösen Kleidungsstils gekündigt wurde, nun erstmals öffentlich Stellung.

KURIER: Frau M., warum tragen Sie einen Gesichtsschleier?

Gertraud M.:Es ist schwer, das zu erklären. Begonnen habe ich während einer schweren Erkrankung: Bei mir wurde Krebs diagnostiziert. Vielleicht ist es am ehesten so verständlich: Als ich die Prognosen der Ärzte gehört hab’ – "drei Monate noch", "vielleicht ein Jahr noch" –, wollte ich den Gesichtsschleier, um Allah noch näher zu sein. (Bis dahin trug Frau M. ein Kopftuch, Anm.) Quasi: die letzten Gutpunkte sammeln vor dem Tod. Ich habe zwar überlegt, weil die Probleme natürlich absehbar waren. Aber mein Herz schrie danach. Deshalb hab ich mich dafür entschieden. Ich würde aber nicht automatisch auch anderen Musliminnen dazu raten.

Gibt es Situationen, in denen Sie es befremdlich finden würden, das Gesicht Ihres Gegenübers nicht zu sehen?

Nein. Im Spital tragen die Ärzte zum Beispiel auch Masken. Und beim Telefonieren stört es mich ja auch nicht. Da sehe ich kein Problem. Mein Arbeitgeber hat vor Gericht angemerkt, dass er nicht wisse, ob ich seine Anweisungen verstanden habe, wenn er mein Gesicht nicht sieht. Aber das kann ich nicht nachvollziehen: Er sieht ja meine Augen, sieht meine Gestik, hört meine Tonlage. Meine Kinder verstehen mich in der Öffentlichkeit ja auch, wenn sie nur meine Augen sehen.

Das heißt, Sie können das OGH-Urteil nicht nachvollziehen?

Doch, teilweise schon. Ich kann mir vorstellen, dass mein Gesichtsschleier auf manche Menschen befremdlich wirkt.

Sie haben also gar nicht geglaubt, dass Sie vor Gericht gegen Ihren Arbeitgeber gewinnen können?

Sagen wir, ich habe es gehofft. Ich hab auf mehr Offenheit der Richter gehofft. Ich wollte ja meinen Beitrag für die Gesellschaft leisten, ich wollte mich nicht abschotten und zum Beispiel nur unter Muslimen oder nur unter Frauen sein. Aber ein Teil der Gesellschaft kann mit dem Gesichtsschleier nicht umgehen. Ich versteh’ das auch. Bei vielen ist nach den Medienberichten über Terroranschläge einfach eine gewisse Angst da.

Zahlt sich dann der Aufwand aus? Ohne Gesichtsschleier könnten Sie es im Berufsleben oder auch in der Öffentlichkeit einfacher haben.

Das Einfachste ist aber nicht immer das Richtige. Das Diesseits ist eine Prüfung, erst im Jenseits werden wir belohnt oder bestraft. Wenn Allah will, werde ich wieder Arbeit finden. Aber von allein wird’s nicht gehen. Ich muss natürlich schon einen Job suchen.

Tun Sie das?

Ja, ich suche seit meiner Kündigung im April 2014 Arbeit. Ich konzentriere mich vor allem auf Bereiche, wo nur Frauen arbeiten, auf Frauenhäuser zum Beispiel – auch im geringfügigen Bereich. Weil da könnte ich den Gesichtsschleier ablegen. Das Bedecken des Gesichts betrifft im islamischen Sinne ja nur fremde Männer. Bis jetzt hab ich zirka 100 Bewerbungen verschickt, aber ich wurde erst ein Mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Und was ist dort passiert?

Dort wäre eine Anstellung schon an einem Kopftuch gescheitert. Darum wurde die Vollverschleierung gar nicht erst zum Thema.

Verweisen Sie in Ihren Bewerbungsgesprächen auf Ihren Wunsch, Gesichtsschleier zu tragen?

Nein.

Sie haben eine kleine Tochter. Wie wird das sein, wenn sie alt genug ist, um ins Berufsleben einzutreten – was werden Sie ihr punkto Schleier raten?

Ein Vegetarier wird seine Kinder als Vegetarier erziehen. Und ich erziehe meine Kinder eben islamisch. Aber meine Entscheidung, den Schleier zu tragen, ist zwischen mir und Allah. Islamische Kleidung ist Teil meiner Erziehung. Aber was meine Tochter später trägt, ist allein ihre Entscheidung. Was eine Frau anzieht, sollte immer ihre Entscheidung sein.

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