"Wenn mich jemand erschießen will…"
Wenn heutzutage der Name der Stadt Dallas fällt, kann man davon ausgehen, dass von der Ermordung John F. Kennedys die Rede ist. Und das nach 60 Jahren! Denn kaum ein anderes Ereignis hat die Vereinigten Staaten so erschüttert wie der gewaltsame Tod des 35. Präsidenten der USA.
Mehr als 200.000 Menschen säumten am 22. November 1963 die Straßen von Dallas/Texas, als die Präsidentenlimousine im Schritttempo vom Dealey Plaza in die Elm Street einbog. Die Fahrt durch die Innenstadt dauerte 40 Minuten und sollte dort enden, wo Kennedy eine Rede halten würde.
Drei Schüsse
Doch wenige Meter vor dem geplanten Stopp fallen drei Schüsse. Es ist 12.30 Uhr Ortszeit. 30 Minuten später können die Ärzte nur noch den Tod des 46-jährigen Präsidenten feststellen.
Wenn wir heute Bilder von Kennedy sehen, könnte man meinen, dass der strahlende und charismatische Politiker ausschließlich Bewunderer hatte. Doch es gab auch Feinde, die nur darauf warteten, dass ein anderer ins Weiße Haus ziehen würde.
Schutzlos ausgeliefert
Bis zu den nächsten Wahlen war noch ein Jahr Zeit, aber es galt keineswegs als sicher, dass Kennedy wiedergewählt würde. Gerade hier, in den Südstaaten der USA, missbilligten viele sein Bekenntnis zu den Bürgerrechten der Schwarzen. Um den Wählerinnen und Wählern möglichst nahe zu kommen, ließ der Präsident an diesem sonnigen Freitag das Verdeck des dunkelblauen Ford Lincoln Continental abnehmen. Damit er und seine in einem rosa Kostüm gekleidete Frau Jacqueline auch jenen Texanern zuwinken konnten, die seine Demokratische Partei bisher abgelehnt hatten. Doch ohne Dach ist er seinem Mörder schutzlos ausgeliefert.
Der erste Schuss schlägt fehl. Der zweite trifft Kennedy am Hals, ist aber nicht tödlich. Der dritte und letzte Schuss durchschlägt den Schädel, sodass Teile des Gehirns austreten.
Der Wagen mit dem schwer verletzten Präsidenten rast ins Parkland Memorial Hospital. Gleichzeitig versucht die Polizei dem Täter auf die Spur zu kommen. Augenzeugen haben beobachtet, dass die Schüsse aus einem offenen Fenster im 5. Stock eines Lagerhauses am Dealey Plaza gekommen sind. Bei einer Überprüfung der Mitarbeiter des Schulbuchlagers stellt sich heraus, dass der hier tätige Lee Harvey Oswald fehlt. Die Fahndung beginnt sofort.
Kennedys „Steckbrief“
FBI und Secret Service wussten, dass Dallas ein gefährliches Pflaster für Kennedy ist und hatten noch vor seiner Ankunft verdächtige Unruhestifter ins Visier genommen: Nur vier Wochen vor seinem Besuch war hier der ihm politisch nahe stehende UN-Botschafter Adlai Stevenson tätlich angegriffen worden. Ein einschlägig bekannter ultrarechter Offizier hatte in einer texanischen Zeitung erklärt, Kennedy stelle „eine Bedrohung für die freie Welt“ dar. In Dallas waren Flugblätter als „Steckbriefe“ mit einem Kennedy-Foto verteilt worden, unter dem stand: „Wanted for Treason“ (Gesucht wegen Landesverrats). Und am Tag seiner Ankunft war in den Dallas Morning News ein Inserat mit Trauerrand geschaltet, das den Präsidenten als Kommunisten bezeichnete.
Trotz der offensichtlichen Gefahren wurde die Fahrtroute der Wagenkolonne in den Medien veröffentlicht. Auch Kennedy selbst war sich des Risikos bewusst, sagte er doch, ehe er in den Wagen stieg, zu seiner Frau: „Wenn mich jemand von einem Fenster aus erschießen will, dann wird das niemand verhindern können.“
Die Polizei nahm die Gefahr, im offenen Wagen durch Dallas zu fahren, ernst, beging aber den Fehler, sich bei den Überprüfungen nur auf radikal rechte Kreise zu konzentrieren. Und die Ultralinken außer Acht zu lassen. Sonst hätte man wohl auch Lee Harvey Oswald beobachtet.
Großer Präsident
Oswald, 1939 in New Orleans geboren, hatte als Soldat der US-Marine eine profunde Schießausbildung erhalten. Er bezeichnete sich als Marxist, Leninist und Castro-Anhänger, lebte drei Jahre in der Sowjetunion, war mit einer Russin verheiratet. Ein Jahr vor dem Kennedy-Mord kehrte er mit Frau und Tochter in die USA zurück und ließ sich in Dallas nieder.
Sechs Wochen vor dem Attentat nahm Oswald eine Anstellung bei der Texas School Book Depository an und arbeitete in jenem Lagerhaus, von dem aus am 22. November die tödlichen Schüsse fielen. Kurz davor hat er per Post die Tatwaffe, ein italienisches Carcano-Repetiergewehr nach einer Konstruktion des Österreichers Ferdinand Mannlicher, bestellt.
John F. Kennedy ging als großer Präsident in die Geschichte ein. Weil er mit seiner völlig neuen Art von Politik den Menschen Hoffnung machte und weil er, wie man damals dachte, ein vorbildliches Leben führte. Doch dieses Bild hat sich seither stark verändert. Die Amerikaner wissen heute, dass er seine Frau Jacqueline bei jeder sich bietenden Gelegenheit betrogen hat, Verhältnisse mit Marilyn Monroe und anderen Hollywoodstars hatte.
Obwohl die First Lady von seiner anhaltenden Untreue wusste, war gerade sie es, die ihn für die Nachwelt verklärt darstellte. In ihren erst 2011, fast zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod, erschienenen Erinnerungen verliert sie kein böses Wort über ihn, erwähnt nur, dass Kremlchef Nikita Chruschtschow ihr während einer Ballettaufführung in der Wiener Staatsoper zugeflüstert hätte: „Die Tänzerinnen haben alle nur Ihren Mann im Blick. Sie dürfen ihn niemals allein auf Staatsbesuch gehen lassen, er ist ein so gut aussehender Mann.“
Trotz vielfacher Untersuchungen ranken sich immer noch zahlreiche Verschwörungstheorien um Kennedys Tod, vor allem um angebliche Hintermänner des Attentäters Lee Harvey Oswald, der zwei Tage nach dem Präsidentenmord selbst erschossen wurde.
Tausende Dokumente
Um die Mythen aus der Welt zu schaffen, ließ US-Präsident Joe Biden vor zwei Jahren rund 13.000 bis dahin geheimgehaltene Dokumente zu dem Mordanschlag offenlegen, ohne dass daraus irgendwelche neuen Erkenntnisse gewonnen wurden. Die Veröffentlichung Tausender weiterer Unterlagen aus dem Nationalarchiv ist geplant; nur Dokumente, die die nationale Sicherheit gefährden, werden unter Verschluss bleiben. Womit den Verschwörungstheorien wohl weiterhin Tür und Tor geöffnet sind.
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