Auch sie haben gestottert
Also, wenn das keine Karriere ist. Als Kind brachte er kaum einen graden Satz heraus – und jetzt wird er Präsident der Vereinigten Staaten. Joe Biden teilt das Schicksal des Stotterns mit etlichen Großen der Weltgeschichte, aber auch mit einer Reihe von prominenten Künstlern.
Churchill nimmt Anlauf
Biden ist nicht der erste Politiker, der es trotz dieses Handicaps nach ganz oben schaffte. Es klingt paradox: Obwohl der legendäre britische Premier Winston Churchill ein sprachgewandter Redner war, der die Zuhörer in seinen Bann zog, geriet er in seinen Ansprachen oft ins Stocken. Sein Trick war: Er begann seine Reden mit einem Anlauf, indem er ein leises „Mmmmh“ vor sich hinbrummte, um dann fehlerfrei fortzufahren. Er selbst sagte von sich, ein Freund kurzer Worte zu sein. In späteren Jahren hatte Churchill sein Leiden so gut unter Kontrolle, dass es kaum noch zu bemerken war.
Der Vater der Queen
Ein viel schwierigerer Fall war der des Königs George VI. – seines Zeichens Vater der heutigen Queen. Er wurde durch den Oscargekrönten Film „The King’s Speech“, in dem seine abgehackte Sprechweise das zentrale Thema war, zum wohl bekanntesten Stotterer der Geschichte. Der spätere König von Großbritannien hatte schon als Kind gestottert, was man auf das schlechte Verhältnis zu seinem Vater, George V., zurückführte. Dazu kam, dass ihn seine häufig wechselnden Kindermädchen misshandelten und mit Gewalt vom Links- zum Rechtshänder erzogen.
Als Prinz brachte er vor einem größeren Publikum kaum ein Wort heraus, was im Dezember 1936 zum Problem wurde, als er seinen Bruder Edward VIII. als König ablösen musste – weil der die zweifach geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson heiraten wollte. Nach zahlreichen erfolglosen Versuchen wandte sich George VI. an den australischen Sprachtherapeuten und Gelegenheitsschauspieler Lionel Logue, der ihm mit seinen unkonventionellen Methoden tatsächlich helfen konnte. George wurde weitestgehend geheilt und konnte flüssige Ansprachen halten. Höhepunkt seiner Redekunst war die nahezu fehlerfreie Rundfunkansprache anlässlich der Kriegserklärung des Vereinigten Königreichs an das Deutsche Reich im September 1939, die im ganzen Land bejubelt wurde.
Seltsam ist es auch, dass einige der prominentesten Schauspieler ursprünglich gestottert haben. Der wohl aufsehenerregendste Fall ist der der Hollywoodikone Marilyn Monroe, die immer dann stotterte, wenn sie nervös war, weshalb sie sich in jungen Jahren schüchtern und zurückhaltend gab. Auch die Monroe unterzog sich einer Sprachtherapie, als deren Folge sie ihr Problem kontrollieren und kaschieren konnte. Danach stand ihrer Schauspielkarriere nichts mehr im Wege. Die hauchende Stimme, die bei ihr so sexy klang und zu ihrem Markenzeichen wurde, soll durch die bei der Therapie angewandten Übungen entstanden sein. Die berühmtesten von ihr gehauchten Worte waren die Geburtstagswünsche für John F. Kennedy, „Happy Birthday, Mr. President!“
Ein Schauspieler, der zwischen seinem sechsten und seinem 18. Lebensjahr stark stotterte und trotzdem eine Weltkarriere machte, ist Bruce Willis. Sein Logopäde hatte ihm geraten, es beim Theater zu versuchen, um durch das Schlüpfen in andere Rollen das Stottern zu umgehen. Wie wir heute wissen, sollte es gelingen. Filme wie „Der Tod steht ihr gut“ und „Pulp Fiction“ zeugen davon.
Gestottert hat auch der als Mr. Bean weltberühmt gewordene Komiker Rowan Atkinson, der als Kind in der Schule angeblich wegen seines Aussehens gehänselt wurde. Als er beschloss Schauspieler zu werden, erfand er die fast stumme Figur des Mr. Bean, die vor allem von Atkinsons Mimik lebt. Später unterzog er sich einer Stottertherapie, durch die er geheilt wurde und auch andere Rollen spielen konnte.
80 Prozent sind Männer
Auch Elvis Presley und der Sänger Ed Sheeran stotterten – und wurden durch eine Gesangstherapie geheilt. So kamen sie zu ihrem Beruf.
Rund ein Prozent der Weltbevölkerung stottert – 80 Prozent davon sind Männer –, was sich in vielen, aber nicht in allen Fällen nach der Pubertät gibt. Neurologen erklären, dass bei Menschen, die beim Sprechen „hängen bleiben“, das Zusammenspiel zwischen rechter und linker Gehirnhälfte anders funktioniert, was nichts daran ändert, dass sie zu intellektuellen Höchstleistungen imstande sind. So soll sich auch Albert Einstein, eines der größten Genies aller Zeiten, als Kind sprachlich sehr schwer getan haben. Weitere prominente Wissenschafter, die ins Stocken gerieten, waren Sir Isaac Newton, der Begründer der klassischen Physik, und der Evolutionstheoretiker Charles Darwin.
„Eine schwere Zunge“
Auch im Altertum gab es zumindest zwei berühmte Stotterer. Der Politiker Demosthenes war einer der besten Redner im alten Griechenland – und das, obwohl er als Kind eine schwere Sprechstörung hatte. Er überwand sie durch das Lesen langer Texte mit Kieselsteinen im Mund. Und Moses soll gestottert haben, wenn er vor einer großen Menschenmenge sprach. Das sagte er auch zu Gott: „Oh Herr, ich bin von jeher nicht beredt gewesen …, denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge.“ (Exodus 4,10).
Und jetzt eben Joe Biden, der das Stottern durch hartes Training abbauen konnte. Ganz ist er es nicht losgeworden, hin und wieder bleibt er noch mitten im Satz hängen. Zugegeben, Donald Trump hat nie gestottert. Er spricht sehr flüssig – wenn er uns eine Lüge nach der anderen auftischt.
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