Vom Stumm- zum Tonfilm: Als die Bilder sprechen lernen

Hans Moser als Dienstmann
Weltweit ist die Sorge groß, dass die Künstliche Intelligenz die Produktion von Filmen übernimmt. Ebenso wie man vor hundert Jahren den Tonfilm fürchtete.

„Tonfilm ist Kitsch!“, „Tonfilm ist Einseitigkeit!“, „Tonfilm ist wirtschaftlicher und geistiger Mord!“ Mit derart formulierten Flugblättern protestierten Schauspieler, Drehbuchautoren, Musiker und Kameraleute, als vor knapp hundert Jahren der Tonfilm den Stummfilm ablöste. Während die Künstler damals durch den „sprechenden Film“ das Ende des Kinos kommen sahen, demonstrieren heutige Filmschaffende gegen Filme, die fast ohne menschliches Zutun durch Künstliche Intelligenz entstehen und dennoch real wirken.

Man schrieb den 6. Oktober 1927, als im Film erstmals gesprochen wurde. Der amerikanische Schauspieler Al Jolson sagte in der Titelrolle des Films „The Jazz Singer“ die Worte: „Hey Mom, listen to this.“ Dieser erste akustisch einigermaßen vernehmbare Satz der Kinogeschichte revolutionierte den Film, stieß anfangs jedoch auf breite Ablehnung. Vor allem bei Produzenten, weil Stummfilme in der Herstellung viel billiger waren und problemlos in anderssprachige Länder verkauft werden konnten.

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"Hey Mom, listen to this" - die ersten gesprochenen Worte im Film: Al Jolson in "The Jazz Singer", 1927.

Karrieren im Stummfilm

Entsetzt über die neuen technischen Möglichkeiten waren auch viele Schauspieler. Für den Stummfilm brauchten sie keine Sprechausbildung, es genügte, gut auszusehen und sich vor der Kamera bewegen zu können. Seit Erfindung des Cinématographen im Jahr 1895 gab es Abertausende Darsteller, die diesen Kriterien entsprachen und im Stummfilm Karriere machten. Protestiert wurde in Hollywood, aber auch in Wiener und Berliner Filmstudios. Mehrere arbeitslos gewordene Stummfilmstars nahmen sich sogar das Leben.

Nicht nur, dass die alten Schauspieler ihre Jobs verloren, war es auch schwer, neue zu finden. Denn für den Tonfilm kamen nur bühnenerfahrene Darsteller mit gut ausgebildeter Sprechtechnik infrage, doch Theaterstars wie Werner Krauß oder Emil Jannings lehnten Dreharbeiten als unter ihrer Würde ab. Erst als sich zeigte, dass Filmgagen wesentlich höher waren als Theatergagen, waren die Bühnenstars bereit, fürs Kino zu drehen.

Allein in Österreich gab es damals 833 Kinos, davon 177 in Wien, die alle – in wirtschaftlich schweren Zeiten – mit großem finanziellem Aufwand für den Tonfilm umgerüstet werden mussten.

Ein technisches Problem des Tonfilms war anfangs, dass Licht- und Tonspuren getrennt liefen, sodass die Bilder im Kino nicht immer synchron zu den gesprochenen Worten gezeigt werden konnten. Es wurden jedoch ständig neue Patente angemeldet, mit denen man auch dieses Problems Herr wurde.

In den Kindertagen des „sprechenden Films“ wurden vor allem Dokumentarfilme gedreht. Doch als ein Produzent Hans Moser 1928 in einem Berliner Kabarett in seiner Rolle als Dienstmann sah, hielt er die Szene (die 25 Jahre später Grundlage zum Film „Hallo Dienstmann“ war) in einem Kurzfilm fest. So wurde der große Nuschler zum ersten Tonfilmkomiker im deutschen Sprachraum. Doch es dauerte noch lange, bis Moser einer der Stars des Tonfilms wurde, da man anfangs nicht glauben wollte, dass seine eigentümliche Sprechweise vom Publikum goutiert würde.

Hans Albers im Tonfilm

Ein Schauspieler, der überhaupt erst reüssierte, als der Film „zu sprechen“ begann, war Hans Albers. Er hatte es immer wieder im Stummfilm versucht, doch die Karriere wollte trotz seiner strahlend blauen Augen nicht anlaufen. Erst als er 1929 in dem Tonfilm „Die Nacht gehört uns“ einen Rennfahrer spielte, konnte er auf sein stärkstes darstellerisches Potenzial – die Stimme – zurückgreifen. Jetzt erst begann sein Weg zum beliebtesten und meistbeschäftigten Schauspieler des deutschen Films.

Albers, Hans - Schauspieler, D/ i.d. Film 'Die Nacht gehoert uns'

Hans Albers in "Die Nacht gehört uns", dem ersten deutschen abendfüllenden Tonfilm. Im Stummfilm hatte er noch keinen Erfolg.

Auf den ersten Blick erstaunt, dass der Tonfilm auch von Musikern abgelehnt wurde, obwohl er gerade ihnen viele Jobs bringen sollte. Der Grund: Zahlreiche Pianisten hatten die Handlung in den Stummfilmkinos musikalisch begleitet und fürchteten jetzt um diese Aufgabe. Spätestens 1930 wurden die Vorzüge des Tons auch für die Musik entdeckt, als mit Willi Forst und Paul Hörbiger „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“ als einer der ersten Musikfilme entstand. Für Robert Stolz begann mit dieser Tonfilm-Operette der Aufstieg zum meistbeschäftigten Filmkomponisten im deutschen Sprachraum.

Der prominenteste Hollywoodstar, der den Tonfilm verschmähte, war Charlie Chaplin. Es war längst selbstverständlich, dass in Filmen gesprochen und gesungen wurde, als er immer noch stumm agierte. So auch 1936 in seinem berühmten Film „Modern Times“. Chaplin dachte nämlich, dass sein „Tramp“ an Beliebtheit verlieren könnte, wenn er plötzlich sprechen würde. Also entstand erst 1940 mit der Hitler-Satire „Der große Diktator“ sein erster Tonfilm.

„Die KI ist nicht aufzuhalten“

Die Proteste der Stummfilmstars sind natürlich nicht mit denen der heutigen Filmschaffenden zu vergleichen. Sie demonstrieren gegen Filme, die mithilfe Künstlicher Intelligenz produziert werden. Der Wiener Jurist Franz Luger, der sich seit Jahren mit der KI beschäftigt, „versteht die Streiks und Proteste in Hollywood, denn die Künstliche Intelligenz ist für viele tatsächlich existenzbedrohend. Aber sie ist nicht aufzuhalten.“

Kaum zu unterscheiden

In der Tat entstehen in den USA erste KI generierte Filme, die von herkömmlichen kaum zu unterscheiden sind. Doch was Drehbuchautoren, Regisseure, Kameraleute und Schauspieler in monatelanger Kleinarbeit produzieren, wird von der Künstlichen Intelligenz in wenigen Stunden hergestellt. Und das mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand.

Und doch: Eine Julia Roberts, eine Meryl Streep, einen Brat Pitt oder einen Leonardo DiCaprio wird die tollste KI nicht herzaubern können.

Ich fürchte nur, dass ich mich auch irren kann.

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