Wiens Nachkriegskabarett: Es war doch eine schöne Zeit

„Ich hab eine Erfindung gemacht. Tabletten, die den Durst löschen“: Klassische Doppelconférence Karl Farkas – Ernst Waldbrunn.
Man schreibt den 22. Juli 1946, als Karl Farkas nach acht Jahren im Exil nach Wien zurückkehrt und hier wie ein König empfangen wird. Die Zeitung Weltpresse hatte angekündigt, dass dem von den Nationalsozialisten vertriebenen Kabarett-Star am Wiener Eislaufverein ein großer Empfang bereitet würde. Zur Begrüßung kamen Politiker, die Wochenschau, eine Musikkapelle, Zeitungsreporter und zahllose Schaulustige, die Farkas lautstarken Applaus spendeten.
Der Bundesbahnblues
Bald trifft auch der 1938 nach Palästina geflüchtete Gerhard Bronner in Wien ein. Ohne von irgendjemandem empfangen zu werden, denn noch kennt man ihn nicht – er hatte vor dem Krieg als Schaufensterdekorateur in Favoriten gearbeitet. Bronner macht ebenfalls schnell Karriere, schreibt Klassiker wie „Der Papa wird's schon richten“ und „Der Bundesbahnblues“, die in seiner Marietta-Bar aufgeführt werden. Die Zuschauer jubeln, weil sie nach Jahren der Gewaltherrschaft endlich wieder befreit lachen können. Auch Publikumsliebling Hermann Leopoldi ist zurückgekehrt.

Gerhard Bronner schuf ein neues, kritisches Kabarett.
Zeitlose Conférencen
Karl Farkas übernimmt 1950 den Simpl, in dem er schon vor dem Krieg seine größten Erfolge feierte. Und auch jetzt glänzt er wieder mit zeitlos witzigen Conférencen:
Ein Politiker muss mit der Zeit gehen, sonst muss er mit der Zeit gehen.
Defizit ist das, um was man weniger hat, als man gehabt hat, als man nichts gehabt hat.
Der Kommunismus ist eine gewaltige Idee, die nur den Nachteil hat, dass sie sich verwirklichen lässt.
Ein österreichischer Patriot ist ein Mann, der böse wird, wenn ein Fremder Österreich kritisiert, wie er selbst es immer tut.
Wenn Politiker eitel wären, würden sie sich nicht so oft im Fernsehen zeigen.
Während Karl Farkas für die Unterhaltung zuständig ist, zeigen Gerhard Bronner und sein Team eine neue Form des kritischen Kabaretts. Auf der Suche nach Mitstreitern fällt Bronner in einer Sauna „ein schlanker junger Mensch in einer schlecht sitzenden Badehose auf, der nach einem freien Liegestuhl Ausschau hielt“. Er heißt Helmut Qualtinger und wird engagiert.

Helmut Qualtinger kreierte die Figur des „Herrn Karl“.
Die Vorstellungen in der Marietta-Bar sind zunächst Geheimtipps, sprechen sich aber so schnell herum, dass sie täglich ausverkauft sind, auch dank weiterer Interpreten wie Peter Wehle, Louise Martini und Georg Kreisler, der „böse Lieder“ vorträgt wie „Tauben vergiften im Park“ und „Zwei alte Tanten tanzen Tango“. Der Evergreen schlechthin ist 1952 Bronners „G’schupfter Ferdl“:
Heute ziagt der g’schupfte Ferdl frische Socken an,
Grün und gelb gestreift, das ist so elegant.
Schmiert mit feinster Brillantine seine Locken an,
Putzt si‘ d’Schuach und nachher haut er si‘ ins G’wand,
Denn beim Thumser draußt, in Neulerchenfeld is Perfektion…
An der Ecken trifft er dann die Mizzi Wastapschick,
Das beliebte Pinup-Girl von Hernals.
Ihre Kleidung ist wie seine ganz dezent und schick,
Sie hat beinah’ echte Perlen um den Hals…
Auch Karl Farkas entdeckt eine neue Komikergeneration, darunter Fritz Muliar, Heinz Conrads, Maxi Böhm und Cissy Kraner. Keiner ist unfehlbar: Peter Alexander wird von Farkas nach einer Spielsaison mit den Worten „Nicht einmal singen kann er“ hinausgeworfen.

Hugo Wiener schrieb Doppelconférencen und Lieder für Cissy Kraner.
Mit Fritz Grünbaum, der 1941 im KZ Dachau ermordet wurde, hat Farkas seinen kongenialen Doppelconférence-Partner verloren. Für ihn werden zwei Künstler gefunden: Hugo Wiener als Co-Autor und Ernst Waldbrunn in der Rolle des „Blöden“:
WALDBRUNN: Ich hab eine Erfindung gemacht.
FARKAS: Was hast du erfunden?
WALDBRUNN: Tabletten, die den Durst löschen.
FARKAS: Wozu braucht man die?
WALDBRUNN: Nimm an, du bist in der Wüste. Du hast Durst, weit und breit gibt es kein Wasser. Du nimmst eine Tablette – und der Durst ist weg.
FARKAS: Das ist wunderbar!
WALDBRUNN: Es hat nur einen Nachteil.
FARKAS: Was?
WALDBRUNN: Die Tabletten müssen in Wasser aufgelöst werden.
Qualtinger schreibt 1960 den Sketch „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben“, in dem er und Johann Sklenka zwei alternde Provinzmimen spielen:
ERSTER MIME: Hast du Girardi noch gesehen?
ZWEITER MIME: Ausgesprochen überschätzt.
ERSTER MIME: Er hatte gute Beziehungen zur Presse ...
ZWEITER MIME: Mährisch-Ostrau war besser als Teplitz-Schönau.
ERSTER MIME: Vom neuen „Jedermann“ habe ich furchtbare Verrisse gelesen.
ZWEITER MIME: Ich habe immer gesagt, das Stück passt nicht zu Salzburg.
ERSTER MIME: Vielleicht zu Linz. In Linz müsste man sein. Es war doch eine schöne Zeit.
ZWEITER MIME: Das ist endgültig vorbei.
ERSTER MIME: Die jungen Leute, die heute zum Theater gehen, sind arm.
ZWEITER MIME: Es fehlt ihnen die Provinz …
Sowohl das Farkas- als auch das Bronner-Team fallen auseinander. Helmut Qualtinger verlässt die Kabarettbühne 1961 und schafft mit dem „Herrn Karl“ seinen Geniestreich, den Monolog eines Mitläufers, der sich durch die Zeitläufe des 20. Jahrhunderts schlägt.
Auch Georg Kreisler verlässt Bronner im Streit – natürlich mit einer Pointe. Auf die Frage „Was kann Gerhard Bronner besser als Sie?“, antwortet Kreisler: „Gerhard Bronner kann besser schlechte Lieder schreiben als ich.“
„Sonst a netter Mensch“
Ein Mysterium bleibt: Wie war es möglich, dass die vielfach jüdischen Kabarettisten in der Ersten Republik zu Österreichs beliebtesten Künstlern zählten, dass dieselben Kabarettisten von den Nazis verfolgt wurden und – so sie überlebten – nach Hitler sofort wieder ihre alte Popularität zurückerlangten. Qualtingers opportunistischer „Herr Karl“ erklärt das so: „Da war a Jud im Gemeindebau, a gewisser Tennenbaum. Sonst a netter Mensch ...“
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