Aktueller könnte die erste Ausgabe des „Neuen KURIER“ nicht sein. In der Schlagzeile vom 18. Oktober 1954 war zu lesen, dass die FPÖ-Vorgängerpartei VdU bei Landtagswahlen in Wien und in anderen Bundesländern schwere Verluste erlitten hatte, während SPÖ und ÖVP ihre Positionen behaupten konnten. Die „Kultur“ meldete, dass der Pianist Friedrich Gulda ein Konzert vor fast leerem Haus gab. In der Prominenten-Rubrik „Wien privat“ erfuhr man, dass Romy Schneider von ihrer Mutter ein rotes Kleid bekommen und dass sich Publikumsliebling Heinz Conrads einen neuen Opel Rekord gekauft hatte. Und der „Sport“ berichtete über einen umstrittenen Elfmeter, der dem Sportklub zu einem 4:4 gegen die Austria verhalf.
Hugo Portisch im KURIER
Eigentümer des „Neuen KURIER“ war der Mühlenbesitzer Ludwig Polsterer, der als erstes Hans Dichand, den erfolgreichen Chefredakteur der Kleinen Zeitung, von Graz nach Wien holte. Und Dichand versammelte um sich eine legendäre Redaktionsmannschaft: Friedrich Torberg, Hans Weigel und Heimito von Doderer gestalteten die Kultur, Heribert Meisel wurde KURIER-Sportchef und Hugo Portisch Chef der Außenpolitik und Stellvertretender Chefredakteur.
„Bin Türke. Komme!“
Portisch hatte 1954 beim Österreichischen Informationsdienst in New York gearbeitet und Kanzler Raab auf seinem ersten Staatsbesuch durch die USA begleitet, „da bekam ich ein Telegramm von Hans Dichand“, erinnert sich die Journalistenlegende, „in dem er mich bat, zum KURIER zu wechseln – und zwar mit den Worten: ,Schon die Türken fanden es lohnend, von weit herzukommen, um Wien zu erobern.’“ Portisch telegrafierte zurück: „Bin Türke. Komme!“
Der „Neue KURIER“ – ein Exemplar kostete einen Schilling – war gerade ein halbes Jahr alt, als er mit der Schlagzeile erschien, auf die das Land sehnsüchtig gewartet hatte: „Österreich wird frei“, stand auf Seite eins einer Sonderausgabe vom 14. April 1955, nachdem Österreichs Regierung bei Verhandlungen in Moskau den Durchbruch erzielt hatte.
Redakteure als Kolporteure
Nun gab’s einen KURIER mit einem Exklusivbericht über den bevorstehenden Staatsvertrag, aber es gab keine Kolporteure, die abends die Zeitung an die Leser brachten. „Daraufhin ist die gesamte Redaktion durch die Stadt gelaufen und hat die Sonderausgabe um 50 Groschen pro Stück verkauft“, erzählt Portisch. „Dichand und ich waren auf der Kärntner Straße im Einsatz.“
Als Dichand ab 1958 die Kronen Zeitung gründete, wurde Portisch neuer KURIER-Chef. Er war es, der 1964 gemeinsam mit anderen Chefredakteuren das Rundfunkvolksbegehren ins Leben rief, mit dem Ziel, die Macht der politischen Parteien aus Hörfunk und Fernsehen zu verdrängen. Es blieb mit 832.353 Unterschriften eines der erfolgreichsten Volksbegehren Österreichs und wurde zum Auslöser einer umfassenden ORF-Reform.
Wie der Name des 1954 gegründeten „Neuen KURIER“ schon andeutet, hat es davor auch einen „alten“ gegeben, eine Vorgänger-Zeitung. Sie hieß „Wiener KURIER“ und wurde von der US-Besatzungsmacht herausgegeben – zum ersten Mal am 27. August 1945. Schon der „Wiener KURIER“ war ein so wichtiges Medium, dass am 26. September 1947 im Land Aufregung herrschte, weil die Zeitung wegen Papiermangels nicht erscheinen konnte. Sogar Kanzler Figl rief in der Redaktion an, um sich darüber zu beklagen.
In der Ära Portisch nahm das Blatt einen weiteren Aufschwung, und 1963 zog die Redaktion von der bisherigen Adresse in der Seidengasse am Neubau in das benachbarte KURIER-Hochhaus in der Lindengasse. 2014 bauten wir dann in Wien-Döbling, an der Adresse Leopold-Ungar-Platz 1, einen zeitgemäßen Newsroom.
1972 verkaufte Ludwig Polsterer den KURIER an eine Industriellengruppe, 1988 kam es nach Beteiligung der Raiffeisenbank und der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) zur Gründung der Mediaprint. Seit November 2018 ist an der WAZ Ausland Holding, heute eine Tochtergesellschaft der Funke Mediengruppe, die österreichische Signa Holding beteiligt.
Vom Bleisatz zum Fotosatz
Als ich im Sommer 1970 zum Redaktionsteam des KURIER stieß, wurde die Zeitung noch im Bleisatz hergestellt, Setzerei und Druckerei waren in der Seidengasse untergebracht, bis 1983 von Bleisatz auf Fotosatz umgestellt wurde. Seither wird im Druckzentrum Inzersdorf gedruckt.
Blättert man die mehr als 24.000 Ausgaben durch, die seit Gründung des unabhängigen KURIER 1954 in Druck gingen, erfährt man umfassend, was seither weltweit geschah: Über den Staatsvertrag und die tragischen Todesfälle John F. Kennedy, Marilyn Monroe und Prinzessin Diana, über die Mondlandung, den Einsturz der Wiener Reichsbrücke, das „Nein“ zu Zwentendorf, über Tschernobyl und Naturkatastrophen, den Fall des Eisernen Vorhangs, über Österreichs EU-Beitritt, 31 Olympische Sommer- und Winterspiele, über Kriege, „9/11“ und Briefbomben in Österreich, über die Kriminalfälle Kampusch und Fritzl, über sieben Päpste, den Ibiza-Skandal, Corona, über Kreisky & Kurz... Nur die Queen hieß damals wie heute: Elizabeth II.
13 Chefredakteure
Dreizehn Chefredakteure sind seit Gründung des „Neuen KURIER“ für den Inhalt der Zeitung verantwortlich, Martina Salomon führt das moderne KURIER Medienhaus als erste Chefredakteurin in die Verschränkung von Print-, Online-, TV- und Podcast-Redaktion. Hugo Portisch lächelte, als er im Vorjahr den großen Newsroom am Leopold-Ungar-Platz besuchte: „Am Beginn saßen Hans Dichand und ich mit einer Sekretärin in einem 2,5 x 5 Meter kleinen Kammerl, so haben wir angefangen.“
Apropos anfangen. Laut Udo Jürgens fängt das Leben mit 66 Jahren an. Der KURIER befindet sich mittendrin und erfreut sich – wie unsere Leserzahlen zeigen – nach wie vor großer Beliebtheit. Wie heißt es so schön in einer Liedzeile: „Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss“.
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